Interview

Lohnt sich das Bäckerhandwerk noch, Herr Kütscher?

Der Direktor der Akademie des Deutschen Bäckerhandwerks in Weinheim glaubt trotz der Herausforderungen an die Zukunft der Branche

Von 
Tatjana Junker
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Weinheim. Explodierende Rohstoff- und Energiepreise, scharfe Konkurrenz – das Bäckerhandwerk hat mit reichlich Gegenwind zu kämpfen. Bernd Kütscher, Direktor der Akademie des Deutschen Bäckerhandwerks im Weinheimer Waldschloss, sieht trotzdem Zukunft für die Branche – und wünscht sich von den Verbrauchern mehr Bewusstsein beim Brotkauf.

Herr Kütscher, die explodierenden Energiepreise treffen das Bäckerhandwerk besonders stark – wie dramatisch ist die Lage?

Bernd Kütscher: Die Betriebe stehen vor riesigen Herausforderungen, weil Backen sehr energieintensiv ist. Neben den Backöfen selbst betrifft dies weitere Bereiche, etwa gekühlte Räume für die langen Teigreifezeiten über Nacht. Erst gestern hat mir ein Betrieb berichtet, dass er für seinen Strom statt 40 000 Euro künftig 220 000 Euro im Jahr bezahlen soll. Wie soll das gehen? Nach der kräftezehrenden Corona-Krise gibt es für solche Kostensteigerungen keinerlei Reserven mehr. Dazu kommt, dass auch die Personalkosten und Rohstoffpreise enorm gestiegen sind. Leider auch durch Spekulationen am Markt: Es wird weltweit ein Vielfaches an Getreide gehandelt, als überhaupt angebaut wird. Insofern hoffen viele darauf, dass die angekündigten Entlastungen bei den Energiepreisen bald kommen, nicht nur Bäckereien.

Direktor in Weinheim

Bernd Kütscher (54) ist Direktor der Akademie des Deutschen Bäckerhandwerks im Weinheimer Waldschloss.

Sie ist die zentrale Bildungseinrichtung aller Bäckerverbände in Deutschland.

Kütscher leitet sie seit 16 Jahren, zudem ist er seit 14 Jahren Geschäftsführer des Deutschen Brotinstituts in Berlin.

Der Bäcker- und Konditoren-Weltverband UIBC (Madrid) hat Kütscher vor einigen Jahren zum Jurypräsidenten seiner Weltmeisterschaften ernannt. Die nächste wird im Februar in Taiwan stattfinden.

Das deutsche Team, das in Weinheim trainiert wird, geht als Titelverteidiger an den Start.

Bernd Kütscher isst übrigens am liebsten kräftig gebackene Brotsorten mit Sauerteig – und langen Teigreifezeiten. tat (Bild: akademie-weinheim.de)

Schon heute ist häufig die Rede von einem Bäckereisterben. Lohnt sich das Handwerk nun endgültig nicht mehr?

Kütscher: Es gab und gibt kein Bäckereisterben. Das, was wir seit Jahrzehnten am Markt sehen, ist eine Konsolidierung, welche es in vielen Branchen gibt. Die Zahl der Bäckereien sinkt zwar, weil junge Menschen seit vielen Jahren die enormen Chancen im Handwerk verkennen und lieber studieren. Es fehlt an Nachfolgern, Betriebe müssen schließen. Gleichzeitig bleibt aber die Zahl der Verkaufsstellen stabil, weil die verbleibenden Unternehmen die Lücken schließen und neue Filialen eröffnen. Wir haben ja gerade erst gesehen, dass ein Finanzinvestor bei einer Bäckerei aus der Region eingestiegen ist (bei Görtz, Anm. d. Redaktion). Das tut niemand, wenn er glaubt, dass die Branche keine Zukunft hat.

Was raten Sie Betrieben in der aktuellen Situation?

Kütscher: Die Betriebe des Bäckerhandwerks arbeiten seit vielen Jahren intensiv daran, sich für die Zukunft aufzustellen, und es ist unsere Aufgabe, dabei zu helfen. Die Palette der Themen reicht von Backkursen für Quereinsteiger bis zur staatlich anerkannten Brot-Sommelier-Ausbildung und von Meisterkursen für Bäcker und Konditoren bis zum Bäckereimanagement-Studium. Darin raten wir unter anderem, das gesamte Sortiment auf den Prüfstand zu stellen. In manchen Fällen rechnet es sich einfach nicht mehr, von Montag bis Samstag und von früh bis spät ein riesiges Angebot an Back- und Konditoreiwaren ständig verfügbar zu halten. Weniger ist oft mehr.

Mit Blick auf die hohen Rohstoffpreise wurde zuletzt vor einem „Zehn-Euro-Brot“ gewarnt. Auf was müssen sich Verbraucherinnen und Verbraucher einstellen?

Kütscher: Ein Zehn-Euro-Brot kenne ich nicht, doch es stimmt durchaus, dass das billige Brot beim Discounter dem Handwerk weh tut. In Deutschland spart man offenbar gerne beim Essen und gibt das Geld lieber für das neuste Smartphone aus. Das hat seinen Preis – der wird aber nicht vom Kunden, sondern von der Umwelt bezahlt.

Wie meinen Sie das?

Kütscher: Das billige Produkt aus der Aufbackstation im Discounter ist ja nicht wirklich ofenfrisch, wie oft geworben wird. Es wurde in der Regel vor mehreren Wochen gebacken, in riesigen Fabriken, weit entfernt. Dann wird es tiefgefroren, in Plastik verpackt und auf Paletten in die Region gebracht. Dort wird wieder umgepackt, in kleinere Einheiten für die verschiedenen Märkte. Es entsteht nochmals Verpackungsmüll, den kein Kunde sieht. Beim Discounter wird die vor Wochen gebackene und zwischenzeitlich lange gefrorene Ware dann wieder bei 250 Grad aufgebacken. Da muss sich jeder die Frage stellen: Möchte ich diesen Irrsinn wirklich unterstützen?

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Die Frage ist aber auch, was der eigene Geldbeutel hergibt …

Kütscher: … oder wo man seine Schwerpunkte setzt. Denn jeder kann sich ein gutes Brot vom Bäcker leisten. Selbst wenn ein Brot dort sechs Euro pro Kilo kostet, was nur selten gilt, sind das bei 20 Scheiben pro Kilo nur 30 Cent je Scheibe Brot. Von zwei Scheiben werden Sie satt, also von 60 Cent. Welche anderen Lebensmittel kennen Sie, für die das in dieser Qualität gilt? Nebenbei stärken Sie die Region und tun etwas für Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Dazu kommt, dass der Besuch beim Bäcker für viele Menschen das kleine, tägliche Glück ist. Jeder kann dazu beitragen, dass diese Glücksmomente erhalten bleiben.

Redaktion Wirtschaftsreporterin

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