Klar, auch ich will die Welt retten. Wie Jesus Christus. Wie Greta Thunberg. Wie Tim Bendzko. Nur bin ich weniger mutig. Ich will mich weder kreuzigen lassen noch den Ozean durchsegeln noch einen schmalzigen Popsong schreiben. Denn all das ist passiert und hat die Welt nicht gerettet. Im Gegenteil. Es geht munter weiter mit der Zerstörung.
Ich finde aber, dass man an Silvester, wenn es um die Frage nach guten Vorsätzen fürs nächste Jahr geht, sagen sollte: Ich will alles besser machen als im vergangenen Jahr. Wenn es am Ende nicht alles ist? Schwamm drüber. Dann wenigstens ein bisschen. Besser als nichts. Wenn man betet, tut man auch nichts anderes. Man will, dass es besser wird – meistens mit einem selbst. Und falls dann nur herauskommt, dass ich einer Obdachlosen eine Stulle schenke, ist das besser, als wenn sie nur Verachtung von mir bekäme. Dann habe ich, der nur ein Atom im Universum ist, immerhin die Welt verändert. Damit würde ich gern eine Kettenreaktion wie bei der Atombombe auslösen. Ich warte.
Vergeblich. Natürlich bin ich auch von Angst getrieben. Wie die Rechtspopulisten. Wie die Impfgegner. Wie wir alle. Ich will nicht, dass meine Kinder und Enkel in einer Welt leben, in der es mehr um Überleben als um Leben geht. Der Soziologe Hartmut Rosa hat neulich aber gesagt: „Wir brauchen das Bild eines Gipfels, der uns verlockt, den wir besteigen wollen, es reicht nicht, dass wir die Schlucht des Verderbens hinter uns wissen.“ Was er meint? Wenn wir immer nur etwas ändern wollen, weil wir Angst haben vor den Konsequenzen, wenn wir es nicht tun, dann werden wir es nicht weit bringen. Im Grunde spricht er von Utopie, ohne Utopie zu sagen.
Nun halte ich nach dem Gipfel, der Utopie, Ausschau und sehe – Corona-Demos, Krieg, Rechtsextremismus, Klimakatastrophe. Doch der Typ, Rosa, meint, wir sollten loskommen von der Denkart: Ich habe das Problem definiert, jetzt suche ich die Lösung. Er will das Problem nicht aktiv angehen, sondern durch ein In-die-Welt-Hören: „Von was lasse ich mich anrufen?“ Ich frage mich da halt, wie man mit der Methode die Pandemie in den Griff kriegen will. Warten wir dann einfach, bis Omikron anruft? Hallo, hier bin ich! Nimm mich auf! Rosa will die Welt radikal ändern, denn die Welt tickt genau anders herum, als er will. Der Mann will eine Revolution!
Das ist respektlos. Ich weiß. Herr Rosa gilt als einer der wichtigsten Denker und hat ein Buch über „Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung“ geschrieben, bei Suhrkamp verlegt. Da kann ich definitiv nicht mithalten. Die Grundthese erinnert mich an fernöstliche Religionen. Buddhismus. Hinduismus. Statt Lebensqualität in Werten wie Rohstoffe, Reichtum und Erlebnismöglichkeiten zu messen, müssen wir unseren Fokus auf die Beziehung zur sozialen Welt richten und auf die Natur, die beide unser Leben prägen.
Ich glaube, ich muss da mal mit Alya, Bela und Caro drüber reden. Die sind zwar auch nicht die größten Lichter. Aber dumm sind die nicht. Vielleicht können wir gemeinsam was erreichen in Sachen Hören und Retten. Das reicht aber auch nächstes Jahr.
Schreiben Sie mir: mahlzeit@mamo.de
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/leben_artikel,-ansichtssache-retten-wir-wirklich-so-die-welt-_arid,1898241.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.demailto:mahlzeit@mamo.de