Neckar-Odenwald-Kreis. Impfen, impfen, und noch mal impfen – diese Aufforderung kann man bald nicht mehr hören. Viele wollen jetzt „mal schnell“ ihre erste Dosis, noch viel mehr wollen eine Auffrischimpfung. Bei den niedergelassenen Ärzten stehen die Telefone nicht still.
Hausärzte sind die ersten Ansprechpartner bei Infektionen. Sie klären auf, informieren über Quarantäne und erläutern, dass die Kontakte im Fall eines positiven Testergebnisses informiert werden sollten. Das Gesundheitsamt ist dafür seit ein paar Wochen nicht mehr zuständig. Weil der Ansturm auf die Praxen so groß ist, wächst auch die Unzufriedenheit etlicher Patienten. Während viele Verständnis zeigen, lassen andere ihren Frust raus und schimpfen. Dabei arbeiten sowohl Ärzte als auch die medizinischen Fachangestellten am Anschlag.
Während beim Hausarzt mit der kleinen Praxis die wenigen Impftermine oft schon bis in den Februar hinein ausgebucht sind, haben andere mehr Kapazitäten und können den Ansturm bewältigen. Viele Arztpraxen impfen deshalb nun auch samstags – und nicht erst, seit dieser „Impftag“ vom Bund nun besser vergütet wird. In der internistische Hausarztpraxis Dr. Kurt & Kirsten Häfner & Dr. Andreas Schmitt im Gesundheitszentrum in Buchen wird schon seit längerer Zeit samstags geimpft: „Wir wollen vor allem ältere Menschen über 70 nachimpfen, und ich bin zuversichtlich, dass wir das bis Weihnachten schaffen“, sagt Dr. Kurt Häfner.
Immer informiert sein
Es wird dauertelefoniert
Aber die Telefone stehen nicht mehr still. Bei „Häfner & Schmitt“ wurde ein regelrechter Callcenter eingerichtet. Es wird dauertelefoniert. „Langsam kommen wir an die menschliche Belastungsgrenze“, sagt Häfner. Das läge auch daran, dass „sein“ Praxisteam auch den gesamten Sommer über durchgeimpft habe.
Für die Kreisärzteschaft im Neckar-Odenwald-Kreis berichtet der Aglasterhausener Allgemeinarzt Dr. Christoph Kaltenmaier, der zugleich Pandemiebeauftragter ist, man sei „wieder genauso dabei wie im vergangenen Winter“. Nach seiner Einschätzung können die Ärzte in der Region insgesamt das Impfen gut „handeln“, das laufe aber natürlich von Praxis zu Praxis anders. Impfstoff sei genug vorhanden. Fest stehe aber: „Jeder will geboostert werden, am besten sofort.“ Auch bisher Zögerliche kämen jetzt zur Erstimpfung, etwa weil sie ins Tattoo-Studio oder zum Friseur wollen, und der PCR-Test ihnen zu teuer ist.
Wichtig wäre für Kaltenmaier, der wöchentlich bis zu 300 Dosen verimpft, dass bürokratische Maßnahmen zurückgenommen werden. „Wenn wir jetzt bei der dritten Impfung wieder die ganzen Aufklärungsbögen ausdrucken und scannen müssen, überfordert das die Ärzte und die Praxen.“
Beim Thema „boostern“ hat Kurt Häfner dies zu erzählen: „Wir haben schon ab 1. September den Leuten angeboten, ihre Impfungen auffrischen zu lassen, doch viele wollten da nicht. Jetzt kann es keinem schnell genug gehen.“ Dies führe vermehrt dazu, dass Leute am Telefon empört oder unverschämt reagieren. Das sei zusätzlicher Stress für das Personal, sagt Dr. Häfner. Dr. Christina Gläser, Allgemeinmedizinerin in Wertheim hat das auch erkannt: „Die Leute sind teilweise ziemlich aggressiv: Jüngst schrie ein Anrufer meine Mitarbeiterin durchs Telefon an, als sie ihn gebeten hatte, etwas leiser zu schimpfen.“
Insgesamt lässt sich aber sagen, dass das Impfen an sich in fast allen Hausarztpraxen reibungslos abläuft. Das berichten viele Patienten und loben die gute Organisation. Impfstoff ist dem Vernehmen nach auch genügend vorhanden.
Während sich Dr. Kurt Häfner mit Kritik an der Politik (zumindest offiziell) zurückhält, nimmt Dr. Stefan Kemmer, Internist und Praxismitinhaber einer Gemeinschaftspraxis in Tauberbischofsheim, kein Blatt vor den Mund. Fassungslos mache ihn, dass die momentan chaotische Situation eine mit Ansage ist. Im Sommer wurde die vierte Welle für den Herbst vorausgesagt, doch es wurde schlichtweg versäumt, klare Strukturen zu schaffen. Die Landratsämter hätten nach Schließung der Impfzentren und auf Weisung des Sozialministeriums die Verantwortung an die Städte und Gemeinden abgegeben, die sich dann um den Einsatz von Mobilen Impfteams zu kümmern hatten.
Einige Kommunen, wie Tauberbischofsheim, Bad Mergentheim, Wertheim und Grünsfeld hätten das getan, aber bei weitem nicht genug. Deshalb stürmten die Patienten die Hausarztpraxen, deren Impftermine bis weit ins kommende Jahr ausgebucht sind. „Wir verweisen unsere Patienten an andere Stellen, auch ins benachbarte Bayern“, so Kemmer. Abhilfe sollen jetzt drei an die Krankenhäuser in Bad Mergentheim, Tauberbischofsheim und Wertheim angedockten Impfeinheiten bringen.
Drastische Worte
Auch Dr. Sebastian Gerstenkorn, Vorsitzender der Kreisärzteschaft Tauberbischofsheim, findet drastische Worte für das, was bei der Pandemie-Situation schiefläuft: „Das ist ein Totalversagen der Politik.“ Nur dadurch komme es zu diesen explodierenden Coronazahlen, die nicht mehr eingedämmt werden können. Ihn ärgert, dass die Politik ständig etwas anderes erzähle, es keine klare Linie gebe und viel zu viel Bürokratie herrsche. Und er kann nicht verstehen, dass kein Politiker die Konsequenzen für das momentane Desaster tragen müsse.
Fehlender Respekt
Niemand frage, wie es den Ärzten und dem Personal gehe, bemängelt er den fehlenden Respekt vor seinem Berufsstand und dem medizinischen Personal. Richtig geärgert hat sich über den Spruch des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministers Karl-Josef Laumann, der sagte, dass Ärzte samstags lieber impfen statt Golf spielen sollten. Dafür hat sich Laumann zwar entschuldigt, doch der Ausspruch sei gefallen.
Gerstenkorns Aussichten für den nahenden Winter sind mehr als trübe. „Ich denke, der point of no return ist überschritten“, sagt er und prophezeit, dass es in der nächsten Zeit „unschön“ werden dürfte. Dr. Sebastian Gerstenkorn: „Wir kommen in die Situation, in der es Triagierungen geben wird.“
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/orte/buchen_artikel,-buchen-corona-in-der-region-die-belastungsgrenze-bei-den-hausaerzten-ist-erreicht-_arid,1881525.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.fnweb.de/orte/wertheim.html
[2] https://www.fnweb.de/orte/tauberbischofsheim.html