Soldaten-Leben in Litauen

Nato-Einsatz: Zu Besuch bei den Hardheimer Soldaten in Litauen

Beim sechsmonatigen Dienst im Rahmen des Nato-Einsatzes werden den Deutschen so manche Entbehrungen abverlangt. „Bedrohung reeller“

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Michael Fürst
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Einsatz: Die vierköpfige Besatzung eines Leopard-2-Panzers besteht aus vier Soldaten, und zwar Kommandant, Richtschütze, Ladeschütze und Fahrer. © Michael Fürst

Pabrade/Rukla/Hardheim. Für einen Zivilisten mutet die Szenerie fast schon ein wenig dystopisch an: Da stehen zig getarnte Panzer in sämtlichen Winkeln des Waldes. Unter Planen, zwischen Bäumen gespannt, liegen die Schlafsäcke der deutschen Soldaten und zeigen: Hier wird geschlafen, auch wenn die Temperaturen nachts in Richtung Gefrierpunkt fallen. An mehreren Lagerfeuern kauern junge Männer und stochern mit Stöcken träge in der Glut. Ihre müden Gesichter lassen erahnen, welchen Strapazen sie in den vergangenen sechs Tagen ausgesetzt waren. Es riecht nach feuchtem Holz. Regen hat das Leben der Soldaten also zusätzlich erschwert.

Vier Sterne Superior sind das sicher nicht. Doch das wissen die deutschen Soldaten schon viele Monate vor ihrem Einsatz in Litauen. Gerade haben sie in Pabrade nahe der weißrussischen Grenze mit „Iron Wolf“ die militärische Hauptübung ihrer sechsmonatigen Mission beendet. Nur noch wenige Stunden, dann dürfen sie zurück in die Kaserne nach Rukla. „Ich freue mich auf eine ausgiebige Dusche und auf mein Bett“, sagt ein Hauptgefreiter. Der lag zwei Tage lang nicht bei seinem Kameraden in der Nähe eines Leopard- oder Marder-Panzers, sondern einige Kilometer weiter vorne – in Richtung des (gespielten) Feindes. Der junge Mann ist Scharfschütze, beobachtet und meldet nach hinten die Lage und die Feindbewegungen sowie die Stärke des Gegners. An den Motorengeräuschen kann er erkennen, welche Fahrzeuge und wie viele im Anmarsch sind. In seinem Versteck sind gute Augen und gute Ohren fast so viel wert wie zielsichere Waffen.

Hardheim

Drei Tage lang live dabei

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red/Bild: Gusenbeurger
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Zwei Tage und zwei Nächte hat der Hauptgefreite zusammen mit einem Kameraden in einer stark getarnten Stellung bei Regen, Wind und Kälte ausgeharrt und seinen Dienst verrichtet. Auch wenn man ihm die Erschöpfung ansieht, sagt er: „Die Zufriedenheit über das Geleistete ist höher als die Belastung.“

„Kulinarische Köstlichkeiten“

Diese Worte hört man nicht überall. Viele Soldaten bemängeln die minimalen Einsatzzeiten während „Iron Wolf“. „Das Warten war furchtbar. Wir hätten gerne mehr gemacht“, sagt ein Feldwebel, der auch schon im Afghanistan-Einsatz war. Doch wie schlägt man die Zeit tot? Ein Handy ist für die Soldaten bei dieser Übung nicht erlaubt. Der Feldwebel scherzt: „Wir zaubern kulinarische Köstlichkeiten aus unserer Epa-Verpflegung.“ Bei seinem nachgeschobenem Lacher will er den Zynismus in dieser Aussage gar nicht unterdrücken. Warten kann auch zur Belastung werden. Kleinere Krisen in Gruppen lassen sich gar nicht verhindern. Der Ton kann auch rau werden. Richtig rau.

