Kolumne #mahlzeit

Wir müssen die Raubkunst zurückgeben - bedingungslos und sofort

Von 
Stefan M. Dettlinger
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© kako

Neulich bin ich im Humboldt-Forum gewesen. Beeindruckend. Also der deutsche Gigantismus hat nicht mit den Nazis begonnen. Die vier Baumeister des Berliner Schlosses, in dem sich das Humboldt-Forum befindet, müssen Vorfahren Albert Speers gewesen sein. Es sei ein Hauptwerk norddeutschen Barocks, steht in Lexika. Für das Auge ist der Bau etwa wie eine Currywurst mit Pommes, Ketchup, Mayo und Schrippe für den Magen: die volle Dröhnung. Das Humboldt-Forum ist vollgestopft mit gestohlenen und geraubten Dingen. Raub, das ist Diebstahl mit Androhung oder Anwendung von Gewalt. Okay: Das war die Einleitung der Story.

Vor Tagen habe ich Leserbriefe in einer deutschen Zeitung gelesen. Leute meinten dort, man könne die Objekte, die man fremden Völkern zum Beispiel in Afrika geraubt hat, nicht einfach zurückgeben, weil man nicht wisse, was die dann damit machen. „Habt ihr das auch gelesen?“, frage ich Alya, Bela und Caro. Caro sagt sofort: „Es gibt viel zu viele Idioten!“ Bela wirkt überlegt, man sieht sofort, dass er anders denkt.

Alya stichelt mit einer auf Bela gemünzten Metapher: „Stellt dir vor, dir wird dein Porsche gestohlen. Der Dieb wird gefunden, sagt aber, er wolle den Porsche nicht zurückgeben, weil er nicht sicher sein könne, dass du mit dem Ding nicht auf einer kurvenreichen Odenwälder Landstraße mit 250 km/h gegen einen Baum fährst.“ Bela wirkt jetzt nervös. Während er unauffällig auffällig an seinem Fred-Perry-Hoodie zupft, sagt er: „Der Vergleich hinkt. Ein Porsche ist ersetzbares Kulturgut. Gibt’s im Laden. Ab 56 372 Euro.“ Mit dem Kulturgut sei das zwar anders, zurückgeben könne man es trotzdem nicht so mir nichts dir nichts.

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Caro beginnt nun, Gift zu spritzen. Doch, bedingungslos müsse man alles zurückgeben, was man sich unrechtmäßig angeeignet habe, sagt sie. Was mit Raubgut danach geschehe, müsse dem Räuber egal sein. Caro führt eine Gabel Pasta all’arrabbiata zum Mund. Seit den Ausschreitungen vor Wochen ist das eine respekteinflößende Geste. Es knistert. Bela macht weiter: „Es kostet uns auch viel Geld, die Sachen jetzt da runter zu karren – und das, obwohl unsere Generation, wir alle, für die Kolonialgeschichte doch überhaupt nichts können.“

„Noch nie was von historischer Verantwortung und Erinnerungskultur gehört?“, frage ich jetzt. Klar bin ich dafür, dass man alles so bedingungslos zurückgibt, wie man 1945 bedingungslos kapituliert hat. Man hat geräubert und wurde von der Weltgeschichte erwischt. Punkt. „Aber das ist kein staatlicher Besitz mehr in dem Moment, wo es gewissermaßen ein globales Kulturerbe ist. Es gehört nicht einem Volk, sondern der Menschheit“, so Bela.

Ich mag Bela ja eigentlich. Doch in diesem Augenblick denke ich, dass sich unsere Seelenverwandtschaft doch nur auf Beethovens Spätwerk beschränkt. Und Rachmaninows Klavierkonzerte. Vielleicht ist Bela einfach nur nicht sozial genug. Empathisch. Oder hat es gar mit dem IQ zu tun?

Beeindruckend sind die Kulturgüter natürlich schon. Wer sie besitzt, kann sich glücklich schätzen. Wir aber können es nicht.

Schreiben Sie mir: mahlzeit@mamo.de 

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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