Mannheim. Herr Maier, Sie blicken auf drei Jahrzehnte bei Arbeitsgerichten zurück. Bei Ihrer Verabschiedung werden Sie eine Urkunde über 50 Jahre im Dienste des Landes Baden-Württemberg bekommen. Wie das?
Rolf Maier: Nach der mittleren Reife begann ich 1972 meine Berufslaufbahn bei der Polizei und verbrachte nach Stuttgart die überwiegende Dienstzeit in Mannheim auf der Rheinau. Nach Abschluss des Studiums an der Fachhochschule der Polizei in Villingen-Schwenningen begann ich während meiner Tätigkeit als Polizeikommissar 1985 das Studium der Rechtswissenschaften an der Uni Heidelberg. Nach dem ersten Semester habe ich mich bei der Polizei beurlauben lassen. Nach Examen und Referendarzeit wurde ich 1993 Richter an den Arbeitsgerichten Stuttgart und Heilbronn.
Was für ein außergewöhnlicher Berufsweg! Warum haben Sie sich für Arbeitsrecht entschieden?
Maier: Zunächst war mein Wunsch, Jugendrichter zu werden – um straffällig gewordenen Jugendlichen zu helfen, auf den rechten Weg zu kommen. Das Arbeitsrecht habe ich erst näher kennengelernt, als ich dieses beim Zweiten Staatsexamen als Wahlfach wählte. Tatsächlich sollte ich damit meinen Traumjob finden. Sowohl als Arbeitsrichter wie später als Leiter eines Arbeitsgerichts. Seit 2002 in Karlsruhe und ab 2006 wieder hier in Mannheim.
Gebürtiger Mannheimer
- In seiner Geburtsstadt Mannheim hat Rolf Maier das Arbeitsgericht, das auch für Heidelberg sowie die Landkreise Rhein-Neckar und Neckar-Odenwald zuständig ist, seit Januar 2006 als Präsident geleitet.
- Ende dieses Monats geht der 67-Jährige in Pension.
Was begeistert Sie an dem Fachbereich, den Strafrichter wohl eher langweilig finden?
Maier: In der Hauptsache das Verhandeln, das Ringen um eine sachgerechte Lösung – also Parteien dabei zu unterstützen, eine einvernehmliche Konfliktlösung zu finden. Dies ist ein Weg, den der Gesetzgeber durch das Beschleunigungsgebot sowie der Kostenprivilegierung bei einem Vergleichsabschluss ausdrücklich vorsieht. Wenn das gelingt, und die Parteien danach wieder zufrieden miteinander umgehen können, ist dies ein schöner Erfolg.
Zwei von drei Prozessen enden mit Vergleich. Spötter behaupten, dies sei im Sinne der Arbeitsgerichte, weil dann kein Urteil geschrieben werden muss.
Maier: Die Stärke eines Vergleiches sehe ich darin, dass gemeinsam nach einem von beiden Parteien akzeptablen Kompromiss gesucht wird. Natürlich ist in manchen Konflikten ein klares Urteil unumgänglich. Aber oftmals schafft eher Befriedung, wenn man sich mit dem Gegenüber einigt, sich dabei irgendwo in der Mitte trifft, ohne Sieger und Verlierer. Hierzu kann und soll das Gericht seinen Teil beitragen.
Was hat sich in den letzten Jahrzehnten bei arbeitsgerichtlichen Prozessen geändert?
Maier: Da gibt es vieles. Ein Punkt ist das Streben nach einem vermeintlich perfekten Urteil. Schriftsätze der Anwälte sowie Urteile sind heutzutage oftmals ausufernd umfangreich, ohne dass darin ein Mehrwert, insbesondere für die Parteien, zu finden ist. Da muss viel gelesen werden, wobei vieles nicht unbedingt erhellend zum Verständnis für das Verfahren und sein Ergebnis beiträgt. Viele Urteile verstehen nur noch Juristen – wenn überhaupt. Dabei sollten sie für die Parteien geschrieben werden.
Arbeitsgerichtliche Verfahren spiegeln die Arbeitswelt wider.
Maier: Und die hat sich massiv gewandelt. Große Unternehmen haben gerade in unserer Region teilweise Tausende Stellen abgebaut. Hierbei gab es zwar oft Konflikte im Vorfeld, bei denen im Rahmen von Beschlussverfahren gestritten wurde. Kündigungsschutzverfahren bei Großunternehmen landeten jedoch nur noch selten bei den Arbeitsgerichten, wenn gute Sozialpläne den Personalabbau und Jobverlust abfederten. Im letzten Jahrtausend gab es hingegen noch unzählige betriebsbedingte Kündigungen, wenn Unternehmen über Jahre Personal zurückgefahren haben.
Beispielsweise?
Maier: Als ich 1996 zum Arbeitsgericht Mannheim kam, ging es bis zu meinem Weggang nach Karlsruhe gefühlt in jedem zweiten meiner Verfahren um eine Kündigung der Baugesellschaft Süba.
Spüren Arbeitsgerichte den Trend, dass Großunternehmen zahlreiche Bereiche auslagern?
Maier: Dies merken wir deshalb, weil für outgesourcte Kräfte die Bedingungen in Dienstleistungsbetrieben – seien es Reinigungs-, Kantinen-, Wach- oder Pförtnerdienste – meist deutlich ungünstiger sind. Früher hatten Konzerne solche Dienstleistungen noch mit eigenen Kräften unter den jeweils geltenden Tarifverträgen abgedeckt. Heute sind die meisten dieser Tätigkeiten fremdvergeben.
