FN-Interview

Landrat Christoph Schauder: "Wir haben gelernt, mit dem Coronavirus zu leben"

Was macht eigentlich die Corona-Pandemie? Aktuell gibt es so gut wie keine Beschränkungen mehr, dafür deutlich steigende Fallzahlen. Und was passiert im Herbst? Die Fränkischen Nachrichten haben nachgefragt.

Von 
Fabian Greulich
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„Corona ist nicht vorüber“: Landrat Christoph Schauder (links) und Gesundheitsamtsleiterin Jasemin Eryanar im Gespräch mit FN-Chefredakteur Fabian Greulich. © Markus Moll

Tauberbischofsheim. Im FN-Interview nehmen Landrat Christoph Schauder und Gesundheitsamtsleiterin Yasemin Eryanar Stellung zur aktuellen Corona-Lage im Main-Tauber-Kreis.

Die Masken sind gefallen, es gibt kaum noch Beschränkungen. Rhetorische Frage: Ist die Corona-Pandemie vorbei?

Christoph Schauder: Corona ist nicht vorüber. Corona ist nach wie vor aktuell in unserem Landkreis. Wir verzeichnen derzeit eine Inzidenz im hohen dreistelligen Bereich. Am Donnerstag lag der Wert bei 718. Das war der Tageshöchstwert in der Region Heilbronn-Franken. Der Spitzenplatz wechselt ständig. Man kann aber sagen, dass alle Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg eine hohe bis sehr hohe Inzidenz haben, mit überall steigender Tendenz. Von einem Ende der Pandemie kann daher absolut keine Rede sein.

Vor einem oder zwei Jahren hätte bereits eine Inzidenz im höheren zweistelligen Bereich für Großalarm gesorgt. Jetzt sind wir bei über 700 relativ entspannt. Woran liegt das?

Schauder: Wir haben gelernt, mit dem Virus zu leben. Die letzten rund 28 Monate der Corona-Pandemie waren für uns eine Lernphase. Diese haben wir – und damit meine ich alle Beteiligten im Gesundheitssektor, aber auch die Bürgerinnen und Bürger – sehr gut genutzt und gemeistert.

Das Virus wird nicht verschwinden. Wir haben jedoch in den vergangenen zweieinhalb Jahren die Weichen dafür gestellt, dass wir jetzt gut und verantwortungsvoll damit umgehen.

Was bedeutet das für den Herbst und Winter? Dieser Zeit wird seitens der Landes- und Bundespolitik ja teilweise mit großer Sorge entgegengeblickt.

Schauder: Ich gehe davon aus, dass wir, gerade in der kälteren Jahreszeit, weiter steigende Infektionszahlen haben werden und dass wir dann auch wieder sehr schnell bei einer Inzidenz im vierstelligen Bereich liegen werden. Der Gradmesser im Hinblick auf Restriktionen wie Maskenpflicht oder Einschränkungen bei Veranstaltungen wird aber sein, in wie vielen Fällen es zu schweren Verläufen und zu stationären Aufnahmen kommt. Dazu ist momentan festzustellen, dass es trotz der hohen Inzidenzwerte diesbezüglich keine Auffälligkeiten gibt.

Was heißt das genau?

Yasemin Eryanar: Die Zahl der stationär behandelten Corona-Patienten ist derzeit überschaubar. Intensivmedizinisch muss bei uns im Kreis aktuell niemand behandelt werden. Dazu ist aber zu sagen, dass wir nur die Patienten erfassen, die auch in Kliniken im Landkreis behandelt werden. Es kann natürlich sein, dass ein Corona-Patient etwa auf einer Intensivstation in einem anderen Landkreis liegt.

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Für den Herbst sehen Sie also nicht so schwarz wie andere?

Schauder: Die Botschaft an die Bevölkerung ist klar: Corona ist nicht vorüber. Das Virus ist gefährlich, aber derzeit deutet nichts auf eine Überlastung des Gesundheitssektors hin. Auch nicht im Herbst oder Winter.

Aber: wir müssen wachsam sein, nicht panisch. Ruhe und Besonnenheit waren und bleiben die Gebote der Stunde. Das ist nicht zu verwechseln mit Blauäugigkeit. Es übersteigt jedoch wirklich meine Vorstellungskraft, dass der kommende Winter so ablaufen könnte, wie die beiden zuvor.

Eryanar: Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass Corona unsere Krankenhäuser auch in Phasen niedriger Fallzahlen belastet, denn zum Schutz vor dem Virus war und ist ein enormer logistischer Aufwand notwendig.

Außerdem war die Situation zuletzt im April und Mai sehr angespannt, weil coronabedingt viel Personal ausgefallen ist. Das war eine schwierige Phase.

