Mannheim. Herr Tödtmann, SAP, Heidelberger Druckmaschinen, Deutsche Bank, Otto, Amazon. Immer mehr Unternehmen rufen ihre Beschäftigten zurück ins Büro. Sind das nur Einzelfälle?
Ulrich Tödtmann: Nein, ich sehe da einen allgemeinen Trend. Es sind nicht nur die großen Unternehmen, die Sie erwähnt haben. Als arbeitsrechtlicher Berater kann ich bestätigen, dass es inzwischen auch viele mittelständische Betriebe gibt, die das Homeoffice anders als zu Corona-Zeiten jetzt nicht mehr als tolle Sache betrachten.
Das Münchener Ifo-Institut kommt zu einem anderen Ergebnis. Demnach verbringen die Beschäftigten noch immer 17 Prozent ihrer Arbeitszeit zu Hause.
Tödtmann: Ich glaube dennoch, dass wir wieder zu den Werten zurückkommen werden, die wir vor Corona hatten. Auch damals gab es ja Homeoffice, allerdings auch einige Arbeitgeber, die es generell abgelehnt haben. Das wird sich langsam einpendeln. Es gibt Studien, die besagen, dass die Kreativität im Homeoffice auf der Strecke bleibt.
Wirklich? Ich führe dieses Interview mit Ihnen auch von zu Hause aus und habe nicht den Eindruck, dass meine Fragen deshalb schlechter sind.
Tödtmann: Das mag in diesem Fall so sein. Dennoch halte ich es für wichtig, dass man sich mit den Kolleginnen oder Kollegen, die man an der Kaffeemaschine trifft, spontan austauschen kann. Da ergeben sich zufällige Dinge wie: Oh, ich wusste gar nicht, dass du auch daran arbeitest, da haben wir ja etwas gemeinsam. Im Büro trifft man einfach viele Leute und bekommt Sachen mit, von denen man im Homeoffice abgeschnitten wäre.
Man kann ja auch telefonieren oder per Teams kommunizieren.
Tödtmann: Aber das macht man dann gezielt, es fehlt dann also die Spontaneität. Außerdem gibt es da schon eine gewisse Hemmschwelle, wenn ich jemanden zu Hause anrufen muss. Da frage ich als erstes: Störe ich?
Warum denn? Wenn ich zu Hause arbeite, muss ich doch erreichbar sein, sonst funktioniert das mit dem Homeoffice nicht. Da müssen Sie sich doch nicht zieren?
Tödtmann: Meine Erfahrung ist, dass die Leute sich die Arbeitszeit zu Hause auf mehrere Abschnitte verteilen. Die jungen Mütter und Väter arbeiten dann ein paar Stunden, dann kümmern sie sich um den Haushalt und das Kind und arbeiten dann abends länger. Da ist die Frage schon berechtigt, ob ich störe. Aber zurück zu Ihrer Ausgangsfrage: Ich glaube schon, dass die Unternehmen jetzt einen Mittelweg suchen. Da herrscht inzwischen Konsens darüber, dass alle zumindest an manchen Tagen an Bord sein sollen. Sonst ufert das aus. Das Paradebeispiel dafür ist ja die SAP. Da mussten die Beschäftigten gar nicht mehr ins Büro. Und jetzt gibt es Riesenstreit, weil das Unternehmen will, dass die Leute an drei Arbeitstagen nach Walldorf kommen sollen.
Bei der SAP gibt es eine Betriebsvereinbarung, die das Unternehmen ohne Zustimmung des Betriebsrats aufgekündigt hat. Begründung: Die sei keine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit. Der Betriebsrat ist dann vors Arbeitsgericht Mannheim gezogen. Jetzt soll eine Einigungsstelle bei SAP den Streit schlichten.