Kommentar Viel Lob und etwas Kritik

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Michael Fürst
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„Grundsätzlich ist es egal, wie die Soldaten warten. Sie können sich ausruhen oder auch Karten spielen. Wichtig ist, dass sie sofort einsatzbereit sind, wenn sie gebraucht werden“, erklärt Major S. Er war in den Tagen von „Iron Wolf“ Chef aller 160 deutschen Soldaten im Wald von Pabrade. Auf „seinem Leopard“ zeigt er, wie die Kameraden dort schlafen. Oben drauf, auf dem wärmespendenden Motor oder eben auf ihren Sitzen. Einer muss aber immer das Ohr am Funk haben. Jederzeit kann man zum Einsatz gerufen werden. Dann muss alles ganz fix gehen – und vor allem koordiniert. „Das ist mental schon anstrengend“, sagt er. Nicht nur für ihn als Führungskraft, sondern für alle Soldaten. Major S. erklärt zudem, dass solche Übungen unter Umständen auch zeigten, dass mancher Soldat an der eingesetzten Stelle nicht die beste Figur abgibt. „Das wird angesprochen und wenn nötig wird auch gehandelt“, sagt er. Solch eine Übung ist also wirklich keine Spaßveranstaltung. Es wird Leistung, Einsatzbereitschaft und das antrainierte Können abverlangt.

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Dieses mehrtägige Leben in der Wildnis erfordert so mancherlei Entbehrungen. Soldat sein im Nato-Einsatz ist in keiner Weise zu vergleichen mit einem Grundwehrdienst, wie ihn viele Leser gewiss absolviert haben. „Hier in Litauen ist die Bedrohung reeller“, sagt Oberleutnant S. aus dem Panzerbataillon 363 in Hardheim. Und Hauptfeldwebel B. ergänzt: „Das Verständnis, für das was wir tun, ist in den vergangenen Monaten gestiegen.“ Für Hauptfeldwebel B., sonst auch in Hardheim stationiert, ist es bereits der vierte Auslandseinsatz.

Informationen rund um den Nato-Einsatz in Litauen

Beschluss: Auf dem Nato-Gipfel 2016 in Warschau haben die Bündnispartner entschieden, ihre Präsenz im Osten Europas zu verstärken – in Estland, Litauen, Polen und eben in Litauen.

Begriffe: eFP bedeuet „enhanced Forward Presence“ (verstärkte Vorwärtspräsenz). „Battlegroup“ bezeichnet man die Gesamtheit der multinationalen Bataillone, die zwischen 1500 und 1700 Soldatinnen und Soldaten stark ist.

Stationierung: Die deutschen Soldaten, aber auch die meisten Militärs anderer Nationen, bleiben für sechs Monate in Litauen. Dabei stehen ihnen insgesamt sechs Tage Urlaub zu.

Unterbringung: Die internationalen Truppen sind in der Kaserne in Rukla untergebracht. Von dort fährt man etwa anderthalb Stunden zum Truppenübungsplatz in Pabrade, etwa 15 Kilometer von der weißrussischen Grenze entfernt. Üben die Soldaten in Pabrade, sind sie im dortigen Camp „Adrian Rohn“ untergebracht. Der Name erinnert an das bisher einzige Todesopfer der Deutschen bei diesem Einsatz. Er kam 2018 bei einem Unfall ums Leben.

Besoldung: Alle deutschen Soldaten, die in Litauen im Einsatz sind, erhalten zusätzlich zu ihrem gängigen Sold noch 85 Euro pro Tag steuerfrei. Das macht in sechs Monaten etwa 15 500 Euro. mf

Einer versprüht im matschigen Wald dann aber doch noch gute Laune. Es ist der Spieß, der Mann also, den man an der gelben Schnur erkennt. Der erfahrene Oberstabsfeldwebel, ein Schrank von einem Soldaten, ist für viele der wichtigste Mann am Ort, weil er unter anderem für die Verpflegung verantwortlich ist. „Ohne Mampf, kein Kampf“, heißt ein alter Soldatenspruch. Was der Spieß im Ernstfall sonst noch täte, kann man Gott sei Dank nicht üben: Die Toten wegbringen und darüber Buch führen, um die Verluste und den dadurch nötigen Nachschub zu koordinieren.

