Medizinische Versorgung - Drei Hausarztpraxen in Bad Mergentheim gehen Verbund ein / „Ich habe mich und die anderen verbliebenen Kollegen schon untergehen sehen“

Ziel: Versorgung tausender Patienten in Bad Mergentheim sichern

Größere Veränderungen tun sich im Bad Mergentheimer Hausarztbereich auf. Bekannte Allgemeinärzte gehen in Ruhestand, junge Nachwuchskräfte übernehmen die Patienten in einer neuen Verbundlösung.

Von 
Sascha Bickel
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Auch in Bad Mergentheim fehlen Nachfolger für etablierte Hausarztpraxen. Drei Praxen tun sich nun zusammen. © dpa

Bad Mergentheim. Die Gerüchteküche brodelt schon länger. Von der Schließung bekannter Hausarztpraxen ohne Ersatzlösungen oder dem Verkauf von Praxen an ein auswärtiges Unternehmen und dem Einsatz „fremder Ärzte“ ist die Rede. Viele Patienten sorgen sich um ihre ersten Ansprechpartner in medizinischen Fragen.

Das Problem ist deutschlandweit bekannt. Es fehlt an Hausärzten, die sich vor allem in ländlichen Regionen niederlassen wollen. Die etablierten Allgemeinmediziner vor Ort rücken dem Rentenalter immer näher, ohne dass es ausreichend Nachfolgeregelungen gibt. Das ist auch die Situation in Bad Mergentheim.

In der Kurstadt werden deshalb neue Wege beschritten, wie Silke Stahnke (57), Fachärztin für Allgemeinmedizin, Naturheilverfahren, Akupunktur und zudem Kurärztin, aufklärt. Seit 1. Januar gebe es „eine Übergangsphase“ und „die Vorbereitungen für eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft“, vergleichbar in etwa einer Gemeinschaftspraxis, die ab 1. April aus drei bisherigen Arztpraxen entstehen soll. Sie selbst bildet mit ihrer Hausarztpraxis in der Poststraße, im Palais Victoria, gewissermaßen das Zentrum dieses neuen Verbundes und führt künftig von hier aus zwei bisher selbstständige Hausarztpraxen als Zweigstellen weiter. „Die Namen der beiden anderen Arztpraxen werden gesondert zu einem späteren Zeitpunkt öffentlich bekanntgegeben“, so Stahnke im Gespräch mit unserer Zeitung.

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Poollösung funktioniert

Nun gab es in der Vergangenheit bereits im kleinen Rahmen eine Zusammenarbeit von insgesamt elf Arztpraxen rund um Bad Mergentheim. In einer Poollösung haben seit ein paar Jahren alle einen „freien Freitagnachmittag“, während stellvertretend für alle anderen eine Praxis im Wechsel die so genannte „offene Sprechstunde“ anbietet. Silke Stahnke spricht von einer guten Sache und berichtet weiter, dass es ebenfalls seit Jahren Gespräche in der Ärzteschaft und auch mit dem Caritas-Krankenhaus über ein neues Ärztehaus oder gar ein Medizinisches Versorgungszentrum gibt. Doch die Pläne, die Kräfte noch mehr zu bündeln, seien bislang nicht erfolgreich gewesen. Und auch die (Landes-)Politik habe es versäumt, sich eindeutig zu positionieren, wie es mit der hausärztlichen Versorgung der vielen Patienten gerade im Ländlichen Raum weitergehen soll.

Jetzt sei die Not überall groß und auch in Bad Mergentheim gebe es einige Hausärzte, die akut oder bald aufhören wollen, weil sie den Ruhestand vor sich haben. Mangels Nachfolgern hätten manche schon zugesperrt oder teilweise schon das Schließungsdatum gesetzt und das Personal entlassen. „Es bestand also großer Handlungsdruck“, so Silke Stahnke, die jetzt die Gründung der Berufsausübungsgemeinschaft samt Zweigstellen forciert.

Silke Stahnke. © Sascha Bickel

„Denn: Ich habe mich und die anderen verbliebenen Hausarzt-Kollegen in Bad Mergentheim schon untergehen sehen, aufgrund tausender Patienten, die sich gezwungenermaßen neue Ansprechpartner suchen müssen“, erzählt Stahnke. „Ich selbst bin 57 und muss auch mit meinen Kräften haushalten. Ich habe es kommen sehen, dass wir von Patienten überrannt werden und dabei haben wir jetzt schon eine Warteliste!“

Nachwuchskräfte fördern

Stahnke ist seit 2005 als Fachärztin tätig: zuerst in Boxberg, dann in Lauda. Ab 2010 war sie Krankheitsvertretung in Igersheim und übernahm schließlich dort die Praxis, 2018 wechselte sie in neue Räume in Bad Mergentheim. Schon seit 2011 engagiert sie sich an der Universität Würzburg für die akademischen Lehrkräfte. Eine Weiterbildungsermächtigung hat sie seit 2012 und so kann sie in ihrer Praxis immer wieder Weiterbildungsassistenten (künftige Ärzte) beschäftigen – und genau diese ehemaligen Assistenten stellen nun auch die Lösung für den neuen Verbund und die anderen Hausarztpraxen dar.

