Berlin. Rein ins Büro und erst mal Händewaschen nach der U-Bahn-Fahrt. Dann Kaffee holen und mit Kollegen quatschen, während der Computer hochfährt. Für viele dürfte so ein Arbeitstag beginnen. Aber ab wann beginnt die Arbeitszeit? Beim Betreten des Büros, am Schreibtisch oder erst beim Hochfahren des Computers? „Das kommt natürlich auf die konkrete Tätigkeit an, ab wann meine Arbeitszeit beginnt“, sagt Cornelia Kaueroff, Fachanwältin für Arbeitsrecht in der Wirtschaftskanzlei Noerr in Düsseldorf. „Geht es um die klassische Bürotätigkeit, beginnt meine Arbeitszeit erst, wenn ich am Platz sitze.“
Kaueroff erklärt, dass auf dem Weg zum Schreibtisch noch keine wirkliche Arbeitsleistung erbracht werde. „Das bedeutet gleichzeitig: Jegliche Bewegungen im Büro, die nicht zu meiner Arbeit im eigentlichen Sinne zählen – Pausen, Kaffeetrinken, Toilette – zählen nicht zur Arbeitszeit.“
Doch es gibt Ausnahmen. Grundsätzlich liegt Arbeitszeit nur dann vor, wenn man als Arbeitnehmer tatsächlich eine Leistung für den Arbeitgeber erbringt. Das gilt aber nicht für Bildschirmpausen. „Denn Unterbrechungen meiner Arbeit, welche aufgrund von Arbeitsschutzvorschriften vorgeschrieben sind, zählen als Arbeitszeit“, erklärt Kaueroff.
Vergangenes Jahr sprach das Bundesarbeitsgericht das „Stechuhr-Urteil“ (Az.: BAG 1 ABR 22/21). Die Erfurter Richter hatten mit Verweis auf einschlägige Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs entschieden, dass Arbeitgeber die gesamte Arbeitszeit ihrer Beschäftigten aufzeichnen müssen. Die ohnehin geltende Rechtslage will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) möglichst noch in diesem Jahr präzisieren.
Doch der Blick in den Arbeitsalltag zeigt: So einfach ist das gar nicht. Zählt beispielsweise bei Ärzten die Rufbereitschaft zur Arbeitszeit? Schließlich müssen sie im wahrsten Sinne des Wortes auf Abruf bereitstehen und im Extremfall Leben retten. „Ist es mir während der Rufbereitschaft freigestellt, wo ich mich aufhalte, ist die Rufbereitschaft grundsätzlich keine Arbeitszeit“, erklärt Kaueroff. Und fügt an: „Muss ich während meiner Rufbereitschaft aber tatsächlich telefonieren oder arbeiten, ist dies sehr wohl Arbeitszeit.“ Und diese kann man aufschreiben.
Absprache zum Pendeln lohnt sich
Auch ein Arztbesuch zählt nicht zur Arbeitszeit. „Grundsätzlich sind Arztbesuche meine Privatangelegenheit und ich habe diese außerhalb meiner Arbeitszeit zu legen“, erklärt die Arbeitsrechtsanwältin. Aber auch hier gibt es Ausnahmen – nämlich dann, wenn der Arzt den Arbeitnehmer zu einer Untersuchung oder Behandlung bestellt hat und auf zeitliche Wünsche des Arbeitnehmers keine Rücksicht genommen werden kann. Insgesamt verweist Expertin Kaueroff darauf, besser einmal zu oft statt einmal zu wenig mit dem Chef Rücksprache zur Arbeitszeit zu halten – und sich genau abzusprechen.
Kaueroff nennt als Beispiel das Arbeiten während des Pendelns. „Jegliche Arbeit, also Leistung, die Sie für Ihren Arbeitgeber erbringen, gilt als Arbeitszeit. Dazu zählt auch im Zug arbeiten, telefonieren, Mails schreiben. Das ist klassisch Arbeitszeit.“ Doch der Arbeitgeber darf seinen Mitarbeitern das auch verbieten. „Denn häufig ist die Arbeit im Zug oder ein Telefonat im Auto nicht so produktiv wie im Büro“, weiß Kaueroff. Eine Absprache, insbesondere dann, wenn man einen langen Arbeitsweg hat und regelmäßig pendeln muss, lohnt sich.
Wem das alles zu viel wird, der hat leider Pech. Denn der Arbeitszeiterfassung kann sich niemand entziehen. „Wenn mich mein Arbeitgeber auffordert, meine Zeiten selbst zu erfassen, bin ich als Arbeitnehmer dazu auch verpflichtet“, sagt Kaueroff. Gefährlich für den Arbeitnehmer wird es, wenn er bei der Arbeitszeiterfassung betrügt. „Das ist Arbeitszeitbetrug“, sagt die Rechtsanwältin. „Denn im Endeffekt geben Sie an, mehr zu arbeiten, als Sie tatsächlich gearbeitet haben und erhalten dafür aber das volle Gehalt.“ Und das könne zu einer Kündigung führen, sogar zu einer außerordentlichen Kündigung. Wird der Arbeitnehmer das erste Mal dabei erwischt, kann es nach den Worten der Expertin auch erst einmal nur eine Abmahnung geben.
Erfassung darf kontrolliert werden
Aber wie wird man überhaupt erwischt? Dürfen Chefs den Laptop ihrer Angestellten und damit die Arbeitszeit überwachen? Technisch ist das heutzutage möglich. „Aber rechtlich ist eine Überwachung des Arbeitnehmers nicht ohne Weiteres erlaubt“, sagt Kaueroff. „Denn eine technische Überwachung des Arbeitnehmers stellt einen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar.“
Der Chef darf aber kontrollieren, ob sein Mitarbeiter seinen Pflichten nachkommt und auch, ob er seine Arbeitszeit korrekt erfasst. „Jetzt wäre es allerdings zu kurz gesprungen, wenn dem Arbeitgeber damit Tür und Tor für eine grenzenlose Überwachung des Arbeitnehmers geöffnet wäre“, schränkt die Anwältin ein. Das Bundesdatenschutzgesetz enthält daher eine entscheidende Beschränkung: Eine Erfassung personenbezogener Daten – und damit die Kontrolle des Arbeitnehmers – ist nur dann erlaubt, wenn das auch erforderlich und verhältnismäßig ist.
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