Bad Mergentheim. „Es ist wahnsinnig schwer, Nachfolger für Hausarztpraxen zu finden“, titelte unsere Zeitung im vergangenen Sommer und berichtete über den Zusammenschluss von drei Hausarztpraxen in Bad Mergentheim: Stahnke, Träger und Stüber-Brückner. Die Betreiberfirma „Medicas“ aus Mannheim war als „ganzheitlicher Dienstleister“ eingestiegen. Nun spricht die Kreisärzteschaft von einem „Scherbenhaufen“. Die Praxen sind seit Montag alle zu, aber an einer Folgelösung wird hinter den Kulissen schon intensiv gearbeitet.
„Schlimme Situation“
„Wir befinden uns heute in der schlimmen Situation, dass nun alle drei Praxen geschlossen sind – hoffentlich nur bis Mitte Februar. Wir sind Ende Dezember offiziell unterrichtet worden, dass die Betreiberfirma ,Medicas’ in Zahlungsschwierigkeiten steckt und Löhne nicht ausgezahlt wurden“, erzählt Dr. Silke Stahnke, die die ärztliche Standortleitung inne hat, sichtlich getroffen, aber zugleich auch kämpferisch unserer Zeitung. Sie bemüht sich seit dem 30. Dezember – mit zahlreichen Gesprächen – wie sie schildert, dass Allerschlimmste abzuwenden. Denn so wie es jetzt gekommen ist, sei es natürlich niemals gedacht gewesen.
Frust und Enttäuschung
„Es ist auch für mich eine große menschliche Enttäuschung! Es sind Verabredungen von Medicas und seinen Vertretern nicht eingehalten worden. Das ganze Team, also insgesamt 24 Köpfe an den drei Hausarztpraxis-Standorten in der Kurstadt, ist furchtbar frustriert“, fährt Stahnke bewegt fort und bedauert auch die Verunsicherung unter den tausenden Patienten. Für sie gebe es nun Notfall-Termine in den anderen Hausarztpraxen in Bad Mergentheim und Igersheim – „für diesen Zusammenhalt danke ich der Kreisärzteschaft, dem Medizinischen Versorgungszentrum am Caritas und allen Kollegen“, so Stahnke.
Die Kassenärztliche Vereinigung sei mit im Boot und mit dieser sei man bestrebt, schnelle und gute Lösungen für die verfahrene Situation zu erarbeiten. Mitte Februar könne es möglicherweise schon ein neues Konzept geben.
Niemand zu erreichen
Die Redaktion versuchte am Montag auch mehrfach die Mannheimer Firma „Medicas“ als Dienstleister und Betreiber der Praxen (inklusive Personalverantwortung und -bezahlung) ans Telefon zu bekommen beziehungsweise per E-Mail zu erreichen – doch Antworten waren bis Redaktionsschluss zunächst nicht zu erhalten.
Silke Stahnke ist höchst verärgert und betont, dass sich viele Vorgänge und Verantwortlichkeiten in rechtlicher Klärung befänden: „Zeitgleich versuchen wir neue Strukturen aufzubauen, so dass die Weiterbehandlung unserer Patienten sichergestellt werden kann. Wir bitten die Patienten um etwas Geduld – die Situation ist für alle extrem unbefriedigend.“
Auf die Nachfrage, warum es bislang keine öffentlichen Informationen gab, sagt Stahnke: „Wir wurden erst vor 25 Tagen offiziell von der Betreiberfirma ins Bild gesetzt. Ich selbst wurde auch von den Dimensionen überrascht und bin seither Tag und Nacht um Schadensbegrenzung bemüht. Dabei bin ich auch sehr dankbar, dass das Team vor Ort mir signalisiert hat, dass sie mit mir in neue Verhandlungen gehen und wir nun einen neuen Betreiber für alle drei Arzt-Standorte suchen.“
„Mithin stehen wir nun vor einem einzigen Scherbenhaufen“, sagt Dr. Carsten Köber, der Vertreter der Allgemeinärzte Bad Mergentheim/Igersheim, und nimmt ausführlich Stellung zur Übernahme der drei Bad Mergentheimer Hausarztpraxen „durch ein nichtärztlich geführtes Unternehmen“ und die heutigen Folgen. Köber sagt kritisch: „Groß waren die Versprechungen, gar wurde die Aufstockung des ärztlichen Personals avisiert.“
Er beklagt, dass es zuletzt mehr Gerüchte gab, als gesteuerten Informationsfluss. Patienten verirrten sich „fast täglich in unsere Praxis“ – der Drei-Praxen-Verbund habe, so Köber, wohl schon länger mit Problemen zu kämpfen gehabt.
„Nun scheint die Sache besiegelt: Seit dieser Woche stehen Patienten bei den drei Praxen vor verschlossenen Türen, Pflegedienstmitarbeiter schlagen verzweifelt in unserer Praxis auf, weil sie nicht wissen, wie sie an eine neue Verordnung zur weiteren Versorgung ihrer Schützlinge kommen sollen“, berichtet Köber, dessen Gemeinschaftspraxis im Unteren Graben angesiedelt ist.
Notlage
Einige Tausend Patienten stünden ohne eine Übergangsphase auf der Straße „und klopfen, bei ohnehin schon prekärer Versorgungssituation, an die Türen bereits überfüllter Praxen“, verdeutlicht Köber die dramatische Lage und fügt an: „Hier schlittern alle noch aktiven Hausärztepraxen akut in eine Notsituation: Freilich wird man hier unterstützen wollen, aber selbst wenn hier alle (!) Praxen einspringen, wird dies nicht ohne Einkürzungen im Regelbetrieb gehen – und dieser läuft schon jetzt durch die Infektwelle noch immer nicht im gewohnten Umfang. Wir stehen an einer Stelle, an der es auch mit der besten Motivation kein ,Weiter so’ geben kann. Alle beteiligten Mediziner werden sich gezwungenermaßen, noch mehr als aktuell schon, auf medizinisch notwendige Maßnahmen beschränken müssen – für Gesundheitsuntersuchungen und Co. findet sich hier schlicht keine Zeit mehr.“
Dr. Köber erinnert daran, dass er bereits vor einem Jahr in einem Bericht über die „Hausärztliche Versorgungssituation“, den er im Auftrag der Kreisärzteschaft für den Gemeinderat anfertigte, davor warnte, dass im schlimmsten Fall einer Insolvenz einer nichtärztlichen Betreiberfirma „von einem auf den anderen Moment Tausende von Patienten ihre hausärztliche Versorgung verlieren“.
„Partnerschaftlich agieren“
Er betont, dass die Hausärzte der Region nun gemeinsam versuchen würden, die Lage zu stabilisieren. Zügig gelte es mit der Kassenärztlichen Vereinigung partnerschaftlich Lösungsansätze zu diskutieren und dann weiter zu verfolgen.
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