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„Anfang 2021 kamen drei Nachwuchsärzte auf mich zu und erklärten mir“, so Stahnke, „dass sie gerne mit mir weiterarbeiten wollen“. Im Gespräch mit einem anderen Hausarzt aus Bad Mergentheim, der selbst aufhören möchte, sei dann von diesem das junge Unternehmen „medicas“ aus Mannheim ins Spiel gebracht worden, um mit dessen Hilfe eine neue Gemeinschaftspraxis in der Kurstadt auf die Beine zu stellen und die Versorgung aller Patienten langfristig zu sichern.

Die dritte Praxis, die in den neuen Verbund einsteigen würde, stand auch bald fest und so kam Silke Stahnke nach eigenen Worten in vertiefende Gespräche auch mit „medicas“, die nun inzwischen beauftragt sind, als kostenpflichtiger Dienstleister die Abläufe von drei Arztpraxen zu synchronisieren, die gleiche Hard- und Software zu installieren, Bürokratie abzunehmen, das gleiche Labor und das Personal für die Praxen zu organisieren.

Unternehmen ins Boot geholt

„Dieses Modell wurde von den älteren Ärzten bisher nicht unterstützt, da sie 100 Prozent eigenständig sein wollten, und auch die Kassenärztliche Vereinigung sorgte sich, dass plötzlich eine privatwirtschaftliche Firma bei Arztpraxen mit im Boot sitzt. Gleichzeitig wurde aber auch wenig getan, um genügend Nachfolger für alle unsere Praxen zu finden“, stellt Stahnke fest und betont dann: „Es ist klar vertraglich geregelt, das medicas medizinisch nicht hineinredet, weil das Unternehmen auch keine Ahnung von den Themen unserer Patienten hat!“

Silke Stahnke übernimmt also mit der Gründung der überörtlichen Gemeinschaftspraxis zum 1. April, sofern die Kassenärztliche Vereinigung (KV) dem zustimmt, die „ärztliche Standortleitung“ und betreibt neben den eigenen Praxisräumen in der Poststraße noch zwei Zweigstellen, die bisher selbstständig geführten Hausarztpraxen, deren Namen später bekanntgegeben werden sollen.

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Ein ehemaliger Weiterbildungsassistent, der auch in Bad Mergentheim wohnt, übernimmt nach seiner Facharztprüfung als angestellter Arzt die eine angeschlossene Praxis, eine andere Ärztin zur Überbrückung die andere „Zweigstelle“, bis auch hier ein junger, angestellter Kollege dauerhaft einsteigt.

Gegenseitige Vertretungen seien durch die gemeinsame Datenbank leichter möglich, medizinische Fachangestellte könnten bei Engpässen an anderen Standorten aushelfen, weil die Software identisch sei, und auch Teilzeit-Arbeit für weitere Ärzte im Team werde einfacher zu organisieren. „Alle profitieren“, ist sich Silke Stahnke sicher.

Zum Jahresende soll ein letzter Schritt hin zu einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) gemacht werden, blickt Stahnke in die nahe Zukunft. Wenn alles funktioniere und harmoniere, könnten unter dieses „noch größere Dach“ weitere Allgemein-, Gemeinschafts- und Facharztpraxen schlüpfen. Interesse gebe es jedenfalls.

Das Unternehmen medicas will dieses MVZ führen und zum Beispiel auch als Mieter der einzelnen Praxen auftreten. Dann kann auch Silke Stahnke einen Teil ihrer großen Verantwortung wieder abgeben und sich, sofern sie dies möchte, hier wie alle anderen als Ärztin und Standortleitung anstellen lassen, „ohne dass die Patienten dadurch Nachteile erleiden“. Die jetzt noch jungen Nachwuchsärzte könnten in zwei Jahren selbst zu Ausbildern werden und weitere Kräfte heranbilden, so Stahnke zuversichtlich: „Damit bekommen wir hier endlich etwas Größeres in Gang, um die medizinische Versorgung zu garantieren.“

Redaktion Stellvertretender Reporter-Chef; hauptsächlich zuständig für die Große Kreisstadt Bad Mergentheim

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