Niederstetten. Sie hatte einen Schnell-Verfügungsrahmen von 25 000 Euro und hat allein in einem Fall das Zehnfache ausgegeben – hinter dem Rücken des Gemeinderats. Bei einer Rückkehr von Heike Naber ins Rathaus droht der Gemeinderat mit Rücktritt.
Massive Kompetenzüberschreitungen zum Schaden der Stadt, dazu der Vorwurf von nachträglich frisierten Ratsprotokollen um eigenmächtige Entscheidungen ohne Ratsmandat zu vertuschen – der Niederstettener Gemeinderat hat die Nase gestrichen voll von Bürgermeisterin Heike Naber.
Nach der doppelten Niederlage der Landratsamts Main-Tauber vor den Verwaltungsgerichten in Sachen „vorläufige Dienstenthebung“ der Verwaltungschefin rechnet der Niederstettener Gemeinderat mit einer Rückkehr Nabers ins Rathaus und in die Sitzungen. Das werde man aber so nicht hinnehmen – alle Ratsmitglieder machten am Donnerstagabend bei ihrer öffentlichen Sitzung in der Alten Turnhalle noch einmal klar: Das Tischtuch ist dauerhaft zerschnitten, das Verhältnis derart zerrüttet, das man mit Naber nicht mehr zusammenarbeiten könne und werde. Die Aktionen der Bürgermeisterin führten zu derzeit noch weiter andauernden Strafermittlungen. Wer – aus Sicht des Rats – Urkunden fälsche, dem könne man nicht vertrauen.
Alle drei Fraktionssprecher bzw. Bürgermeisterstellvertreter gaben unter dem Punkt „Verschiedenes“ Stellungnahmen ab.
Eigenmächtige Geschäfte
Klaus Lahr (SPD) gab einen Überblick über die vergangenen zweieinhalb Jahre. In der ungewissen Phase des Corona-Lockdowns sei es in Sachen Ausgabenpolitik zu „massiven Meinungsverschiedenheiten“ mit der Bürgermeisterin gekommen. Im Nachgang habe man geprüft, ob eventuell Projekte durch Naber angestoßen worden seinen, die nicht durch Ratsbeschlüsse gedeckt gewesen seinen – und aus der Vermutung sei Gewissheit geworden. Zwei Architektenverträge (Maßnahmen an Sporthalle und Bildungzentrum) mit einer Bausumme von mehreren Millionen Euro und einem Auftragswert von weit über 700 000 Euro seien von Naber eigenmächtig unterzeichnet worden. Dabei habe es einerseits genug Zeit gegeben, das Gremium zu informieren, andererseits habe es vorher schon nichtöffentlich erhebliche Misstimmung gegeben, weil Heike Naber ohne Ratsbeschluss ein örtliches Baumarkt-Gebäude erworben habe. Der gesamte Rat habe das Verhalten Nabers gerügt und sie eindringlich ermahnt, Kompetenzüberschreitungen zu unterlassen. Die Bürgermeisterin habe die Verfehlung (Baumarkt) auch eingeräumt. Keine drei Wochen später dann der ungedeckelte Abschluss der Architektenverträge. Für den Rat ein „offensichtlich vorsätzliches Ignorieren“ des Kontrollgremiums. Folge: Dienstaufsichtsbeschwerde beim Landratsamt. Weitere Beschwerden und Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft Ellwangen folgten.
Seither „Stillstand“: Lahr ist frustriert, denn Klage ist bislang nicht erhoben worden (Anmerkung: Die FN-Redaktion hat bei der Justizbehörde schon vielfach nachgefragt – mit dem Abschluss der Ermittlungen rechne man „im ersten Quartal 2023“, so hieß es zuletzt von Staatsanwalt Maximilian Adis).
Naber in Regress nehmen
Klaus Lahr und Stadtrat Ulrich Roth versuchten (mit Ratsauftrag) ein „akzeptables Ergebnis“ mit dem Architekturbüro auszuhandeln – mit Erfolg. Die Summe für die geplatzten Verträge konnte von 710 000 Euro am 9. November in einer „fairen und konstruktiven“ Schlichtung auf 240 000 Euro gedrückt werden. Der Kompromiss muss vom Gemeinderat noch gebilligt werden. Lahr hält aber fest: Der Betrag solle „Frau Naber umgehend zur Rückzahlung an die Stadt als Regress in Rechnung gestellt werden.“ Betracht man die ursprüngliche Summe, habe Naber ihre Verfügungskompetenz um mehr als das 28-fache überschritten. Naber profitiere vom ausgehandelten Kompromiss.
