Kolumne #mahlzeit

Neue Ethik des Muskismus

Von 
Stefan M. Dettlinger
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© kako

"Was haltet ihr eigentlich von Elon Musk?“, fragt eine vegane Lebkuchen kauende Caro. „Guter Typ“, antwortet Bela, worauf Caro sofort steil geht: „Geht’s noch? Das ist der reichste Mann der Welt. Der rodet in Brandenburg Wälder. Der zahlt keine Steuern!“ Bela erklärt, dass der reichste Mann der Welt keine Steuern zahlen muss, weil er „eine ethische Vision“ habe. Bela spricht von Ersatzreligion: „Elon Musk hat dem Welternährungsprogramm der UN gesagt, er gebe die sechs Milliarden Dollar, die es braucht, um den Welthunger zu beseitigen – kann da vielleicht ein Pfarrer, Rabbi, Imam oder irgendein Heiliger mithalten?“ Caro überlegt. „Die müssen nur noch’n Plan vorlegen, den Musk gut findet.“

„Ich wusste immer: Ein Kommunist bist du nicht. Aber so liberal verblendet?“, sagt Caro und beißt verbissen ins Gebäck. Bela läuft rot an. Er gehört eigentlich nicht zur aggressiven Sorte. Aber jetzt hat er Puls. „Schon mal was von effektivem Altruismus gehört?“, fährt er Caro an, „vielleicht hat ja eine Klugscheißerin schon mal gedacht: Nicht viele gute Gedanken verbessern die Welt. Viele viele gute Taten verbessern sie – wie sie Musk vorhat!“

Caro holt Luft, aber heute fehlt ihr Kraft. Das vegane Gebäck? Oder Bela ist auf Ecstasy. Jedenfalls hält er nun, ganz BWLer, einen Propagandavortrag: „Um zu verstehen, müsst ihr das Weltverständnis kapieren. Der Liberalist sieht Gesellschaft als Anhäufung von Taten. Ganz einfach: viele gute Taten, gleich: eine gute Welt.“

„Gähn“, sagt Caro, während ich über Belas Verbalaktionismus staune. So kannte ich ihn nicht. Er erklärt, dass wir, um gute Taten leisten zu können, ein Maximum an Individualfreiheit brauchen und: „so wenig Staat wie möglich“.

Bis hierhin verlief Belas liberalistisch-altruistische Utilitarismuspropaganda friedlich. Was er aber dann sagt, erhitzt nicht nur Caros Gemüt. „Der Staat, überhaupt die Bürokratie lähmen uns doch nur. Auch die ganzen nervigen sozialen Debatten – die behindern unsere individuelle Entfaltung. Wenn wir die Welt, die Menschen retten wollen, dürfen wir uns keine lahmen Versuche leisten. Wir müssen es machen wie Elon Musk und seine Freunde aus dem Silicon Valley: gute Taten tun.“ Caros geistiger Tiefschlaf ist zu Ende. „Das ist antidemokratisch, was du da schwadronierst. Grausam. Gehst du jetzt etwa auch mit diesen …“ Caro zieht den Mund zur Nase und zeigt ein angewidertes Gesicht: „… staatsfeindlichen Subjekten von Bürgern auf die Straße, die keine Bürger sind und sein wollen? Schmarotzer. Und wer bestimmt überhaupt, was eine gute Tat ist? Musk? Ist das eine Religion, der Muskismus, der den Katholizismus bald ablöst?“

Bela lässt sich nicht kleinkriegen: „Effektive Altruisten errechnen global das Glück und Leid. Du musst zugeben: Das ist eine universelle Währung. Wenn ich weiß, wo am meisten Leid, Glück und Geld sind, weiß ich doch, was ich zu tun habe, um Leid zu mindern. Das ist moralisch bombensicher!“

„Das ist wie Länderfinanzausgleich. Darüber muss ich jetzt mal nachdenken“, sagt Caro, deren Lebkuchen längst gegessen sind. Ich bin auch stumm. Erst mal.

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Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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