Das Wichtigste in Kürze
- Georg Müller war über 16 Jahre MVV-Chef in Mannheim.
- Die MVV plant einen Gasausstieg bis 2035.
- Der Gemeinderat kritisiert die Kommunikation der MVV.
Mannheim. MVV-Chef Georg Müller hat den Mannheimer Energiekonzern in mehr als 16 Jahren zur Nummer zwei nach der Karlsruher EnBW im Südwesten gemacht. Im Interview geht er auch auf den Streit um den Gasausstieg ein.
Herr Müller, haben Sie Angst, dass es Ihnen ab dem 1. April langweilig wird?
Georg Müller: Nein, das wird nicht passieren. Ganz im Gegenteil, ich freue mich auf ein in weiten Teilen weißes Blatt Papier und darauf, dieses Schritt für Schritt mit den Themen zu füllen, die mich interessieren.
Welche sind das denn?
Müller: Das lasse ich ganz bewusst offen. Da mag auch Energie eine Rolle spielen, aber natürlich nicht nur.
Das heißt, Sie werden also auch beruflich noch etwas machen?
Müller: Wahrscheinlich schon, aber was ich genau tun werde, lasse ich ebenfalls offen.
Hobbys haben Sie, oder definieren Sie sich nur über die Arbeit?
Müller: Neben meiner Familie interessieren mich Dinge, die in den vielen Jahren meiner Tätigkeit in Führungspositionen zu kurz gekommen sind. Zum Beispiel Kunst und Kultur sowie historische und politische Themen. Ich interessiere mich für Gesamtzusammenhänge, die man nicht so einfach erschließen kann. All dem werde ich nachgehen.
Würde Sie ein Mandat im Aufsichtsrat der MVV interessieren?
Müller: Nein, das würde auch nicht zu unserer Anteilseignerstruktur passen.
Herr Müller, ich habe Sie im November 2023 gefragt, ob Sie sich vorstellen könnten, ihr Amt vor dem regulären Vertragsende 2028 aufzugeben. Sie antworteten damals: „Diese Frage stellt sich nicht.“ Wussten Sie schon damals, dass Sie sechs Monate später ihren vorzeitigen Rückzug vollziehen würden?
Müller: Nein, sonst hätte ich mich damals auch anders geäußert. Aber meine Antwort hat schon die Option enthalten, dass dies irgendwann passieren könnte.
Ihr Vertrag enthält eine beidseitige Ausstiegsklausel. War es für Sie schon bei der Vertragsunterzeichnung klar, dass Sie diese irgendwann ziehen würden?
Müller: Diese Option zu haben, war mir wichtig.
Georg Müller
- Georg Müller wurde 1963 in Höxter (NRW) geboren.
- Der Jurist hat praktisch sein ganzes Berufsleben bei Energieversorgern verbracht, davon lange Zeit beim Energiekonzern RWE in Essen. Dort war zuletzt Vorstandsvorsitzender der Konzerntochter RWE Rhein-Ruhr AG.
- 2009 wechselte er als Konzernchef zur MVV Energie nach Mannheim. Ende März gibt er dort seinen Posten auf.
Hat Ihre Krankheit – Sie mussten ja eine monatelange Auszeit nehmen – Ihre Entscheidung früher aufzuhören beeinflusst? Vielleicht auch, weil Ihnen bewusst geworden ist, dass der Beruf doch nicht alles in der Welt ist?
Müller: Das hat keine Rolle gespielt.
Wir durchleben schon seit Jahren verrückte Zeiten. Normalerweise ändern Unternehmen deshalb auch ihre Strategie oder ihren Kurs. Warum ist das bei der MVV bisher nicht passiert?
Müller: Das Haus hat über die Jahre hinweg eine wirklich schöne Gemeinschaftsleistung hinbekommen, die sich an langfristigen Strategiebildern orientiert. In diesem Rahmen haben wir bei der kurz- und mittelfristigen Umsetzung eine ganze Menge richtiger Einzelentscheidungen getroffen.
Sie haben in den vergangenen Jahren auch ihre Gewinne – abgesehen vom fantastischen Ausnahmejahr 2023 - von rund 200 Millionen auf um die 400 Millionen Euro verdoppelt. Liegt das daran, dass die MVV als Energiehändler und -versorger jetzt höhere Preise verlangen kann?
Müller: Nein, das hat damit nichts zu tun. Der Umbau bei Strom- und Wärme auf der Angebots- und Nachfrageseite gelingt vor allem durch den längerfristigen Einsatz von Kapital. In der Energiewirtschaft braucht ein Projekt häufig viele Jahre, bis es Gewinne abwirft. Dieser Effekt ist jetzt wie erwartet zeitversetzt eingetreten. Würden die Ergebnisse nicht steigen, hätten wir mit unserer Investitionsentscheidung nicht richtig gelegen.
Die MVV will ab 2030 nur noch grüne Fernwärme erzeugen, ab 2035 wollen Sie nur noch Strom aus Erneuerbaren Energien verkaufen. Sind Sie sich 100 Prozent sicher, dass Ihnen das mit einer Punktlandung gelingen wird?
Müller: Wenn man sich keine konkreten Ziele setzt, kommt man nirgendwo hin. Auch unser unternehmerischer Erfolg ist natürlich abhängig vom energiewirtschaftlichen Umfeld, der politischen Großwetterlage und der konjunkturellen Entwicklung nach der momentanen Rezession.
