Sie habe, sagt Caro, eine Entdeckung gemacht. Sie sagt das, wie so oft, in einem Anflug von Euphorie – was bei ihr halt so Euphorie ist. „Wisst ihr, ich stehe jetzt auf LebiDerya“, meint sie, während sie auf einem trockenen Grünkernbrätling herumkaut, „das ist voll gut!“ Bela und Alya tauschen fragende Blicke. „Ist das eine neue Krankheit?“, fragt Bela. Dass unser Porsche fahrender Schnösel LebiDerya nicht kennt, dürfte ja wohl kaum jemanden wundern. Nach Rachmaninow kam für ihn nur noch Fred Perry. Aber auch Alya kennt LebiDerya nicht. „Sagt nicht, dass ihr das nicht kennt!“, presst Caro.
Ich sage, dass ich LebiDerya selbstverständlich kenne und auch gut finde, dass es die Band aber auch nicht mehr gebe. Leider. Sogleich werfe ich, was sich als großer Fehler herausstellt, einige Worte in den Diskussionsring, um zu beschreiben, worum es sich bei LebiDerya handelt: „Türken, Deutsche, Ozean, Landschaft, Jazz und Folklore, Orient und Okzident, Improvisation, Zither, Percussion und Trompete – Musik mit einem Schuss Weltmusik.“
Bei dem Wort Weltmusik schnauft Caro. Dann fährt ein Blitz durch sie hindurch. Zuerst läuft sie ganz langsam Rosa an. Dann Rot. Dann Grün. „Was ist denn das für ein Scheiß! Was! Für! Eine! Arroganz!“ Sie ist vollkommen außer sich, wirft ihr Wasserglas um und fragt, ob denn Bach, Beethoven und die Beatles nicht auch Musik von dieser Welt und also Weltmusik seien. Es sei eine ungeheure und unverschämte Arroganz vom Stile des Kolonialismus, bei der folkloristischen Musik anderer Völker von Weltmusik zu sprechen, während globale weiße Klassik Klassik sei. Hehr. Hochnäsig. Unangreifbar. Abendländisch. Zudem sei die Volksmusik per se, also der Pop, was ja von Populus komme, schließlich der Inbegriff globaler Volksmusik, eine Weltmusik der Weltverschwörung namens Popkultur, die zudem kapitalistisch gesteuert sei, weil es nicht um Kunst gehe, sondern um nichts anderes – als – pures – Geld.
Puh. Kriegen wir sie von dieser Palme wieder herunter, frage ich mich? Bela sagt: „Er hat den Begriff Weltmusik doch nur verwendet, weil jeder etwas mit ihm anfangen kann. Er wollte etwas beschreiben und niemanden diskreditieren oder diskriminieren.“ Caro kippt Bela jetzt ihr Apfelmus über die Hose, sagt im gleichen Augenblick aber: „O, sorry, das wollte ich nicht …“ Bela, der normalerweise eher sanftmütig, geduldig und alles andere als aufbrausend ist, kippt Caro nun die Bolognese auf den Rock und … alles weitere ist hier der Drastik wegen nicht mehr für die Öffentlichkeit bestimmt.
Ich habe nach diesen, nun ja, für unsere Treffen doch historischen Vorfällen über den Begriff Weltmusik nachgedacht. Ich glaube, Caro hat Recht. In meinen Musiklexika habe ich den Begriff Weltmusik übrigens nicht gefunden. Auch im New Grove nicht. Wikipedia aber meint, der (unbekannte) Musiktheoretiker Georg Capellen habe ihn 1905 erstmals verwendet, um exotische … huch, noch mal so ein Wort. Verdammt! Darf man das noch sagen? Sind wir nicht alle Exoten? Fast überall? Ich glaube, auch ich bin arrogant …
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