Zweier- bis Achterstuben

Die Kaserne in Rukla wirkt im Vergleich zum Wald von Pabrade wie eine Erholungsoase. Aber es ist eben lediglich eine Kaserne, in der aktuell etwa 1600 Soldatinnen und Soldaten untergebracht sind. Deren Chef ist gerade Oberstleutnant Andreas Kirchner, Kommandeur des Panzerbataillons 363 in Hardheim. Er und wenige ausgewählte Führungskräfte haben Einzelstuben bezogen, der große Rest wohnt in Zweier- bis Achterstuben. In Containern oder großen Mannschaftsgebäuden. Die Bewohner teilen sich Duschen und Toiletten. Also: wieder nicht vier Sterne Superior.

Übernachtung: Hier schliefen Panzergrenadiere sieben Nächte lang neben ihrem Marder-Panzer – teilweise bei Regen und Temperaturen um den Gefrierpunkt. © mf

„Man ist irgendwie nie alleine“, sagt Oberleutnant F. Er zeigt den Besuchern die Kaserne, und es ist ihm viel daran gelegen, alles ins beste Licht zu rücken. F. gehört nicht zur kämpfenden Truppe. Er erklärt, dass sein Dienst täglich von 8 bis 18 Uhr geht. Nur der Samstag ist ein sogenannter „low ops day“, an dem man mal frei hat oder eben low, weniger, tut. Sonntags geht es erst nachmittags weiter. „Wenn viel zu tun ist, aber auch früher“, erklärt der Oberleutnant. Manchmal wisse man gar nicht, welcher Tag gerade ist.

Und wer jetzt glaubt, die Soldaten könnten sich in guter alter Tradition von Zeit zu Zeit mal bei einem zünftigen Kameradschaftsabend einen hinter die Binde kippen, der sieht sich getäuscht. In der gesamten Kaserne gibt es keinen Tropfen Alkohol. „Bleifreies“ Bier aus der Dose – das allerdings in mehreren Variationen – ist das höchste der Gefühle. Das kann man sich dann in der deutschen Kantine an der „0-Promille-Bar“, ja, die heißt so, schmecken lassen. Diese Bar ist ein beliebter Ort für die Deutschen. Hier gibt es auch mal ein deutsches Schnitzel und sonntags einen Brunch.

Poolbillard, Tischtennis, Fitness

Im Gamingcenter geht es etwas lebhafter zu. Hier wird, wie der Name schon verrät, Konsole „gezockt“, Tischtennis oder Poolbillard gespielt. Noch ein paar Meter weiter schwitzen die Kräftigen. In einem großen Zelt stehen zig Fitnessgeräte bereit. Ein Allwetter-Fußballplatz mit punktelastischem Sportboden, kombiniert mit Basketballplätzen, steht ebenfalls zur Freizeitgestaltung bereit. Ruhe und Besinnung bietet die kleine Container-Kapelle.

Oberleutnant F. macht noch auf die gute alte Feldpoststation aufmerksam. Die Soldaten in Litauen können vor allem auf dem Truppenübungsplatz in Pabrade nicht frei kommunizieren, weil „der Feind mithört und mitliest“. Auch wenn deshalb so mancher wieder den guten alten Brief als Kommunikationsmittel entdeckt hat, so können die Männer und Frauen doch über einen internen Bundeswehr-Hotspot digital mit den Lieben in Deutschland kommunizieren. Und auf die Rückkehr dorthin freuen sich alle – bei all der Überzeugung, mit der sie ihren Dienst hier leisten. Wenn man sich mit den Soldaten unterhält, weiß fast jeder auf Anhieb, wie viele Tage es noch bis zu seiner Rückreise sind. Und wenn sie wieder in Deutschland sind, können sie dort ihren Angehörigen und Bekannten das berichten, was Oberleutnant S. so treffend formulierte: „Der Preis der Freiheit ist die Wachsamkeit.“

Ressortleitung Reporterchef und Leiter der Sportredaktion

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