Tödtmann: Homeoffice kann auf verschiedenen Wegen vereinbart werden. Ich kenne die Betriebsvereinbarung bei der SAP nicht. Nach herrschender Rechtsauffassung ist das Homeoffice aber kein Gegenstand der zwingenden, sondern der freiwilligen Mitbestimmung. Das hat dann unterschiedliche Konsequenzen. Bei der freiwilligen Mitbestimmung läuft die Betriebsvereinbarung unter Einhaltung der Kündigungsfrist aus. Dann gilt wieder der allgemeine Grundsatz des Vertrags, in dem drin steht, dass der Arbeitsort beispielsweise Walldorf ist. Dann kann der Arbeitgeber über das sogenannte Direktionsrecht die Beschäftigten wieder ins Büro zurückholen. Wenn ein Gericht das aber rechtlich anders bewertet und im Homeoffice einen Gegenstand der zwingenden Mitbestimmung ausgeht, gilt die Betriebsvereinbarung solange, bis eine neue geschlossen wird. Ich wundere mich ehrlich gesagt darüber, dass das Arbeitsgericht nicht darüber entscheidet, sondern eine Einigungsstelle das lösen soll..
Vergrätzen die Arbeitgeber nicht ihre Belegschaft, wenn diese wieder öfter im Büro arbeiten muss? Da sucht sich der ein oder andere dann auch einen neuen Job.
Tödtmann: Natürlich gibt es eine Reihe von Arbeitnehmern, die sich das dann überlegen. Nach meiner Erfahrung schlucken die meisten es aber schon und bleiben ihrem Unternehmen treu, wenn das Homeoffice beispielsweise von vier auf zwei Tage die Woche reduziert wird. Und selbst wenn sie eineinhalb Stunden entfernt vom Arbeitsort auf dem Land wohnen, werden sie eher bleiben, denn wo wollen sie dort denn arbeiten? Außerdem dürfen wir nicht vergessen: Die Zahl der Arbeitslosen wächst in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise.
Ulrich Tödtmann
Ulrich Tödtmann wurde am 12. Mai 1964 in Düsseldorf geboren.
Er ist Partner bei der Mannheimer Kanzlei Rittershaus.
Tödtmann ist neben dem Arbeitsrecht spezialisiert auf Gesellschaftsrecht, Unternehmenskäufe und -verkäufe, die Compliance und die wirtschaftsrechtliche Beratung von Unternehmen sowie das Energierecht.
Er war früher Chefsyndikus bei der Mannheimer MVV.
Das heißt, die Arbeitnehmer sitzen – Stichwort Fachkräftemangel – nicht mehr am längeren Hebel?
Tödtmann: Genau. Die Gewichte haben sich da wieder verschoben. Ich nenne Ihnen da mal ein Beispiel aus der Praxis: Mir hat vor einem halben Jahr ein mittelständischer Unternehmer erzählt, was für eine Pfeife einer seiner Arbeitnehmer ist, der sei dauernd krank und könne nichts wegschaffen. Da meinte ich zu ihm: Dann lass’ uns doch mal ein Konzept entwerfen, wie du dich von dem trennen kannst. Der antwortete darauf: auf keinen Fall! Ich bekomme doch keinen anderen. Das bisschen Arbeit, das er macht, ist immer noch besser als gar nichts. Inzwischen hat er seine Meinung revidiert und will ihn loswerden. Die Wirtschaftslage hat sich einfach geändert, die Arbeitgeber wollen sich jetzt von solchen Leuten trennen. Jeden Tag lesen wir ja inzwischen in der Zeitung, dass die Unternehmen Tausende Stellen streichen wollen. Und in der Regel sind die Abfindungsbedingungen nicht so luxuriös wie bei der SAP.
Sie haben in einem Beitrag für die Neue Juristische Wochenschrift auf die rechtlichen Fallstricke beim Homeoffice hingewiesen.
Tödtmann: Viele Unternehmen haben die Einführung des Homeoffice nicht wirklich geregelt und ihren Beschäftigten nur mündlich gesagt, ihr könnt auch nach Corona im Homeoffice bleiben. Und da stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber das so einfach widerrufen kann. Da könnte der Arbeitnehmer auf die Idee kommen, dass das Homeoffice ja jetzt schon seit Jahren zur betrieblichen Praxis gehört und ihm auch nicht mitgeteilt wurde, dass dies nicht auf Dauer gelte und deshalb nicht einfach widerrufen werden könnte. Ich fürchte, dass die Arbeitnehmer damit nicht durchkommen werden, ich habe ja schon vorher auf das Direktionsrecht des Arbeitgebers hingewiesen.
