Kunsthalle

So erinnert die Kunsthalle in Mannheim an die Neue Sachlichkeit

Die Mannheimer Kunsthalle beleuchtet in einer großen Schau die Neue Sachlichkeit und erinnert an die wirkmächtigste Ausstellung ihrer Geschichte. Man analysiert die 1920er Jahre anhand von 230 Exponaten

Von 
Thomas Groß
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Neue Sachlichkeit soweit das Auge reicht: Kuratorin Inge Herold vor Werken in der Ausstellung in der Mannheimer Kunsthalle. © Manfred Rinderspacher

Mannheim. Wie begeht ein Kunstmuseum angemessen ein „Jahrhundertjubiläum“, das ein Jubiläum der Kunst wie des Museums selbst ist? Mit einer angemessen großen Ausstellung, so wie jetzt die Mannheimer Kunsthalle - mit einer Schau, welche die betreffende Kunst ausführlich präsentiert und einordnet. Zudem dokumentiert die Kunsthalle ihre historische Leistung und bewertet sie neu. Vor (fast) 100 Jahren, 1925, präsentierte der damalige Direktor Gustav Friedrich Hartlaub die damals zeitgenössische Malerei in einer Ausstellung, die einer Kunstströmung den Namen gab oder ihn zumindest entscheidend prägte: Neue Sachlichkeit. Es ging um eine Kunst, die sich nicht mehr, wie der Expressionismus, dem inneren Ausdruck widmete, sondern wieder an den äußeren Dingen orientiert war - die bei allen Unterschieden im Einzelnen wieder realistischer war, auch in der Farbgebung, aber dennoch oft sehr expressiv wirkte.

Kunsthalle Mannheim berücksichtigt auch die internationalen Entsprechungen

Die von Hartlaub präsentierte Kunst hatte in Malern wie Dix, Beckmann, Grosz, Kanoldt, Schad, Schlichter oder Schrimpf ihre Protagonisten. Sie reagierte auf die Erfahrung des Ersten Weltkriegs und die sozialen Verwerfungen in den jungen Jahren der Demokratie; sie widmete sich auch der Dynamik des Wirtschaftslebens. Und einzelne Repräsentanten gaben in ihrem altmeisterlich geprägten Realismus dem Bedürfnis nach Ruhe und Ordnung Ausdruck.

Mannheimer Kunsthalle

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Gewisse Züge dieser Kunstrichtung hatten internationale Entsprechungen, die Hartlaub aber nicht berücksichtigte. In der Kunsthalle wird nun auch dies illustriert; zudem präsentiert die von Inge Herold kuratierte Schau „Die Neue Sachlichkeit - Ein Jahrhundertjubiläum“ einige Künstlerinnen, die für die Strömung wichtig wurden, bei Hartlaub aber ebenfalls fehlten. Mit Anita Rée, Jeanne Mammen oder Lotte Laserstein sind höchst individuelle Künstlerinnen dabei, die je für sich eine Entdeckung lohnen und den Gesamteindruck entscheidend prägen.

Mit rund 230 Exponaten von 124 Kunstschaffenden ist dies eine umfassende und das Publikum fordernde Ausstellung. Zugleich ist sie derart klar gegliedert, dass der Zusammenhang in der Fülle immer deutlich bleibt, ebenso die Verbindung zur Grafikschau „hart & direkt“ im Jugendstiltrakt des Museums. Wie diese behält die neue Ausstellung Hartlaubs Unterscheidung in einen veristischen, gesellschaftskritischen linken Flügel und einen klassisch-gemäßigt wirkenden rechten bei.

Nüchtern-sachlich arbeitete auch Lotte Laserstein („Russisches Mädchen mit Puderdose“, 1928). © VG Bild-Kunst Bonn 2024/bpk Staedel Museum

Die „Jahrhundert“-Ausstellung ist eine Gesamtschau auf die Kunst der 1920er Jahre; das Verhältnis zur Hartlaub-Schau kann man sich erschließen. Exponate, die schon 1925 dabei waren, sind mit einem Hinweis versehen. Die historische Ausstellung selbst lässt sich durch eine Video-Installation im Altbau, ein Computerterminal und mithilfe des Katalogs rekonstruieren. Die Jubiläumsschau vereinigt Leihgaben und Bilder aus der eigenen Sammlung, und es spricht für das Museum, dass letztere stets hochwertig sind und immer mehr als ein bloßes Illustrationsmaterial für ein Rahmenthema. Das gilt übrigens auch für regionale Künstler wie Xaver Fuhr.

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Der Parcours beginnt im Erdgeschoss des Neubaus. Dort haben zunächst die drei Künstlerpersönlichkeiten mit ausgewählten Gemälden einen eigenen Auftritt, die vor allem überdauert haben und unter den deutschen Repräsentanten der Neuen Sachlichkeit die künstlerisch wichtigsten waren: Max Beckmann, Otto Dix und George Grosz. Bei Beckmann erfasst man sogleich die Eigenart, Sachlichkeit mit symbolisch-allegorischen Inhalten zu verbinden. Das aus St. Louis ausgeliehene, eminent plastisch und gegenwärtig wirkende Bild „Christus und die Sünderin“, das im Besitz der Kunsthalle war und dann durch die nationalsozialistische Kulturpolitik enteignet wurde, ist gewiss ein herausragendes Stück der Schau.

