In Bad Mergentheim und der Umgebung

Acht Hausarztpraxen in Bad Mergentheim protestieren am Mittwoch, 19. Oktober

Medizinische Notfallversorgung ist auch an diesem Tag sichergestellt. Verärgerung über Gesundheitspolitik der Bundesregierung

Von 
Sascha Bickel
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Am Eingang einer Arztpraxis befestigt eine Mitarbeiterin einen Zettel mit der Aufschrift „Wir streiken!“ © dpa

Bad Mergentheim. Anfang Oktober blieben aus Protest gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung (und der Krankenkassen) bereits viele Haus- und Fachpraxen in Baden-Württemberg für Stunden beziehungsweise einen Tag geschlossen. In Bad Mergentheim und der Umgebung findet am Mittwoch, 19. Oktober, ein weiterer Protesttag statt – acht Hausarztpraxen machen mit.

Dr. Carsten Köber ist Vertreter der Allgemeinärzte Bad Mergentheim/Igersheim in der Kreisärzteschaft und teilt mit, dass allein seine Praxis an diesem Tag als Prellbock fungiert und „nur für echte Notfälle“ eine Sprechstunde offenhält.

Auch Köber ärgert sich sehr darüber, wie er unserer Zeitung schreibt, dass die „mühsam aufgebaute Imageverbesserung des hausärztlichen Berufes bei Jungmedizinern“ aufgrund falscher Entscheidungen auf Bundesebene in Gefahr ist.

Köber sagt: „Bis Ärztinnen und Ärzte aufstehen und öffentlich protestieren, ist in der Regel viel an Belastungen erforderlich“, doch nun sei das Maß voll. Die Praxen in der Region blieben am 19. Oktober für einen Tag für Routineangelegenheiten geschlossen. „Warum wir Hausärztepraxen uns unter Federführung des Hausärzteverbands Baden-Württemberg dazu entschlossen haben, lässt sich durch mehrere zu kritisierende Sachverhalte erläutern“, sagt Köber.

Sparen an falscher Stelle

Er erklärt weiter: „Die Bevölkerung hat ein Recht auf eine qualitativ hochwertige Versorgung im medizinischen Bereich – das muss auch in Zukunft so gewährleistet sein! Die aktuellen, medial allgegenwärtig kommunizierten Sparmaßnahmen führen nun, nach einem ’Aufschwung’ der Allgemeinmedizin in Baden-Württemberg, erstmals wieder zu sehr kritischen, zurückhaltenden und gar frustrierten Stimmen unter Nachwuchsärzten. Der noch eben tiefe Wunsch nach Niederlassung wird in zahlreichen Fällen von den offensichtlichen Vorzügen eines Anstellungsverhältnisses überdeckt. Wir brauchen aber genau diese jungen Mediziner, die bereit sind, eine Hausarztpraxis zu führen! Ohne niedergelassene Praxen wird es letztlich auch keine Anstellungsmöglichkeiten für Ärzte geben und die ohnehin schon schwierige Lage in der hausärztlichen Versorgung unserer Region wird sich noch weiter zuspitzen“, so Köber: „Hausärztliche Medizin muss attraktiv für den Nachwuchs sein – dafür muss auf allen Ebenen gearbeitet werden.“

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Täglich erlebe man verzweifelte Anfragen von Menschen, die eine hausärztliche Versorgung suchen. Schon heute sei die Nachfrage auch in Bad Mergentheim und Umgebung nicht vollständig von den hier tätigen Praxen zu decken. Versorgende Ärzte im Rahmen von Heimaufenthalten zu finden, werde für die Pflegekräfte nicht selten zur schier unmöglichen Mammutaufgabe.

„Diese Missstände sind mitnichten einer fehlenden Arbeitsbereitschaft der niedergelassenen Praxen geschuldet, sondern schlicht der fehlenden Zahl von Medizinern“, sagt Köber und ergänzt: „Mehr Ärzte vor Ort zu einer hausärztlichen Niederlassung zu bringen, muss höchste Priorität haben. Dies ist essenziell für Patienten, die eine medizinische Versorgung benötigen, wie auch für die niedergelassenen Ärzte, die eines Tages ihre Praxis an einen Nachfolger übergeben möchten.“

Bei zwei Prozent verhandelter Honorarerhöhung und acht Prozent Inflation bei massiv steigenden Energiekosten „sehen wir uns faktisch einer Honorarkürzung gegenüber, die das finanzielle Fundament von Praxen gefährdet. Anders als in Wirtschaftsbetrieben, wo Preissteigerungen zumindest teilweise auch an die Verbraucher weitergegeben werden können, sind die Honorare für die hausärztliche Tätigkeit gedeckelt und bedeuten so einen empfindlichen Verlust“, meint Köber. Er fügt an: „Gleichzeitig sehen wir uns moralisch unseren Angestellten gegenüber verantwortlich und wollen auch die anstehenden Tarifsteigerungen (zum Beispiel das nächste Mal schon im Januar 2023) wieder freiwillig umsetzen! Auch Coronaboni wurden in den Hausärztepraxen gänzlich alleine durch die Arbeitgeber finanziert – auch dies stellte sich bei Kliniken und im öffentlichen Dienst anders dar.“

Für angemessene Vergütung

Die Infektionszahlen steigen, unverändert sei an einen normalen Praxisbetrieb nicht zu denken. Köber betont: „So fehlen unserer Praxis wöchentlich ca. 17 Ärztestunden, die ausschließlich für Infektsprechstunden blockiert sind und nicht mehr für die allgemeine Patientenversorgung zur Verfügung stehen. Gleichzeitig wurden alle Pandemieleistungen (Zuschlag zur Corona-Schwerpunktsprechstunde, Vergütung von Abstrichen, etc.) aufgrund politischer Entscheidungen abgekündigt. Hier muss nachjustiert werden – die Leistungen der niedergelassenen Praxen in der Pandemie müssen in Erinnerung gerufen und angemessen vergütet werden“, so Dr. Carsten Köber, Facharzt für Allgemeinmedizin und Notfallmedizin in Bad Mergentheim.

Redaktion Stellvertretender Reporter-Chef; hauptsächlich zuständig für die Große Kreisstadt Bad Mergentheim

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