Literatur regional

Ein Fantasy-Roman gegen das Vergessen der Wörter

Mit „Das Porträt“ hat Jean de Palacio eine Fantasy-Geschichte erschaffen, die vom Verschwinden der Sprachen erzählt. Der Roman ist nun auf Deutsch im Heidelberger Flur Verlag erschienen

Von 
Maria Herlo
Lesedauer: 
Der französische Autor Jean de Palacio ist 93 Jahre alt. © Palacio

Es gibt immer wieder Menschen, die sich sagen: Ich mache Bücher, die ich selbst gerne lesen will. So die Heidelberger Romanistin und Übersetzerin Alexandra Beilharz. 2023 hat sie den „Flur Verlag“ gegründet, getragen vom Wunsch, spezielle Bücher in die Welt zu setzen. Ihre Tätigkeit hat sich bis heute vom Stadtführer über Ludwigshafen auf einen Gedichtband von Kiev Stingl und einen Roman des französischen Autors Jean de Palacio ausgeweitet. Vergessene und versteckte Schätze bekommen somit eine Chance auf Veröffentlichung, eine programmatische Ausrichtung, die der Verlag schon im Namen enthält.

Ein Experte für die Literatur des Fin de Siécle

Denn „Flur“ schließt, je nach Geschlecht, eine Landschaft beziehungsweise einen Korridor mit ein, einen Raum also, der von einem Ort zum anderen führt. So brachte der Verlag den kürzlich verstorbenen, fast vergessenen Musiker und Dichter Kiev Stingl mit dem Büchlein „Mein Collier um deinen Hals“ wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Der schmale Band ist randvoll mit Gedankensplittern, eine kompakte Bündelung von Existenzwissen und Spracherkundung.

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Neu zu entdecken ist auch das herausragende Werk des französischen Autors Jean de Palacio. Der heute 93-jährige Experte für die Literatur des Fin de Siècle hat zahlreiche wissenschaftliche Werke und Essays veröffentlicht, die sich mit dieser Epoche und ihren Strömungen beschäftigen. Sein Roman „Das Porträt“, der 2009 erschienen ist und den Beilharz selbst neu aus dem Französischen übersetzt hat, erzählt von Maurice Guilhon, einem Linguisten und Lexikografen, der sich um die Rettung bedrohter Sprachen bemüht und gegen das Verschwinden von Vokabeln ankämpft. Obwohl im Bereich der Fantasy angesiedelt, ist das Problem insofern aktuell, als laut Statistik tatsächlich weltweit alle zwei Wochen eine Sprache ausstirbt. Für Jean de Palacio heißt dies Verarmung der kulturellen Vielfalt.

Leser sieht sich mit vielen Rätseln konfrontiert

Im Mittelpunkt seines Romans steht ein „Porträt“, das an der Schlafzimmerwand einer jungen Frau, einer Musikerin, hängt. Vermutlich stellt es den Sprachretter Maurice Guilhon dar. Unbekannt ist der Urheber wie die Zeit der Entstehung. Und es ist nicht das einzige Rätsel, mit dem sich der Leser in diesem Roman konfrontiert sieht. Im Puzzle des Textes, unterteilt in 28 kurze Kapitel, bleiben viele Stellen leer, die das Verschwinden, den Verlust der Sprachen, die Stille suggerieren. Zuerst machte sich der Infinitiv davon, so dass „fortan jede Bezeichnung durch ein Verb unmöglich“ wurde, danach das Präsenspartizip. Als eine geheimnisvolle Frau die Wege des Sprachforschers kreuzt, werden sogar Bücher von einer mysteriösen Krankheit befallen, Seiten lösen sich auf wie ganze Bibliotheksbestände, für Maurice Guilhon eine Katastrophe. Er begibt sich auf die Suche und hat stets das Gefühl, einem Gespenst nachzujagen. Die Liebesgeschichte mit Elisabeth Wehland, der letzten Bewahrerin einer sterbenden Sprache, betont noch mehr die Vergeblichkeit seiner Nachforschung. Die wenigen Worte, die er retten konnte, „gesucht, aber nicht gefunden“, stehen als Inschrift auf seinem Grabstein und belegen sein Scheitern.

DAS BUCH

Jean de Palacio: Das Porträt“

Roman, übersetzt aus dem Französischen von A. Beilharz,

Flur Verlag, 136 Seiten, 18 Euro

Die Sprache des Autors Jean de Palacio hingegen nimmt einen durch den Reichtum an symbolischen und allegorischen Elementen sowie durch die gelehrten Anspielungen restlos gefangen. Dahinter verbirgt sich ein enormes Wissen, eine unbändige Lust am schöpferischen Bild. Sein Roman lässt einen gleichzeitig ratlos und fasziniert zurück.

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