Es geht um das Bild des Menschen und gesondert das Bild der Frau

Bei Dix beeindrucken einmal mehr seine hohe Expressivität und die Fähigkeit, individuelle Figuren zugleich als Zeittypen zu kennzeichnen: Die Tänzerin Anita Berber verkörpert auf dem rot leuchtenden Porträt mit ihrem verlebten Gesicht und dem verdrehten Körper die Ausschweifung der Zeit; dem jungen „Streichholzhändler“ steht dagegen die Kehrseite, Entbehrung und Perspektivlosigkeit, ins leichenblasse Gesicht geschrieben. Und Grosz ist nicht nur der Sozialkritiker, der fratzenhaft Gesellschaftsrepräsentanten ins Bild setzte, sondern zugleich ein Porträtist von Graden und apokalyptischer Visionär. Neben diesen Positionen bietet die Schau mit einem (klassizistischen) Picasso und einer Nachtszene von Edward Hopper übrigens zwei weitere absolute Kunststars auf - deretwegen man aber nicht die exquisite, kleine „Calla-Lilie“ von Georgia O’Keefe übersehen sollte. Gegliedert ist die Schau thematisch nach Überbegriffen. Es geht um Zeitgeschichte - Politik, Wirtschaft, soziale Konflikte -, die Weiterentwicklung der Künstler über die 20er Jahre hinaus, um Neue Sachlichkeit in internationaler Perspektive, das Bild des Menschen und gesondert das Bild der Frau, wobei oft selbstbewusst und mondän wirkende Figuren porträtiert sind, als Gegensatz dazu aber auch ärmlich gekleidete, müde dreinblickende Repräsentantinnen des Proletariats. Ein eigenes Kapitel bilden Selbstporträts, welche die seit Dürer und Rembrandt geläufige Tradition künstlerischer Selbstbefragung fortsetzen.

Neue Sachlichkeit in der Kunsthalle

Die Ausstellung „Die Neue Sachlichkeit - Ein Jahrhundertjubiläum“ wird am Donnerstag, 21. November, 19 Uhr, eröffnet und ist bis 9. März 2025 in der Mannheimer Kunsthalle (Friedrichsplatz 4) zu sehen.

Öffnungszeiten: Di, Do - So 10 - 18 Uhr, Mi 10 - 20 Uhr (erster Mi im Monat bis 22 Uhr). Der gründliche Katalog kostet 40 Euro. Kuratiert wurde die Ausstellung von Inge Herold (Assistenz: Manuela Husemann, Gunnar Saecker).

Die Ausstellung ist der Höhepunkt einer Veranstaltungsreihe, die von der Kunsthalle initiiert wurde und getragen wird von den Kooperationspartnern des Netzwerks „Die 1920er Jahre in Mannheim“. Die Ausstellung „hart und direkt - Zeichnung und Grafik der Neuen Sachlichkeit“ im Altbau der Kunsthalle ist noch bis 12. Januar 2025 zu sehen.

Zu beiden Schauen findet ein umfangreiches Begleitprogramm statt, mit Vorträgen, Lesungen, Konzerten, Workshops und Führungen. Die Kunsthalle würdigt damit ihren früheren Direktor Gustav Friedrich Hartlaub (1864 - 1963), der 1925 die wirkmächtige Ausstellung „Die Neue Sachlichkeit“ organisiert hat, und wirft zugleich einen neuen Blick auf die Kunst der 1920er Jahre.

Allgemeine Info: www.kuma.art

Für den erwähnten Ausdruck des Bedürfnisses nach Ruhe stehen viele Stillleben mit Pflanzen oder Landschaftsbilder - oder auch Georg Schrimpfs Porträt einer lesenden Frau. Im Obergeschoss kann man sich davon ein Bild machen. Gummibäume, die als bedürfnislos und langlebig gelten, sind ein häufig gewähltes Motiv, ein Hinweis wohl auf die Lebenshaltung, mit der sich schwierige Zeitläufte schadlos überstehen lassen - und zugleich Vorausdeutung auf die Anpassungsleistung von Künstlern gerade des rechten Flügels in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft. Einzelne Exponate illustrieren dies auch direkt. Bäuerlich-ländliche Szenen sieht man da, sehnig-kraftvolle Körper, wie sie die Nazi-Ideologie bevorzugte - und außerdem ein paar Zwischentöne, etwa in Form von vereinzelt wirkenden, ins Leere blickenden Figuren, die eine Distanz des Künstlers zum geforderten Idealbild zu belegen scheinen.

Neue Sachlichkeit: Surreale Noten bereichern das Spektrum

In der Ausstellung insgesamt auffällig ist dies: Ernste Mimik, Leidensmienen gar dominieren bei den Dargestellten. Heiterkeit, erst recht Lachen ist hier die große Ausnahme. Man sieht auch daran, dass die angeblich goldenen Zwanzigerjahre für die allermeisten Zeitgenossen vor allem grau und dürftig waren. Sachlich-realistische Darstellungen sind die Regel. Daneben finden sich aber andere Bilder, die surreale Noten setzen. Auch deutsche Beispiele für einen magischen Realismus sowie für Einflüsse der italienischen Pittura metafisica gibt es hier; innerhalb der Jubiläumsausstellung setzen auch diese einen eigenen interessanten Akzent.

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Nicht zuletzt beweist diese gründliche und sehenswerte Schau um einmal mehr, dass sich die Beschäftigung mit dieser Zeit noch immer lohnt. Und das gilt noch besonders für eine Gegenwart, in der gesellschaftliche Spannungen offenbar wieder zunehmen.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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