Neue Sachlichkeit

Nationaltheater zeigt in der Kunsthalle "Fragment Felix"

Er war der Sohn des Kunsthallendirektors, der 1925 die Ausstellung "Neue Sachlichkeit" präsentierte. Regisseur Christian Franke zeigt Felix Hartlaub einfühlsam zwischen Kunst und Krieg und mitten in der Ausstellung

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Geht im Zweiten Weltkrieg und in den Papieren darüber unter: Sachbearbeiter Felix Hartlaub (Rocco Brück) beim Spiel in der Mannheimer Kunsthalle. © Christian Kleiner

Mannheim. Mannheim. Wie nähert man sich einem Menschen und Künstler, den man nicht kennt, der jung starb, von dem zwar noch Schriften existieren, das aufbereitete Material sich aber einer objektiven Bewertung entzieht? Felix Hartlaub, der sensible und vielfach begabte Sohn von Kunsthallendirektor Gustav Friedrich Hartlaub, dem Mannheim und die Kunstgeschichte damals wie heute die „Neue Sachlichkeit“ verdankt, hat biografische Leerstellen hinterlassen. Regisseur Christian Franke weiß um diese Gewissheitslücken und nennt seine im Auftrag des Nationaltheaters für die und in der Kunsthalle erstellte Uraufführung seriös „Fragment Felix – Ein Leben zwischen Kunst und Krieg“.

Felix Hartlaub (1913-1945)

  • Der Sohn des einstigen Mannheimer Kunsthallendirektors Gustav Friedrich Hartlaub (1884-1963) wuchs in Mannheim auf und entwickelte früh vielseitige künstlerische Begabung und Interessen.
  • 1928 besuchte er die Odenwaldschule in Heppenheim, dann die Handelshochschule in Mannheim und studierte ab 1932 Geschichte und Romanistik an der Universität Heidelberg, dann in Berlin.
  • Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Von 1942 bis März 1945 gehörte er dem Bearbeiterstab des Kriegstagebuchs bei deren Oberkommando an. Kurz vor Kriegsende verliert sich seine Lebensspur.
  • Aufführungen in der Kunsthalle am 17. und 19. bis 22. Dezember sowie am 13. bis 16. Februar 2025. Kartentelefon: 0621/1680-150. rc

Unter Verwendung der Schriften Felix Hartlaubs und mithilfe von Gesprächen mit den (anwesenden) Nachfahren der Familie und deren privatem Material nähert sich Franke halb dokumentarisch und halb poetisch assoziativ einem Menschen, der auch exemplarisch für eine verlorene Generation Intellektueller zwischen zwei Weltkriegen steht.

Noch nahezu kaiserlich-gründerzeitlich geprägt sind Sprache und Gehrock (Bühne & Kostüm: Sabine Mäder) von „Papi“ Gustav Friedrich, der vom Podium herab anno 1925 die Gäste zur Ausstellungseröffnung begrüßt. Jovial beschreibt Boris Koneczny als „Herr Direktor“ vor Publikum, Gattin (Bianka Drozdik) und Klein-Felix seine Ambition einer postexpressionistischen Schau. Wir sind mitten drin im lokalen historischen Geschehen.

Ein Hakenkreuz aus kunstvoll projizierten Wassertürmen

Vater Hartlaub führt „das geneigte Publikum“ in den großen Ausstellungsraum zu Max Beckmanns „Christus und die Sünderin“, zu George Grosz’ „Leichenbegräbnis: Widmung an Oskar Panizza“ und zu Georg Scholz’ „Von kommenden Dingen“. Dann spricht er, wie Inge Herold und Johan Holten zwei Wochen zuvor, vom linken und rechten Flügel des kuratorischen Konzepts, als passend zu diesen Richtungsantipoden Alarm schrillt. Stühle kippen, man muss den Saal verlassen.

Wir machen einen Zeitsprung von acht Jahren – 1933: Die Nazis haben Hermann Heimerich, Mannheims ersten SPD-OB, und G. F. Hartlaub geschasst. An den hohen weißen Wänden der Kunsthalle wimmeln historische Mannheimer Stadtszenen, drehen sich Hakenkreuze aus Wassertürmen (Video: Grigory Shkylar).

Felix ist nun 20, ein junger Mann mit vielen Talenten, aber wenig Talern, und will nach Berlin: „Isch bin färdisch midd Monnem!“ Von der Kunst geht es also über das Politische und über verschiedene Spielstationen ins Private. Und nun per zum Schnellzug gewordenen Aufzug ins Obergeschoss: Abnabelungsprozesse von einem Übervater: „Solange du deine Füße ...“ –„Das willst du jetzt nicht wirklich sagen, Papi!“, fällt ihm Rocco Brück als Felix da ins Wort.

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Auch von Vaters Abschiedsgeschenk, dem mehrfach hinterhergetragenen „Zauberberg“-Roman Thomas Manns – auch er bekanntlich ein künstlerischer Übervater –, will der Junior nichts wissen: Lustiger ist das Studentenleben. All das vermeintlich Nebensächliche und doch Zeitgeistige verpackt Christian Franke poetisch – und gibt damit auch schon einen Vorgeschmack auf Mannheims Imaginale: Mit Zeichen- oder Gliederpuppen aus Holz, die wir per Video-Nahaufnahmen (Philipp Denk sei Dank) dann doch noch als Projektion weit oben in der Galerie sehen, kommt Fantasie ins Spiel.

Ein Rundgang durch Ausstellung, Kunsthalle und dunkle Zeiten

Später werden die Holzmännlein lebensgroß von Statisten bespielt, die auf der Galerie im alten Billing-Bau bedrohlich steif über das riesige Ausstellungsbanner finsterer Zeiten streichen. „Entartete Kunst - Eintritt frei“ steht da in weißer Frakturschrift auf bedrohlichem Schwarz. Dem zum „Kulturbolschewisten“ erklärten Vater bleibt die Angst vor weiteren Repressalien, dem Sohn nur der Einzug zum Arbeits- und Kriegsdienst.

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In der Alten Bibliothek der grafischen Abteilung hören wir Rocco Brück als „historischen Sachbearbeiter“ am Kriegstagebuch trocken dokumentieren – und sehen ihn als Menschen „im äußeren Sperrkreis“ der „Führerhauptquartiere“ wie „Wolfsschanze“ oder „Adlerhorst“ in Papieren (kunstvoll inszeniert) untergehen. Der Regisseur lässt dabei bewusst vieles, was Haltungen und Hoffnungen betrifft, offen: „Fragment Felix“ eben.

Zieht man kleine Albernheiten, und Übergangswackler ab, kann der gut anderthalb stündige Abend Freunden Darstellender wie Bildender Kunst gleichermaßen empfohlen werden. Und selbst wer sich weder zu den einen noch zu den anderen zählt, macht zumindest eine originelle heimatgeschichtliche Erfahrung: Nationaltheater, Kunsthalle und indirekt auch das Marchivum zeigen Bilder einer Ausstellung, historische wie moderne Kunsträume, filmische Zeitdokumente, Figuren- und Objekttheater, Videokunst und Schauspiel. Wo sonst bekommt man so viel Mannheimer Kunst für einen Preis in einem Paket?

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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