Urteil am Amtsgericht Bad Mergentheim

Nach Urteil am Amtsgericht: Initiative stärkt Prävention an Schulen

Das baden-württembergische Kultusministerium zeigt sexuellen Übergriffen in Schulen die rote Karte und bietet Maßnahmen zur Prävention und Intervention an, um Schulen zu unterstützen.

Von 
Klaus T. Mende
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„Missbrauch in der Schule soll bestmöglich verhindert werden“, sagt Kerstin Claus, unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. © Polizeiliche Kriminalprävention

Odenwald-Tauber/Stuttgart. Der Fall des vom Amtsgericht Bad Mergentheim verurteilten Pädagogen hat einmal mehr ein Thema in den Fokus der Gesellschaft gerückt, das viele Kinder und Jugendliche betreffen kann, gerne aber mal hinten angestellt wird – sexuelle Übergriffe jeglicher Art sowohl im persönlichen Umfeld als auch in der Schule. Teilweise wird dabei eine rote Linie überschritten, ohne dass entsprechend konsequent reagiert wird – mit Folgen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen, die lange Zeit anhalten können.

Alltägliche Realität

„Sexuelle Gewalt ist alltägliche Realität für tausende Kinder und Jugendliche. Sie ist so weit verbreitet, dass jeder Lehrer mindestens einen Schüler in jeder Klasse kennt, der sexueller Gewalt ausgesetzt ist“, teilt Kerstin Claus, seit April 2022 unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Die gebürtige Oberbayerin hatte in einem Interview mit der Zeitschrift „Chrismon“ gesagt, dass sie selbst als Jugendliche zwischen 1984 und 1987 vom jungen evangelischen Pfarrer ihres damaligen Wohnorts in der Nähe von Passau sexuell missbraucht worden sei. Wegen Verfahrensfehlern sei dieser seinerzeit nicht von der Landeskirche suspendiert, sondern habe bis zum Eintritt in den Ruhestand als Pfarrer arbeiten können – wenn auch zuletzt nicht mehr im Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Aus ihrem eigenen Erleben schöpfe sie, so Claus, die Motivation für ihr Engagement gegen sexuelle Gewalt.

Die Bedeutung von Schule als Ort für den Kinder- und Jugendschutz könne nicht hoch genug bewertet werden. „Schule ist der einzige Ort außerhalb der Familie, wo alle Kinder und Jugendlichen täglich gesehen und erreicht werden können“, lässt Kerstin Claus wissen.

Deshalb müssten alle Bildungseinrichtungen wissen, wie sie betroffene Schüler unterstützen könnten und wie Schutz und Zugang zu Hilfe gelinge. „Missbrauch in der Schule soll bestmöglich verhindert werden.“ Gleichzeitig brauche es Schule, damit Schüler, die andernorts sexueller Gewalt ausgesetzt seien, hier kompetente, verstehende und helfende Ansprechpersonen fänden, die Hinweise erkennen und wüssten, was zu tun sei. „Schutzkonzepte sind ein wesentlicher Schritt zu mehr Handlungssicherheit für schulisches Personal.“

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Orientierung für Schulen

Die Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“ sei mit den Kultusbehörden der Länder entwickelt worden und gebe Schulen Orientierung, wie sie Schutzkonzepte gegen sexualisierte Gewalt erarbeiten und umsetzen könnten. Sie helfe dabei, Prävention und Intervention gut in der Schulkultur zu verankern, ist weiter zu erfahren.

Jede Schule sei gefordert, betont Kerstin Claus, ihr eigenes Schutzkonzept zu entwickeln. „Dieser Prozess sollten möglichst viele Kollegen einbeziehen und durch externes Fachwissen unterstützt werden. Ich möchte Sie ermutigen, aktiv zu werden, damit, Schüler besser vor sexualisierter Gewalt geschützt werden. Die gute Nachricht ist: Keine Schule fängt hier bei null an. Und jeder Schritt auf dem Weg zu einem Schutzkonzept lohnt sich, für die Schule und die Schüler.“

Und auch seitens des baden-württembergischen Kultusministeriums wird sexuellen Übergriffen jeglicher Art in Schulen die rote Karte gezeigt. Gewalt habe in Bildungseinrichtungen keinen Platz. Schule müsse ein sicherer Ort sein, an dem alle ohne Angst und Furcht leben, lernen und arbeiten könnten. „Sexualisierte Gewalt in der Schule, im Sport wie in anderen Lebensbereichen ist keinesfalls zu tolerieren.“

Um Schulen in der Prävention und der Intervention zu unterstützen, stünden in Baden-Württemberg zahlreiche Maßnahmen zur Verfügung. Zielgerichtete und nachhaltige Präventionsarbeit werde durch das Rahmenkonzept „stark.stärker.WIR.“ unterstützt, ist von der Behörde zu erfahren. Durch die Leitperspektive „Prävention und Gesundheitsförderung“ in den Bildungsplänen 2016 sei die Verbindlichkeit des Themas deutlich betont worden. Sie ziele auf die Förderung von Lebenskompetenzen und die Stärkung persönlicher Schutzfaktoren ab.

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Wichtige Erkenntnisse

Ein landesweites Projekt zum Thema Schutzkonzept gegen sexuelle Gewalt liefere wichtige Erkenntnisse, die neben Handlungsempfehlungen im Umgang mit der Vermutung eines Übergriffs in eine Handreichung einfließen, die allen Schulen zur Verfügung gestellt werde. Überregionale, mehrtägige Fortbildungen für Lehrkräfte zum Thema sexuelle Gewalt würden bereits seit einigen Jahren durchgeführt, lässt das Stuttgarter Kultusministerium weiter wissen.

In Planung befinde sich ein E-Learning-Kurs „Sexueller Missbrauch und Kinderschutz aus Sicht der Schule“ für Schule und Schulverwaltung, der Grundlagenwissen vermittle, an Fallbeispielen das Vorgehen aufzeige und Auskunft über rechtliche Aspekte geben soll. Das Thema „Schutzkonzept“ soll ebenfalls Teil dieses Kurses sein.

Redaktion Mitglied der Main-Tauber-Kreis-Redaktion mit Schwerpunkt Igersheim und Assamstadt

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