Prozess vor dem Amtsgericht

Bad Mergentheim: Menschenjagd endet in der Notaufnahme

Ein 17-Jähriger wird brutal auf den Kopf geschlagen und krankenhausreif geprügelt: Das dreiköpfige „Rollkommando“ der Tat, die an einem Bad Mergentheimer Fastfood-Restaurant ihren Anfang nahm, stand jetzt vor Gericht.

Von 
Michael Weber-Schwarz
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Zwischen dem Schnellimbiss an der B 290 und einer nahen Tankstelle spielten sich im Sommer 2023 unfassbare Szenen ab – der Fall einer angeklagten schweren gemeinschaftlichen Misshandlung wurde jetzt vor dem Bad Mergentheimer Amtsgericht verhandelt. © Michael Weber-Schwarz

Bad Mergentheim. Im Juni 2023 ereignen sich zwischen einem Fastfood-Restaurant und einer nahen Tankstelle an der Herrenwiesenstraße haarsträubende Szenen, die man eigentlich nur aus Filmen kennt. Es kommt zum Streit zwischen einem damals 17-Jährigen und teils per Auto herangeeilten Spätaussiedlern. Der junge Mann versucht sich zunächst notdürftig zu verteidigen, muss dann aber quer durch den Schnellimbiss flüchten. Er rennt in Panik über die befahrene Taubertalstraße B 290 zur Tankstelle, sucht dort Schutz.

Im videoüberwachten Verkaufsraum wird er von zwei Verfolgern, darunter ein erwachsener, muskulöser Bauhandwerker, regelrecht in die Zange genommen und in eine Ecke gedrängt. Chancenlos muss er einen Hagel von schweren Hieben – vornehmlich gegen den Kopf – über sich ergehen lassen. Die Täter lassen zunächst ab, kommen aber wieder zurück. Die Tortur geht weiter, obwohl ein Tankstellenmitarbeiter bereits die Polizei gerufen hat.

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Am Ende ist das Opfer so schwer verletzt, dass es in die Notaufnahme eingeliefert werden muss. Schwere Prellungen, Blutergüsse am ganzen Körper, später längere Zeit Schlafstörungen und „Flashbacks“ – der 17-Jährige will das Erlebte heute „nur noch vergessen“.

Angeklagt der schweren gemeinschaftlichen Misshandlung standen jetzt die mutmaßlichen Haupttäter wegen teils vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung vor dem Bad Mergentheimer Amtsgericht.

Hintergrund: „Klärung“ einer Trennung zweier Jugendlicher

Der Grund für die Angriffe ist einerseits banal, zeigt andererseits aber auch das Besitzdenken und die selbstgerechte, racheorientierte Grundeinstellung des Haupttäters. Ein junges Mädchen hatte sich nämlich von seinem Sohn getrennt. Für diesen war das aber nicht akzeptabel und deshalb nahm er Kontakt zum neuen Freund – dem 17-Jährigen – auf. Man wolle die ganze Sache auf dem Parkplatz des Fastfood-Restaurants „klären“.

Die Angeklagten versteifen sich darauf, dass man dort einfach nur über die Sache mit dem Mädchen habe „reden“ wollen. Das spätere Opfer sei aber aggressiv geworden, habe getreten und in der Tankstelle einen Stuhl als Waffe benutzt.

Überwachungsvideo spricht gegen Darstellung der Angeklagten

Dagegen spricht nach Überzeugung des Gerichts ein Überwachungsvideo. „Er hält einen Stuhl schützend vor sich“, so Richterin Susanne Friedl. Der Jugendliche habe sich ganz offensichtlich nicht prügeln wollen, sondern Angst gehabt – schon, weil die Gegner deutlich überlegen gewesen seien.

Welche Rolle spielten die Angeklagten jeweils? Einer, der jüngere W., war offenbar nur beim Auftakt am Fastfood-Restaurant dabei. Er hatte das ganze Geschehen wegen der Flucht des Opfers nur noch am Rande mitbekommen. Von den Vorfällen in der Tankstelle habe er nur im Nachgang gehört. Von ihm erwartet die Richterin jetzt eine Vermittlerrolle, damit „der Konflikt nicht noch einmal hochkommt.“ Zur Anwendung kam hier Paragraf 153a der Strafprozessordnung (Absehen von der Verfolgung unter Auflagen) – 1800 Euro muss er ans DRK überweisen.

Der beteiligte jüngere Schläger D. hatte sich in die Taten quasi hineinziehen lassen. Als es vor dem Schnellimbiss in russischer Sprache zu wechselseitigen Beleidigungen kam, fühlte er sich in seiner Familienehre gekränkt und verfolgte mit dem älteren D. den 17-Jährigen in die Tankstelle. Dort hat er sich an den Schlägen beteiligt. Er könne zum Tatzeitpunkt noch als „reifeverzögerter“ Jugendlicher gelten. Deshalb hatte die Richterin die Schuld des jungen Mannes zwar festgestellt, die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe aber für eine Bewährungszeit von zwei Jahren ausgesetzt. Er muss 2000 Euro als Auflage zahlen.

Schlägertruppe: Tat-Teile gefilmt und verbreitet

„Es glaubt doch keiner, dass Sie nur reden wollten“, so die Richterin in der Urteilsbegründung. Es sei etwas geschehen, „was überhaupt nicht passieren darf“: Eine Schlägertruppe habe mitten in Bad Mergentheim gezielt eine „Menschenjagd“ veranstaltet und einen jungen Menschen krankenhausreif geschlagen. Dass Teile der Tat auch noch gefilmt und verbreitet wurden, bezeichnete Susanne Friedl als „widerlich“. Vierzehn Schläge vorwiegend gegen den Kopf – das hätte noch weitaus schlimmer ausgehen können. Auch die panische Flucht über die B 290 hätte in einen Verkehrsunfall münden können.

Der erwachsene „Hauptschläger“ lasse es trotz später Entschuldigung an Einsicht vermissen. Er habe Selbstjustiz geübt. Auch weil der Mann für seine mehrköpfige Familie sorgen muss, schrammte er an einer Gefängnisstrafe gerade noch vorbei: ein Jahr Haft auf Bewährung (drei Jahre) bei einer Auflage von 3000 Euro.

Bereits während der Verhandlung hatten sich die Angeklagten und ihre Rechtsanwälte auf die Zahlung eines Schmerzensgelds in Höhe von 3000 Euro an den Geschädigten geeinigt. Zur Aufklärung des Sachverhalts waren zahlreiche Zeugen gehört worden.

Der Anwalt der Nebenklage hatte wegen des zweifachen Angriffs mit einer hohen Anzahl an Schlägen wenig Verständnis für Nachsicht. Er hatte in beiden Fällen eine Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahren ohne Bewährung gefordert. Richterin Susanne Friedl urteilte aber deutlich in Richtung einer möglichen Befriedung der ganzen Angelegenheit, die sie (noch) für möglich halte.

Info: Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Beteiligten haben die Rechtsmittel der Berufung oder der Revision.

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Bad Mergentheim

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