Hardheim. In dem engen Aufgang zum Turm ist es stockdunkel. Max Hollerbach knipst das Licht an seinem Handy an. Im schmalen Kegel der Helligkeit wird eine Wendeltreppe aus Stahl sichtbar, die sich bis hoch in den Aussichtsbereich schlängelt. Immer wieder kommt man mit Spinnenweben in Kontakt, was uns zeigt: Hier war schon lange kein Mensch mehr. „Ich war hier auch schon seit einigen Jahren nicht mehr oben“, sagt Dr. Maximilian „Max“ Hollerbach, als wir die Plattform betreten.
Der Anblick, der sich dem seltenen Besucher bietet, ist fast schon ein wenig dystopisch, obwohl man ja in die Vergangenheit blickt: Die Fenster rundherum sind verdreckt, so dass das Licht, das ins Innere fällt, eine seltsame Farbe annimmt. Überall liegt vertrockneter Vogelkot und anderer Dreck; man erkennt alte Schaltschränke mit Knöpfen, immer wieder hängen alte Kabel aus den dafür vorgesehen Schächten. Max Hollerbach lacht und betätigt einen riesigen, fast waagrecht in den Raum stehenden Hebel: „Damit wurde der Suchscheinwerfer bewegt.“, sagt er. Der große Strahler ist heute immer noch auf dem Dach befestigt. Erinnerungen werden wach. Erinnerungen an die Zeit, in der hier auf Hardheims Höhen amerikanische Soldaten ihren Dienst taten. Wir sind im Wachturm der Nike-Stellung – dem Ort, an dem Soldaten einst Ausschau nach Feinen hielten.
Rückblende: Die meisten Gebäude und Infrastruktureinrichtungen wurden zwischen 1960 und 1961 errichtet. Die Nike-Raketenstellung wurde am 12. Juli 1961 zur Nutzung an die US-Army übergeben. Zweck: die Luftüberwachung Europas im Rahmen des Kalten Krieges. Das Gelände blieb Eigentum des Bundes. Die Rückgabe erfolgte am 11. Mai 1992. Dann lag das Gelände lange ungenutzt brach. 1999 kaufte es die Firma Hollerbach; seit 2014 wird das Gelände nach dem Bau mehrerer Hallen als Firmengelände genutzt.
Hawk- statt Nike-Raketen
Der Betrieb der Raketenstellung umfasste die Übung mit den Raketen und deren Instandhaltung sowie die Wartung und Reparatur der verwendeten Fahrzeuge und Generatoren. Die Übung mit den Nike-Raketen beschränkte sich auf den Bereich der drei Raketenlagerhallen und den davor liegenden Betonflächen mit je drei Abschusspunkten. Die anfangs stationierten Nike-Raketen wurden 1983 durch Hawk-Raketen ersetzt, die auf Fahrzeugen montiert waren.
Erinnert sei in diesem Zusammenhang an einen Vorfall in der Nacht zum 1. März 1984, als bei der Anlieferung der Hawk-Raketen, eine Rakete am alten Marktplatz in Hardheim auf die Straße fiel, sich dann herausstellte, dass es sich um eine scharfe Waffe handelte und Hardheim damit für kurze Zeit bundesweit in den Schlagzeilen war.
Idylle in der Dystopie
Jeder Hardheimer, aber auch alle Menschen aus der Region, die irgendwann einmal in der nahen Wolfsgrubenhütte gefeiert haben, kennen diesen Turm, weil man am alten Kasernenareal vorbeifährt, bevor es in den Wald zur Hütte geht. Der alte Zaun steht noch immer. Im Inneren sind viele Gebäude erhalten geblieben. „Es musste aber alles entfernt werden, was irgendwie an Militär erinnert“, berichtet Max Hollerbach. Der einstige Wachturm war nicht dabei, er könnte ja auch als Aussichtpunkt dienen. Doch das ist gar nicht so einfach: Hollerbach muss feste an einem Fenster über den Schießscharten rütteln, um es aufzubekommen. Eine leichte Frühlingsbriese weht herein und es eröffnet sich der herrliche und exklusive Blick über das Erftal. In die Dystopie mischt sich ein wenig Idylle.
Dabei wäre es hier in einem Ernstfall zur Sache gegangen. Auf dem Gelände der Nike-Stellung befanden sich drei Abschussanlagen für Raketen. Und wo sind all die Bunker, von denen stets erzählt wird? „Die gibt es nicht“, berichtet Dr. Hollerbach. Es habe lediglich einen Bunker gegeben, in dem Raketen lagerten. Er führt uns hin und öffnet die dicke Türe. Heute lagert hier Arbeitsmaterial. Auch das alte Gefängnis zeigt er uns. Dieser Raum wurde in einen Sozialraum umgebaut und dient den Arbeitern als Aufenthaltsraum. Die Belegungsstärke der Nike-Stellung lag in all den Jahren bei knapp 100 Soldaten.
„Wir wollen hier schon noch etwas daraus machen“, sagt Hollerbach auf die Frage, ob der Turm noch lange so vor sich hin gammeln soll. Allerdings benötige man ein Gesamtkonzept für das Areal, doch dazu müsse der Baubauungsplan „Hafengrube“ in letzter Instanz verabschiedet sein, sagt er. Eine exklusive Party mit DJ im Turm und Chilloutzone in der angebauten Halle, das wär’s doch mal! Max Hollerbach lacht.
Letztlich ist die aktuelle Nutzung dieses ehemaligen amerikanischen Kasernengeländes ein gelungenes Beispiel dafür, wie man mit solchen Überbleibseln aus dem Kalten Krieg umgehen kann – auch wenn die Firma Hollerbach hier gerne noch mehr machen würde. Aber eines ist gewiss: Es ist bestimmt das einzige Gelände einer Baufirma, in deren Mitte ein Wachturm steht.
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