Gregor von Paczensky und seinen Leuten blieb in den vergangenen Wochen, als die Thermometer in Berlin auf über 30 Grad kletterten, wenig übrig, außer zu schwitzen. „Unsere Leute pfeifen bei solchen Temperaturen aus dem letzten Loch“, sagt von Paczensky, aber sie haben ja keine Wahl. „Wir kommen ja nicht drum herum, wir können den Müll ja nicht stehen lassen“. Paczensky ist Personalratsvorsitzender bei der Berliner Stadtreinigung BSR und vertritt damit 6000 Beschäftigte, von denen viele draußen arbeiten - bei jeden Wetter.
2022 gab es laut Umweltbundesamt, gemittelt über die Fläche Deutschlands, etwa 17,3 heiße Tage, also Tage, an denen Temperaturen von 30 Grad oder mehr gemessen wurden. Die Behörde sieht einen klaren Trend, bei dem die Hitzetage seit Mitte des Jahrhunderts immer mehr werden - eine Auswirkung des menschengemachten Klimawandels. Das hat Folgen, auch für die Arbeitswelt. Forscher gehen davon aus, dass bei großer Hitze die Produktivität sinkt. Die gesundheitlichen Gefahren dagegen steigen.
In Innenräumen, das regelt die Arbeitsstättenverordnung, soll die Temperatur 26 Grad nicht übersteigen, bei 35 Grad gilt ein Raum (ohne Gegenmaßnahmen) als nicht mehr nutzbar für Arbeit. Wer im Büro, im Homeoffice oder einer Montagehalle arbeitet, kann immerhin darauf setzen, keiner direkten Sonne ausgesetzt zu sein. Doch viele Berufe lassen sich nur draußen ausüben, dort, wo es kein Entkommen gibt vor Hitze und Sonne.
Bernhard Arenz erinnert sich noch an den Sommer von 2013. In einer Hitzewelle starben damals innerhalb von wenigen Tagen sechs Arbeiter auf Baustellen an einem Hitzschlag. Der Jüngste war 29, der Älteste 57. „Damals hatten wir eine Wetterlage mit Temperaturen von 35 Grad, und es gab noch weniger Sensibilisierung für die Gefahren“, sagt Arenz, Leiter der Hauptabteilung Prävention bei der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft. „Alle sechs Toten hatten Körpertemperaturen von über 40 Grad und wurden auch im Rahmen der Rettung nicht gekühlt.“
Maximaltemperaturen wie in Innenräumen gibt es für Arbeiten im Freien nicht
Mit dem Klimawandel würden zwar grundsätzlich keine neuen Gefährdungen in Erscheinung treten für die Arbeit im Freien. „Aber es werden bestehende Gefährdungen ganz deutlich verstärkt.“ Inzwischen, sagt Arenz, gebe es ein besseres Bewusstsein für die Gefahren. Die Berufsgenossenschaft klärt auf und unterstützt mit Arbeitsschutz-Prämien und kostenlosen Sonnenschutzpaketen. Doch Maximaltemperaturen wie in Innenräumen gibt es für Arbeiten, die draußen stattfinden, nicht. Die Verantwortung, sagt Arenz, liege beim Arbeitgeber. Der müsse vor Arbeitsbeginn beurteilen, wie hoch das Risiko ist. Bei hohen Temperaturen gebe es dann verschiedene Maßnahmen, die Arbeitgeber ergreifen können. An erster Stelle stehen technische Lösungen, etwa die Anschaffung von Baumaschinen mit klimatisiertem Führerhaus, oder auch ein Sonnensegel.
Wo das nicht reicht, müssten organisatorische Maßnahmen folgen, sagt Arenz, etwa indem man den Arbeitsbeginn nach vorn verlegt. Johannes Nießen, Vorsitzender des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), schlug nun eine „Siesta“ vor. Er sagt, dass Deutschland sich im Sommer künftig an südlichen Ländern orientieren solle: „Früh aufstehen, morgens produktiv arbeiten und mittags Siesta machen“, sagte Nießen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Ähnlich klingt, auf Anfrage, die Position des Bundesarbeitsministeriums. In südlichen Ländern, erklärt eine Sprecherin des Hauses von Hubertus Heil (SPD), sei die Siesta traditionell und kulturell verankert. Dabei gingen die Auswirkungen „weit über die Arbeitssphäre hinaus“. In Nordeuropa sei das bisher nicht der Fall, auch wenn sich Veränderungen bei der Arbeitszeit abzeichnen würden. Wenn die Tarifparteien das für sinnvoll erachten würden, würden sich „bei weiter voranschreitendem Klimawandel die Arbeitszeitgepflogenheiten mancherorts wandeln“, hieß es. Allerdings ohne Zutun der Politik.
Das reicht nicht, findet die Linke. Die Oppositionspartei plädiert dafür, dass bei zu hohen Temperaturen die Arbeiten draußen eingestellt werden müssen. „Wenn es im Büro Temperaturobergrenzen für das Arbeiten gibt, dann muss es sie fairerweise auch für den Außenbereich geben, wo man sich oft vor starker Sonneneinstrahlung und Hitze noch viel schlechter schützen kann“, sagt Co-Parteichefin Janine Wissler unserer Redaktion.
Müllabfuhr kann nicht früher beginnen - wegen Lärmschutz
Es brauche dringend eine Klimakrisen-Anpassung im Arbeitsrecht. Konkret fordert Wissler bei extrem hohen Temperaturen Hitzefrei auch für Beschäftigte, wenn sie draußen arbeiten: „Bei Extremhitze um die 37 Grad muss in bestimmten Berufen, in denen ein Schutz nicht möglich ist, die Arbeit eingestellt werden und ein Sommerausfallgeld greifen“, sagt die Linken-Politikerin.
Hitzefrei ist zumindest in der Abfallentsorgung keine Option. Helfen, sagt von Paczensky, würde es schon, wenn die BSR früher anfangen könnte. Das geht bisher nicht - wegen Lärmschutz. Und den Müll nachts abzuholen, wie es in anderen Ländern gemacht wird, lasse sich schlecht mit den Strukturen in Berlin vereinbaren, wo die Beschäftigten in Mietshäuser hineinmüssten.
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Fränkische Nachrichten Plus-Artikel Kommentar Neue, heiße Arbeitswelt