Prozess am Amtsgericht

Bad Mergentheim: Lehrer wegen sexueller Belästigung verurteilt

Wie nahe darf ein Lehrer seinen Schülern – körperlich und auch verbal – kommen? Auch um diese Frage drehte sich der jüngste Prozess am Bad Mergentheimer Amtsgericht. Dabei kam nicht nur der Angeklagte schlecht weg.

Von 
Simon Retzbach
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Ein Lehrer, der an einer weiterführenden Schule in Bad Mergentheim unterrichtet, wurde wegen sexueller Belästigung und Nötigung verurteilt. © Simon Retzbach

Bad Mergentheim. Sexuelle Belästigung und Nötigung in mehreren Fällen, so der Vorwurf der Ellwanger Staatsanwaltschaft gegen den Pädagogen, der an einer weiterführenden Schule in Bad Mergentheim unterrichtet.

Es handelte sich dabei um zwei Fälle: Zum einen soll er schon 2019 im Rahmen einer Skifreizeit einer Schülerin auf den Hintern geschlagen haben, zum anderen ging es um ein Kennenlernspiel, das er als Klassenlehrer mit seiner neuen Klasse zu Beginn des vergangenen Schuljahres (2022/23) veranstaltet hatte. Hierbei soll er Schülerinnen unangemessen nahe gekommen sein, aktiv engen Körperkontakt zu den minderjährigen Mädchen gesucht haben. Schüler, die sich dem Spiel entziehen wollten, habe er unter Androhung schlechter Noten an der weiteren Teilnahme gezwungen.

Mit den Vorwürfen konfrontiert, bestritt der Angeklagte insbesondere den Schlag auf den Hintern eines Mädchens.

Das Vertrauensspiel hingegen habe stattgefunden und der Lehrer – so viel wird in der Befragung durch Richterin Susanne Friedl überdeutlich – ist sich hier auch keiner Schuld bewusst: „Das Schenkelsitzen habe ich schon hunderte Male durchgeführt, das ist ein anerkanntes Spiel aus der Erlebnispädagogik. Die Ankündigung [= einer schlechten Note; Anm. d. Red.] war auch nur eine Aufforderung, mitzumachen.“

Es gab einige Beschwerden

„Warum machen Sie da selbst mit? Was haben Sie da zu suchen?“, fragte die Richterin den Angeklagten. Man könne es so besser erklären, er habe dies schon „hunderte Male“ mit verschiedenen Gruppen so gemacht. „Nur weil Sie das schon hunderte Male so gemacht haben, wird es dadurch nicht richtig“, entgegnete Friedl.

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Darin, dass die zu dem Zeitpunkt pubertierenden Schülerinnen und Schüler durch dieses Spiel sehr engen Körperkontakt mit ihren noch völlig fremden Mitschülern erdulden mussten, zwei Mädchen sogar mit dem deutlich älteren Lehrer, sah der Mann auch vor Gericht keinen Fehler. Er habe dazu keine Beschwerden in der Klasse wahrgenommen.

Doch Beschwerden, das wurde aus den Aussagen der Schüler deutlich, gab es mehr als genug. Neben den konkret verhandelten Fällen war auch das „lose Mundwerk“ des erfahrenen Pädagogen ein Thema. Vor allem über die Kleidung und Oberweite junger Frauen sowie über die „wahre Herkunft“ junger Mitschüler mit Migrationshintergrund soll er sich wiederholt geäußert haben.

Zeugen belasten den Angeklagten schwer

Die Zeugen, hauptsächlich aktuelle oder ehemalige Schüler des Mannes, belasten diesen schwer. So war sich eine Zeugin absolut sicher, den Schlag auf den Hintern des Mädchens selbst gesehen zu haben. Auch die jungen Schülerinnen, zu denen der Angeklagte im Rahmen des Vertrauensspiels sehr engen Körperkontakt gesucht haben soll, waren bei der Befragung sichtlich emotional und schilderten „mulmige Gefühle“ sowie ein „Unwohlsein“, als das Spiel stattgefunden hatte.

Man habe an der neuen Schule nicht gleich mit einer Note 6 ins neue Jahr starten wollen, weshalb man letztlich an dem Spiel weiter teilgenommen habe, schildern die jungen Menschen übereinstimmend. „Er hat ignoriert, dass es mir nicht gut ging“, äußerte eine ehemalige Schülerin.

