Kolumne #mahlzeit

Sollen wir schenken, auch wenn wir nicht an Gott glauben?

Von 
Stefan M. Dettlinger
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© kako

Habt ihr schon alles?“, fragte neulich, es waren nur noch drei Tage bis Heiligabend, ein gut gelaunter Bela, der definitiv aussah, als habe er alles besorgt und alle Plätzchen gebacken. Ich dachte sofort an das Versteck in meiner Kommode, wo ich die Geschenke für meine Liebsten horte und fragte mich: Fehlt was? Alya tat, man sah’, Ähnliches. Nur Caro sagte: „Als Atheistin schenke ich natürlich nicht. Die Christinnen feiern da den Geburtstag eines Sohnes, an dessen Vater ich nicht glaube. Wie sollte ich da …“

Alya schoss dazwischen mit den Worten: „Echt? Wie kannst du das nur so rational sehen! Du bist so was von …“ Alya musste überlegen und suchte das richtige Wort. „Jaaa?“, sagte Caro mit langem „a“, um Alya unter Druck zu setzen. „… nüchtern, du bist so nüchtern und systematisch. Gott hin, Gott her: Betrachte Weihnachten doch einfach als das, was es ist: ein Fest der Liebe.“ Caro prustete los, und es kann sein, dass dabei Partikel ihres Grünkernbrätlings den Weg in den Äther gefunden haben (von den Aerosolen sprechen wir erst gar nicht). „Die verdammte Schenkerei ist Kommerz in Reinform, sonst nichts. Es gibt zwei Nutznießer: 1. die Wirtschaft. 2. den Schenker selbst, das hat schon Nietzsche erkannt.“

„Einen Quatsch hat Nietzsche“, sagte Alya forsch, und Bela fügte an, was gar nicht passt, weil er der Inbegriff des Konsumfreundes ist: „Es stimmt schon, das Meiste, was wir kaufen und schenken, ist überflüssig, es dient dem Erlebniswert des Egos und erfüllt keinen Zweck als den Selbstzweck. Es soll an sich glücklich machen, unabhängig von seiner Verwendbarkeit.“

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„Aber das ist doch das Ziel beim Schenken“, ratterte Alya dann wie ein Maschinengewehr, „ob das nun zwecklos ist, das Ding, das ich schenke, oder nicht, ist doch wurscht: Hauptsache Glück.“

„Aber es ist doch bekannt, dass die Verheißungen des kapitalistischen Marktes von kurzer Dauer sind“, sagte Caro nun (für ihre Verhältnisse) besonnen, „der Wert der Ware ist doch immer nur so lang gegeben, wie die Ware im Regal steckt und wir sie noch nicht haben. Sobald wir sie besitzen, verliert sie an Reiz.“

Ich ging jetzt auch mal dazwischen und fragte ganz sachte in die Runde, ob wir nicht wenigstens dieses eine Mal, das letzte Mal im Jahr und so kurz vor Weihnachten, dem Fest der Liebe für alle Menschen und nicht nur das Christentum, mal ausnahmsweise nicht streiten könnten, das wäre doch schön und so weiter: „Man muss doch nicht bei jedem Thema immer gleich über Nietzsche, Marx und Schulze diskutieren. Und für mich sind Geschenke ohnehin nicht nur Waren. Wenn ich ein Buch schenke, schenke ich keine Ware, sondern Literatur, wenn ich eine Festplatte schenke, dann schenke ich ein Obdach für Familienfotos, und wenn ich Vertrauen und Liebe schenke, dann schenke ich mich selbst, dann weiß ich, dass es nichts Wertvolleres gibt.“

„Elender Romantiker“, sagte Caro da nur. Also mit dem Vorwurf könne ich gut leben, meinte ich – und plötzlich zog Caro für jeden von uns ein hübsches Päckchen hervor: „Überraschung!“ Irgendwie ist sie doch ganz lieb.

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Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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