Wie kommen Sie mit Blick auf die Infektionen im Main-Tauber-Kreis aktuell überhaupt auf belastbare Zahlen?

Eryanar: Über das so genannte Demis-System werden uns täglich mittels PCR-Testung bestätigte Corona-Fälle gemeldet. Der Tagesdurchschnitt der gemeldeten Fälle beträgt derzeit rund 100 – Tendenz steigend.

Hinzu kommen zahlreiche positiv gemeldete Antigen-Schnelltest-Befunde aus den Testzentren, bei denen die Betroffenen nicht alle eine PCR zur Bestätigung durchführen lassen. Diese positiven Schnelltestungen bewegen sich aktuell täglich bei etwa 80 Befunden. Seit 1. April waren es 3325 positive Schnelltests.

Die Dunkelziffer ist sicher hoch, oder?

Schauder: Da ein positiver Schnelltest nicht dazu verpflichtet, einen PCR-Test zu machen, fließen viele positive Fälle gar nicht in die Inzidenz mit ein. Deshalb gibt es in der Tat eine hohe Dunkelziffer. Das diese jetzt im Sommer deutlich höher ist als jemals zuvor, hängt einfach damit zusammen, dass sich das Testregime in den letzten acht Monaten fundamental geändert hat. Früher folgte einem positiven Schnelltest automatisch ein PCR-Test. Das war Pflicht. Heute ist das anders. Außerdem gibt es viele Fälle, bei denen die Infizierten aufgrund ausbleibender Symptome gar nicht merken, dass sie positiv sind. Oder sie begeben sich selbst in Isolation, ohne einen Arzt zu konsultieren. Seit Pandemie-Beginn haben wir im Kreis 46 470 PCR-bestätigte Corona-Infektionen registriert.

Berücksichtigt man die Dunkelziffer, hat es sicher zwischen 70 000 und 80 000 Infektionsfälle gegeben. Inklusive der Mehrfach-Infektionen, die es natürlich auch gegeben hat. Ich denke, das ist ein realistischer Schätzwert.

Wie beurteilen Sie den Verlauf der Impfkampagnen im Landkreis?

Schauder: Zunächst einmal waren unsere Impfkampagnen ein echter Kraftakt von allen Beteiligten. Ich bin sehr stolz und dankbar, was unser Team im Landratsamt gemeinsam mit den niedergelassenen Ärzten, Apotheken, Krankenhäusern, Vereinen, Verbänden und vielen freiwilligen Helfern geleistet hat. Wir haben eine große logistische und sehr fordernde Aufgabe gemeistert.

In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass es nicht die Aufgabe der Stadt- und Landkreise ist, zu impfen. Alles, was wir in diesem Bereich bisher getan haben, ist eine freiwillige Unterstützung des Landes, die wir angesichts der dramatischen Situation gerne geleistet haben. Klar ist aber auch, dass das im Herbst nicht wieder so laufen kann.

Das klingt, als hätten Sie eine klare Erwartungshaltung?

Schauder: So ist es. Ich erwarte, dass vom Land eine belastbare Impfstruktur für die zweite Jahreshälfte aufgebaut wird. Es kann nicht sein, dass man bei erhöhter Nachfrage wieder auf die Stadt- und Landkreise zurückgreift. Wir müssen aus dieser Nothelferrolle raus. Die Bundes- und Landespolitik hat nun alle Zeit, robuste und tragfähige Strukturen aufzubauen. Dafür sind natürlich auch die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen. Da ich Berufsoptimist bin, glaube ich daran, dass das Land dazu gelernt hat und es entsprechende Strukturen geben wird. Es gibt Anzeichen dafür.

Warum waren die Impfkampagnen richtig und wichtig?

Eryanar: Wir alle wissen noch genau, wie schlimm die erste Welle war. Die Tatsache, dass wir hier und heute eine gewisse Leichtigkeit in uns tragen, liegt daran, dass wir weiter sind, viel gelernt und durch die Impfungen einen hohen Grad der Immunität in der Bevölkerung erreicht haben. Ohne Impfkampagnen und ohne Impfstoffe würden wir jetzt ganz woanders stehen. Das will ich mir nicht vorstellen.

Wie stehen Sie zu einer allgemeinen Impfpflicht?

Schauder: Ich war, bin und bleibe ein Verfechter der allgemeinen Impfpflicht. Ganz klar.

Ich bin aber auch Realist. Aktuell ist an eine Impfpflicht nicht zu denken. Das Momentum dafür war Ende November letzten Jahres – und das wurde von der Politik in Berlin schlicht verpasst.

Redaktion FN-Chefredakteur

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