Kolumne #mahlzeit

Caros und Belas emotionale Atombomben

Von 
Stefan M. Dettlinger
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© kako

Oft schreibe ich ja hier über sehr öffentliche und eher globale Dinge. Feminismus, Sex(ismus), Klimawandel, Kolonialismus, Religion, die Politik der verschlafenen Radwege, die 25 Millionen deutschen Gartenzwerge, die meines Erachtens wie Heino oder Eva Herman ein echtes ethisches Problem für die Gesellschaft darstellen. Wie die Diskriminierung. So könnte ich über den Sänger Gil Ofarim schreiben, der behauptet, in einem Hotel von Herrn W. mit dem Satz „Pack deinen Stern ein“ antisemitisch angefeindet worden zu sein (wobei jetzt andere behaupten, auf dem Beweisvideo sei gar keine Kette mit Stern zu sehen). Was soll ich davon halten?

Nein! All die großen Dinge fallen am Ende ohnehin auf den kleinen privaten Menschen zurück, der nicht selten auch das eigentliche Problem darstellt. Genau wie auch die kleinen privaten Dinge ins Große, Öffentliche übergehen.

Nehmen wir Bela und Caro, die sich vor zwei Wochen derart in die Haare gekriegt haben, dass der Streit in ein übles Lebensmittelbombardement mit Apfelmus und Bolognese ausartete, das hohe Reinigungskosten nach sich zog. Es ging dabei um die westliche Arroganz, die Musik der Anderen als Weltmusik zu bezeichnen. Der radikal skeptische Lebensentwurf Caros stieß dabei auf Belas totalitär affirmative Philosophie – und detonierte dabei wie eine emotionale Atombombe.

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Lange haben die beiden kein Wort miteinander geredet. Als Kinder sagten wir dazu „beleidigte Leberwurst“. Bei Caro geht das nicht mal. Sie ist Vegetarierin! Na ja. Die beiden waren mit Beleidigt-Sein und mieser Laune jedenfalls nicht allein. Auch für alle anderen wurden sie unerträglich. Grüßen: Fehlanzeige. Lächeln: Lichtjahre entfernt. Zuvorkommen: undenkbar. Sie sind zu schmollenden Stinkstiefeln mutiert.

Es ging dabei um menschliche Makel wie Eitelkeit, Ehre, Stolz, Sühne, Rechthaberei und Egozentrik. Ich sollte das alles durchbrechen, habe ich mir gedacht – und habe neulich beide zum Abendessen eingeladen. So nach dem Christenmotto: Vergib, dann wird auch dir vergeben. Vergebung ist ja eine Art Bewältigungsstrategie. Irgendwie muss man ja ein reales (oder projiziertes) Fehlverhalten des Anderen mental verarbeiten.

Also: Die beiden kamen. Inkognito! Sie wusste nicht von ihm. Er nicht von ihr. Sie kam zuerst, legte ihren weißen Mantel über die Stuhllehne, sah mich an und fragte: „Wer kommt noch?“ Das sei eine Überraschung, sagte ich mit verschmitztem und doch angespanntem Lächeln, ein Lächeln offenbar, das Caro, IQ über 130, schnell zu deuten wusste. „Nee, oder!“, sagte sie. „Was meinst …“ „Du willst jetzt nicht den heiligen Samariter spielen, oder!“, unterbrach sie mich – und ließ mich in den folgenden drei Minuten auch nicht mehr zu Wort kommen. Es klingelte. Während Caro redete und redete, ging ich zur Haustür. „Hallo Bela!“ „Hi Detti!“ Bela stürmte ins Esszimmer, fiel Caro um den Hals, die beiden knuddelten sich ein wenig und lächelten mich an: „Wir haben uns heute Nachmittag bei einem Tee versöhnt.“ Wie ich in dem Moment aussah? Ich bin froh, dass das keiner gefilmt hat ...

Schreiben Sie mir: mahlzeit@mamo.de 

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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