Literatur

Zwei neue Aufsätze zu Palästina von Hannah Arendt

Zwei bislang unbekannte Texte von Hannah Arendt sind unter dem Titel „Über Palästina“ veröffentlicht worden. Sie bieten tiefgehende Einblicke in die Komplexität des Nahost-Konflikts

Von 
Frank Dietschreit
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Die Theoretikerin und Publizistin Hannah Arendt. © Münchner Stadtmuseum

Aus dem Dunkel des Vergessens sind jetzt zwei bisher unbekannte Texte von Hannah Arendt aufgetaucht. Sie erscheinen unter dem Titel „Über Palästina“ und können vielleicht dazu betragen, über eine Lösung im aussichtslos scheinenden Nahost-Konflikt nachzudenken.

1944 beleuchtet Arendt ihren Standpunkt zur Rolle der USA im Palästina-Konflikt

Den Aufsatz „Amerikanische Außenpolitik und Palästina“ verfasste Arendt 1944. Sie reagierte auf eine in den US-Kongress eingebrachte Resolution, die ihre Regierung aufforderte, eine „Nationale Heimstätte für die Juden in Palästina“ zu schaffen und zu schützen. Nach Protesten arabischer Länder und Organisationen wurde die Resolution in Fachausschüsse überwiesen und verpuffte. Arendt meinte, das sei ein „schwerer Schlag“ für das „jüdische Volk“, der sich gegen alle US-Bürger richte, denen „die Sache der Freiheit und Sicherheit“ der Juden wichtig ist.

Sie erinnerte daran, dass Amerika als Einwanderungsland stets der Maxime folgte, sich einzumischen, wenn in den Herkunftsländern oder Heimstätten ihrer Einwanderer die Freiheit gefährdet ist. Zwar dürfe die Regierung mit ihren Entscheidungen nicht die Ölversorgung durch Saudi-Arabien gefährden, aber es sei auch ihre Aufgabe, Solidarität mit den über fünf Millionen Menschen jüdischer Abstammung in den USA zu üben, denen das Leben der europäischen Juden am Herzen liege.

Mit ihrer Entscheidung, eine Öl-Pipeline in Nahost zu bauen, werde man ohnehin Machtfaktor in der Region und müsse politisch und militärisch Stellung beziehen. Nach dem Abzug der Briten aus der Region, die man als Palästina (einen Staat Palästina gab es nie) bezeichnet, werde es zum Blutvergießen zwischen Juden und Arabern kommen: Arendt sollte recht behalten. Doch ihr Essay wurde nicht veröffentlicht. Wie die Neugestaltung der Welt nach der sich abzeichnenden Niederlage des Hitler-Regimes aussehen könnte, war den Herausgebern wichtiger als die von Arendt aufgeworfene Frage.

Arendts Analyse des palästinensischen Flüchtlingsproblems

Ihren Bericht über „Das palästinensische Flüchtlingsproblem“ formulierte Arendt 1958 zusammen mit einem 17-köpfigen Autorenkollektiv. Welche Ideen Arendt beigesteuert hat, ist unklar. Außer in einem Brief an Karl Jaspers hat sie den Bericht nie erwähnt. Die Autoren erinnern daran, dass seit 1948, infolge des Krieges und der Staatsgründung Israels, fast eine Million Palästinenser ihre Heimat verlassen mussten, dass aber die Rückkehr der Vertriebenen oder eine Entschädigung ein maßgebliches Kriterium für einen dauerhaften Frieden ist.

Auch wenn Israel aus Furcht vor Instabilität jede Form von Repatriierung zurückweist, müsse man erkennen, dass die Situation der staatenlosen Flüchtlinge, die im Westjordanland, im Gazastreifen und im Libanon in Lagern untergebracht sind, politischen Sprengstoff enthält.

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„Vernunft statt Emotion“ lautet das Credo der Autoren, sie machen konkrete Vorschläge über die Ausgleichszahlungen nicht nur von Israel an die palästinensischen Flüchtlinge, sondern auch von den arabischen Staaten an die aus ihren Ländern vertriebenen Juden. Sie fordern Israel auf, jährlich eine begrenzte Anzahl von Palästinensern zurückkehren zu lassen. Die Großmächte sollten schon aus Furcht vor einem Flächenbrand für einen gerechten Frieden sorgen.

Der mit Daten-Sammlungen und Statements versehene Bericht wurde nur in einer thesenartigen Zusammenfassung in einer jüdischen Zeitschrift veröffentlicht. Nachdem russische Panzer erst durch Ost-Berlin und dann durch Budapest gerollt waren, drohte der kalte zum heißen Krieg zu werden; diese Gefahr schien dringlicher als die Lösung des Palästina-Problems. Ein Fehler. Denn manche Probleme ziehen erst eine Region, dann die ganze Welt in den Abgrund.

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