Auch einem Schüler war das Spiel als gläubiger Muslim sehr unangenehm, zumal der Angeklagte ausdrücklich auf einer Mischung von Jungen und Mädchen bestanden habe, so dass enger Körperkontakt zwischen den Geschlechtern auch für ihn nicht zu vermeiden war.

Diese Erfahrung hat teilweise tiefe Traumata hinterlassen. „Ich habe mich danach in seinem Unterricht nicht mehr wohlgefühlt. Man fragt sich, warum er eigentlich immer noch dort unterrichtet?“, schilderte eine Betroffene unter Tränen.

Schwere Vorwürfe an die Schulleitung

Diese Frage stellen sich wohl auch Kollegen des Mannes, von denen zwei vor Gericht aussagten. Ihrem Engagement war es letztlich zu verdanken, dass es überhaupt zu einer Anklage kam. Die Pädagogen schilderten, wie es sogar im privaten Bereich zu Fragen nach besagtem Lehrer gekommen sei, wie das Ansehen der Schule letztlich unter ihm und seinem wohl seit Jahren bekannten Verhalten litt.

Beide Lehrer machten jedoch in ihren Aussagen auch der Schulleitung schwere Vorwürfe. „Warum wird es an unserer Schule jahrelang unter den Teppich gekehrt?“, fragte sich eine Lehrerkollegin des Mannes und sprach von einem „Mantel des Schweigens“, den die Schule über den Vorfällen ausgebreitet habe.

Die Außenwirkung der Schule sei wichtiger gewesen, es habe ein „freundschaftliches Verhältnis“ zwischen Angeklagtem und Schulleitung bestanden. „Ein Mädchen ging drei Jahre in Angst vor ihm dort zur Schule, vermied jede Begegnung mit ihm und durfte dann auch den Sportkurs wechseln, nachdem er dort ihr Lehrer gewesen wäre“, beschreibt die Lehrerin die Vorgänge. Diese Wechsel junger Mädchen seien öfter vorgekommen, ebenso wie unangebrachte Sprüche gegen Kolleginnen.

„Geht überhaupt nicht“

„Das geht überhaupt nicht“, beurteilt ein erfahrener Kollege des Angeklagten dessen Verhalten. Schüler könnten eine solche Drohung nicht richtig einschätzen, seien auf den Lehrer insbesondere in dem neuen Umfeld angewiesen. „Schüler in diesem Alter sind eine sehr verletzliche Gruppe, die Sprüche sind total schädlich“, kritisierte er.

„Eine Schülerin sagte zu mir: ‘Alle Lehrer wissen es und keiner tut was dagegen’. Das war unerträglich“, schilderte der Mann seine Motivation, die Angelegenheit aufzuklären. Doch habe man sich von der Schulleitung und später auch dem Regierungspräsidium „allein gelassen“ gefühlt, ein Wille zur Aufklärung sei nicht erkennbar gewesen.

„Er war ein sehr engagierter Lehrer und man hatte den Eindruck, für ihn gelten andere Regeln“, beschrieb der Zeuge. Nachdem selbst ein Brief an das Kultusministerium folgenlos blieb, wandte sich der engagierte Kollege an Polizei und Staatsanwaltschaft, die letztlich Ermittlungen einleiteten.

Die Anklage sah hier „einen ganzen Komplex“, der letztlich über die beiden angezeigten Taten hinausgehe. „Es wurden ständig Grenzen überschritten“, so Staatsanwältin Tamara Vogt, die neun Monate Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, wegen sexueller Belästigung und Nötigung forderte.

Verteidigung sieht „Hörensagen“

Seitens der Verteidigung sah Rechtsanwalt Andreas Stößer hauptsächlich „Hörensagen“, das seinen Mandanten beschädige. Das Kennenlernspiel sei ein anerkanntes Mittel, die Drohung mit schlechten Noten das „einzige Druckmittel, das ein Pädagoge hat“. Sein Mandant habe es lediglich an der nötigen Sensibilität vermissen lassen, insgesamt sei er aber freizusprechen.

Diese Auffassung teilte die Richterin nicht. Sie verurteilte den Mann wegen sexueller Belästigung und Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, die mangels Vorstrafen zur Bewährung ausgesetzt wird.

„Ich habe keinen Zweifel an den Aussagen. Das sind Dinge, die sich einbrennen. Das Vertrauensspiel entspricht nicht mehr heutigen Standards, das muss sich kein Schüler gefallen lassen. Schüler sind ihnen ausgeliefert und sie haben als Lehrer eine wahnsinnige Macht, daher muss auch die Strafe höher ausfallen“, begründete Susanne Friedl ihr Urteil.

Redaktion

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