Ziehen Menschen mit Jobs im Niedriglohnsektor überhaupt vor den Kadi, wenn das, was sie einklagen, fast vom Anwaltshonorar aufgefressen wird?
Maier: Davon lassen sich sicher viele Menschen abhalten. Obgleich vor dem Arbeitsgericht Verfahren auch ohne Rechtsanwalt möglich sind. Aber ein Prozess auf fehlenden Lohn, beispielsweise ein Überstundenprozess, ist nicht leicht zu führen, wenn im Gütetermin keine Einigung gelingt. Früher waren Arbeitnehmer häufiger gewerkschaftlich organisiert, so dass Prozesse für Kläger und Klägerinnen kostenfrei von den Gewerkschaftssekretären geführt werden konnten. Im Dienstleistungssektor wurde insbesondere vor der notwendigen Erhöhung des Mindestlohns oftmals nicht genügend gezahlt. Es gab Fälle, bei denen Frauen, die Hotelzimmer reinigten, nicht entsprechend ihrer Stunden, sondern nach Zimmern weit weniger Geld bekamen.
Ich finde wichtig, dass alle Beteiligten interaktiv in einem Raum miteinander streiten, aber auch auf sich zugehen können und sich dabei ins Gesicht schauen.
Als Folge der Corona-Pandemie rechneten Arbeitsgerichte mit einer Verfahrenswelle.
Maier: Die blieb zur Überraschung aller aus. Dazu dürfte möglicherweise Kurzarbeitergeld, das immer wieder verlängert wurde, beigetragen haben. Weil es größeren Betrieben ermöglichte, Personal ohne eigene Kosten zu halten.
Hingegen gab es juristische Corona-Herausforderungen.
Maier: Richtig. Verstöße gegen das Tragen einer Maske, Streitigkeiten wegen der Impfpflicht am Arbeitsplatz oder auch vorgetäuschte beziehungsweise gefälschte Coronatests sowie Atteste gegen das Maskentragen bedeuteten rechtliches Neuland.
Gerichtsverhandlungen per Videoschalte haben während der Pandemie einen Schub bekommen. Wird der Zoom-Prozess künftig dominieren?
Maier: Diese digitale Möglichkeit war während der Pandemie äußerst hilfreich. Sie ermöglichte, Prozesse in Zeiten zu führen, in denen Kontakte vermieden werden sollten. Auch jetzt ist Videoschalte beim Klären von reinen Rechtsfragen oder aussichtsreichen Vergleichsverhandlungen durchaus hilfreich zum Vermeiden langer Fahrzeiten. Ansonsten halte ich die Verhandlung in Präsenz, beispielsweise bei einem Kündigungsschutzrechtsstreit, für notwendig und in den meisten Fällen für nicht verzichtbar. Ich finde wichtig, dass alle Beteiligten interaktiv in einem Raum miteinander streiten, aber auch auf sich zugehen können und sich dabei ins Gesicht schauen. Bei der Verhandlung in Präsenz ergibt sich oftmals auch die Möglichkeit, sich auszusprechen, was wiederum erheblich zur Streitschlichtung und zum Herstellen des Rechtsfriedens beiträgt.
Und die elektronische Akte?
Maier: Die E-Akte hat sich bei Gerichten, insbesondere bei den Arbeitsgerichten, voll durchgesetzt. Nein, zur Papierakte will bei uns niemand mehr zurück. Wenn es noch gelingt, die Performance dauerhaft zu verbessern, beispielsweise nach einem Update, macht die elektronische Akte alle glücklich.
Seit 2015 ermöglicht die Arbeitsgerichtsbarkeit in Baden-Württemberg flächendeckend, einen Prozess ruhen zu lassen und den Streit vor einen Güterichter zu bringen. Motto: Schlichten statt richten.
Maier: Dieses Format hat sich super bewährt! Insbesondere, wenn sich zwischen Streitparteien tiefe Gräben auftun, wenn menschliche Verletzungen im Spiel sind. Der große Vorteil des Güterichterverfahrens besteht in einer freien Verfahrensgestaltung, bei der auch Dritte, seien es Angehörige, Ämter oder weitere Personen, ins Boot geholt werden können.
Jeder Kammerverhandlung geht ein Gütetermin voraus. Ist damit auch jeder Arbeitsrichter beziehungsweise jede Arbeitsrichterin für Güterichterverfahren zuständig?
Maier: Nein. Güterichter und Güterichterinnen sind besonders geschult, insbesondere in Mediation. Am Arbeitsgericht Mannheim, zu dem auch die Kammern in Heidelberg gehören, gibt es drei fortgebildete Kolleginnen sowie einen Kollegen für das Güterichterverfahren. Trotz komplizierter Gemengelage sind Güterichterverfahren in deutlich mehr als jedem zweiten Konfliktfall erfolgreich.
Und wenn nicht?
Maier: Dann wird der ursprüngliche Prozess wieder streitig vor der zuständigen Kammer weitergeführt.
Bleibt der Präsident des Mannheimer Arbeitsgerichts nach seiner Pensionierung als Jurist aktiv, beispielsweise in einer Kanzlei für Arbeitsrecht?
Maier: Nein, das habe ich definitiv nicht vor. Vielmehr hoffe ich, mit meiner Frau erst mal vermehrt im Wohnmobil unterwegs sein zu können.
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