Aber dann ist doch rechtlich alles klar, oder?
Tödtmann: Naja, es gibt ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf, das zu einem ganz anderen Schluss kommt. Die Richterinnen und Richter meinen, dass es nicht ausreicht, wenn in der Vereinbarung steht, dass der Arbeitgeber das Recht auf Homeoffice widerrufen kann und nicht verpflichtet ist, die Gründe dafür zu nennen. Das ist dann in den Augen des Gerichts eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers, weil der Arbeitgeber nicht willkürlich nach Gutsherrenart entscheiden kann.
Auch beim Homeoffice gilt also das alte Sprichwort: zwei Juristen, drei Meinungen?
Tödtmann: Ganz so schlimm ist es nicht. Es kommt aber immer darauf an, was vereinbart wurde. Bei der SAP war es eine Betriebsvereinbarung, viele Arbeitgeber haben es gar nicht geregelt, da dürfte es unproblematisch sein, wenn sie die Leute wieder zurück ins Büro beordern wollen. Und dann gibt es eben Unternehmen, die haben ihren Arbeitnehmern etwas Schriftliches gegeben oder sich zumindest per E-Mail ausgetauscht. Und dann kommt es eben, wie das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf zeigt, darauf an, was drin steht.
Manche Arbeitgeber erlauben auch mobiles Arbeiten.
Tödtmann: Ja, eben nicht nur zu Hause, sondern im Flugzeug, in der Bahn oder sogar im Ausland. Die Arbeitgeber sollten da allerdings aufpassen. Wenn der Beschäftigte meint, dass er das Winterhalbjahr und noch mehr in Portugal verbringen will, weil es dort wärmer ist, kann das für den Arbeitgeber teuer werden.
Warum denn?
Tödtmann: Weil sich dann nach 181 Tagen die portugiesischen Sozialversicherungsträger und das Finanzamt melden und vom Arbeitgeber zusätzlich zu den bereits in Deutschland abgeführten Beiträgen noch Sozialversicherungsbeiträge und Steuern nach portugiesischem Recht fordern. Der Arbeitgeber muss dann also doppelt bezahlen.
Gibt es noch andere Fallstricke?
Tödtmann: Viele Unternehmen machen sich zu wenige Gedanken darüber, dass das Arbeitsschutzgesetz und die Arbeitsstättenverordnung auch im Homeoffice gelten. Meine Schwester ist über ein Druckerkabel gefallen und hat sich den Arm gebrochen. Das war während der Corona-Zeit, da hat man beide Augen zugedrückt. Aber inzwischen dürften die Berufsgenossenschaften bei Arbeitsunfällen im Homeoffice nicht mehr so großzügig sein. Wenn der Arbeitnehmer von der selbst gebauten Treppe zum ausgebauten Homeoffice im Speicher abstürzt und eine Querschnittslähmung davonträgt, dürfte die Berufsgenossenschaft den Arbeitgeber auf Schadenersatz für die Heilungskosten in Regress nehmen, weil er seine Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung verletzt hat.
Viele Arbeitgeber meinen, sie könnten das umgehen, indem sie nur „mobiles Arbeiten“ zulassen und verlangen, dass der Beschäftigte 60 Prozent seiner Arbeitszeit im Büro verbringen muss. Das sei dann gar keine Heimarbeit im klassischen Sinn.
Tödtmann: Ja, das weiß ich natürlich auch. Aber solche Spitzfindigigkeiten helfen dem Arbeitgeber nicht. Sobald er zulässt, dass seine Leute von zu Hause oder anderswo als im Büro arbeiten, bewegt er sich in einer rechtlichen Grauzone, wenn er sich nicht an die gesetzlichen Vorgaben hält. Das Arbeitsschutzrecht begründet öffentlich-rechtliche Pflichten für den Arbeitgeber, die er nicht durch den privatrechtlichen Arbeitsvertrag mit dem Arbeitnehmer abbedingen kann.
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