Als „völlig zerrüttet und irreversibel zerstört“ bezeichnete Lahr das Verhältnis zu Bürgermeisterin. Ein „Weiter so“ könne es ebenso wenig geben wie eine „zwangsweise Zusammenarbeit“ mit Naber. Bei den Dienstaufsichtsbeschwerden konstatierte Lahr eine „Verschleppung der weiteren Aufklärung“ aufseiten des Landratsamts. Bezogen auf die Bürgermeisterin sprach Lahr von einer „katastrophalen Bilanz in ihrer kurzen Amtszeit in dieser Stadt“.
Ulrich Roth (AWV) hielt fest, dass nach der verwaltungsrechtlich „kassierten“ vorläufigen Dienstenthebung die anderen laufenden Verfahren wieder in den Fokus rückten. Die Stadt sei bei den Verwaltungsverfahren „weder beteiligt, noch mit Zeugen vertreten“ gewesen. In Würdigung der Gesamtsituation frage er sich, ob nicht eine endgültige Dienstenthebung nach dem Landesdisziplinargesetz möglich sei. Dort heißt es: „Hat der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in die pflichtgemäße Amtsführung verloren, wird er aus dem Beamtenverhältnis entfernt" (Paragraf 31/1 LDG). Er rege deshalb an, dass der Gemeinderat einen Rechtsanwalt mit der Einschätzung beauftragt, ob eine Dienstenthebung vor diesem Hintergrund möglich sei. Ergänzend könne man den Petitionsausschuss des Landtags anrufen.
Schwebezustand „eine Zumutung“
Roth monierte, dass das Landratsamt die Dienstaufsichtsbeschwerde(n) unter Verweis auf die strafrechtlichen Ermittlungen zurückgestellt worden sei – seit zwei Jahren (Vorwurf: Urkundenfälschung). Vom Landratsamt habe er auf konkrete Nachfragen hin bislang keine Antwort erhalten. Unabhängig von einer Klärung sei „der Schwebezustand eine Zumutung für die Stadt Niederstetten“, die Einwohner, Unternehmen, Mitarbeiter und ehrenamtliche Kommunalpolitiker. Anderswo (Haldensleben, Sachsen-Anhalt) sei eine Dienstenthebung eines kommunalen Wahlbeamten als Disziplinarmaßnahme immerhin möglich gewesen.
Harald Dietz (AWV) ergänzte, dass nach den ganzen Vorfällen das „Vertrauen in eine pflichtgemäße Amtsführung“ von Heike Naber „nicht mehr da“ sei. Er frage sich, ob bei einer Rückkehr Nabers ins Amts nicht ein „kompletter Rücktritt“ des Gemeinderats die Folge sein müsse. Namens aller Stadträte wolle er die Auskunft vom Landratsamt, ob und wie ein solcher Rücktritt rechtlich akzeptabel sein könne. Hintergrund: In der Gemeindeordnung (GO) ist von einem individuellen „wichtigen Grund“ für ein Ausscheiden aus dem Rat die Rede – in der Regel sind dies Krankheiten oder ähnliches. Einen Komplettrücktritt des Gremiums sieht die GO nicht vor.
Aus dem Gremium fragte Stadtrat Dr. Adalbert Ruhnke (AWV) nach, ob man wisse, warum Bürgermeisterin Heike Naber überhaupt derart „gigantische Überschreitungen“ veranlasst habe. Für ihn sei das „nicht nachvollziehbar“. Sie habe das mit einer „Eilentscheidung“ begründet, sagte Klaus Lahr. Doch das sei „Nonsens“, denn trotz Informationspflicht bis zur nächsten Sitzung habe Naber ihr Handeln einfach verschwiegen. Georg Keim (CDU) verwies auf vergebliche Schreiben/Unterschriftenlisten an den Landrat. Man wolle mit der Kommunalaufsicht reden. Unverständlich sei für ihn, so Ulrich Roth, dass das Landratsamt derzeit nicht auf Gesprächswünsche reagiere.
Nach Auskunft des Landratsamts Main-Tauber am Donnerstag liegt die schriftliche Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichtshofs jetzt vor. Man werde den Schriftsatz nun prüfen und über das weitere Vorgehen beraten. Dann werde man auch die Öffentlichkeit informieren.
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