Also um es mal gleich vorwegzunehmen: Ich will hier niemanden dazu aufrufen, kriminell oder sexuell übergriffig zu werden, Straftaten, Mord und Totschlag zu begehen oder anderweitig anderen Leuten zu schaden. Mir geht es einzig und allein um das Hehrste aus dem Zeitalter der Aufklärung: die Anwendung von Vernunft und Erkenntnis. Ich kann leider nicht aufrufen: Leute, seid ungehorsam! Brecht das Gesetz, so lange es vernünftig ist und niemandem schadet! Ihr werdet dadurch nicht kriminell! Das könnte aber zu Problemen mit dem Chef führen. Ich glaube, ich lasse das lieber.
Schnitt. Wechsel in die Lebenspraxis. Wenn ich also um ein Uhr morgens mit meinem Fahrrad an einer roten Ampel stehe und weit und breit weder Fahrzeuge noch Menschen sehe, macht es dann Sinn, drei Minuten bei – sagen wir – fünf Grad minus im Regen zu warten, bis die Ampel grün wird? Klar: Fahre ich bei Rot, handle ich gegen das Gesetz. Bleibe ich aber stehen, handle ich wider die Vernunft, meine Gesundheit und zudem die Erkenntnis, dass, wenn ich fahre, nichts anderes passieren wird, als dass ich früher zu Hause bin, weniger friere und mich nicht erkälte. Durch Ungehorsam schone ich sogar das Budget der Krankenkasse und verhalte mich klimaneutraler, weil ich keine Medikamente nehmen muss. Und ich schade niemandem.
Außer dem Gesetz natürlich. Aber erklären Sie das mal dem Polizisten, der an besagter Kreuzung plötzlich mit Trillerpfeife hinter dem Busch vorkommt.
Jede Handlung ist politisch, aber ziviler Ungehorsam ist es noch nicht, der ja einem höheren Zweck dient. Es hat auch nichts von Kants kategorischem Imperativ: Handle nur nach der Maxime, von der du auch willst, dass sie ein allgemeingültiges Gesetz wird. Tatsächlich würde ich das wollen. Tatsächlich will ich nicht in einer Gesellschaft leben, in der Leute mitten in der Nacht an roten Ampeln stehen, frieren, nass und krank werden, obwohl weit und breit kein Mensch, ja, nicht mal ein Hund oder Gartenzwerg zu sehen ist (Alya, Bela und Caro sind da auch mal meiner Meinung).
Ich gebe zu: Die Aktion ist egoistisch und nützt vor allem mir selbst. Aber ein ziviler Beweis im Sinne eines mündigen und zu Vernunft begabten Bürgers ist sie schon. Und der Staat, der demokratische Staat, funktioniert doch nur mit mündigen und vernunftbegabten Bürgern. Mein Gott, was nützen Gesetze und Verordnungen, wenn sie, wie hier an der Ampel, niemandem etwas nützen!
Schnitt. Wie aber ist es nun mit dem Auto, werden einige fragen. Fährst du da dann auch bei Rot? Das ist in der Tat eine schwierige Frage. Warum sollten, nur weil sie Nummernschilder haben, für Autos andere Regeln gelten! Also ich könnte, wenn der Chef einverstanden ist, jedem Radfahrer sofort das Rotfahren empfehlen, zucke aber beim Autofahrer zurück. Vielleicht, weil vom Auto mehr potenzielle Gefahr ausgeht, während man sich als Radfahrer vor allem selbst in Gefahr bringt?
Gebt es zu: Im Geheimen sind wir doch alle kleine Gesetzesbrecher. Jeder bricht woanders. Wer von euch Lesenden ohne Sünde ist, schreibe die erste Mail … mahlzeit@mamo.de.
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