Und wenn die geplanten Investitionen des Staates die Wirtschaft nicht ankurbeln würden …
Müller: … könnte dies natürlich gegebenenfalls auch Auswirkungen auf unsere strategische Ausrichtung haben. Wir agieren nicht auf einer einsamen Insel, sondern mitten im Leben. Bei den einzelnen Umsetzungsschritten denken wir übrigens schon heute in Optionen.
Was meinen Sie damit?
Müller: Nehmen wir die Vergrünung der Fernwärme. Sie ist ein notwendiger Baustein der Wärmewende. Dafür verfolgen wir einen Strauß von Ideen, zu dem auch die Geothermie gehört. Wenn wir diese zum Beispiel erst später nutzen könnten, müssten wir das über andere Techniken ausgleichen. Deshalb verfolgen wir mehrere Lösungen parallel, da wir an dem Ziel der Vergrünung bis 2030 insgesamt nicht rütteln wollen.
Stichwort Klimaschutz. Mein Eindruck ist, dass der wahrscheinlich neue Bundeskanzler Friedrich Merz wenig davon hält. Und ohne die Grünen würde ja keine 100 Milliarden Euro in diesen Bereich fließen.
Müller: Wir sollten uns die längeren Linien anschauen und uns nicht auf jede im politischen Diskurs manchmal zugespitzte Formulierung versteifen. Im Sondierungspapier von Union und SPD wird der Klimaschutz nicht relativiert. Vergleichbares gilt auf EU-Ebene. Brüssel und Berlin sind sich richtigerweise darin einig, dass wir die Systemkosten für Energie im Auge behalten müssen. Und ich finde auch – Stichwort Bürokratie -, dass die Berichts- und Prüfpflichten reduziert werden müssen. Insgesamt sehe ich also keinen Kurswechsel in Berlin und in Brüssel. Im Grundsatz liegt MVV mit seiner Positionierung auch im aktuellen politischen Umfeld richtig.
Sie haben schon vor längerer Zeit den Bau von neuen Gaskraftwerken angemahnt, die bei Dunkelflauten hochgefahren werden sollen. Passiert ist aber bisher nichts. Ist das nicht fahrlässig?
Müller: Ich bin zuversichtlich, dass die neue Bundesregierung das zügig angeht. Nach heutigem Stand der Technik können das nur wasserstofffähige Gaskraftwerke sein. Es sollte dann ab 2026 zu ersten Baubeschlüssen auf Basis von Ausschreibungen kommen.
Wie sehen Sie ihr wasserstofffähiges Gaskraftwerk in Kiel, das als eine der modernsten Anlagen ab 2035 grüne Energie liefern soll?
Müller: Die Investitionsentscheidung für das Kraftwerk wurde 2015 vor dem Hintergrund getroffen, Strom und Wärme zu produzieren. Es profitiert von seiner Kombination aus 20 einzeln steuerbaren Gasmotoren mit einem großen Wärmespeicher und einem Elektrodenkessel. Diese Einheiten können sehr individuell und flexibel gesteuert und wasserstofffähig gemacht werden.
Im Grosskraftwerk Mannheim arbeiten immerhin 500 Beschäftigte, die sich Sorgen um ihre Zukunft machen.
Müller: Das Know-how der Menschen auf dem GKM-Standort ist unbestritten. Deshalb bin ich froh, dass wir als kleinster Anteilseigner mit dem GKM selbst und den beiden Mitgesellschaftern operative Anschlussoptionen gefunden haben. Die erste Flusswärmepumpe der MVV steht dort schon und wird vom GKM betrieben. Für die zweite, wesentlich größere und auch für den Standort GKM vorgesehene, hat die Ausschreibung bereits begonnen. Auch der schon ältere Fernwärmespeicher steht auf dem Gelände des GKM. Das GKM ist energietechnisch bei Strom und Wärme gut eingebunden. Deshalb bietet der Standort neben der Netzreserve der Steinkohleblöcke bestimmt noch weitere Möglichkeiten.
Herr Müller, lassen Sie uns über den geplanten Gasausstieg der MVV reden. Die MVV hat mit ihrem Kommunikationsdesaster für große Verwirrung in Mannheim gesorgt. Sie haben deshalb vergangene Woche im Gemeinderat versucht, die Wogen zu glätten. Die Debatte darüber war mitunter recht hitzig.
Müller: Nach der Debatte zählt das Ergebnis. Der Gemeinderat hat einen von einer breiten Mehrheit getragenen Beschluss gefasst, der der Tatsache Rechnung trägt, dass der kommunale Wärmeplan der Stadt Mannheim und die Positionierung der MVV deckungsgleich sind.
Wirklich?
Müller: Es gibt Einvernehmen darüber, dass konventionelles Gas früher oder später nicht mehr zur Verfügung steht. Und klar ist auch, dass es auf Basis der EU-Gasbinnenmarktrichtlinie, die bis August 2026 in deutsches Recht umgesetzt werden muss, Stilllegungspläne geben wird und muss. Wir hielten und halten es für richtig, deshalb den Mannheimer Bürgerinnen und Bürgern frühzeitig zu sagen, dass wir Investitionen in konventionelles Gas nicht für zukunftsfest halten. Das gilt für den Einbau von neuen oder die Reparatur von alten Gasheizungen. Das haben wir darauf zugespitzt, dass MVV einen Gasnetzrückzug bis 2035 anstrebt.
Damit haben Sie viele Menschen in Mannheimer verunsichert und vor den Kopf gestoßen.
Müller: Ich muss einräumen, dass nicht richtig angekommen ist, dass das Jahr 2035 kein fixes Datum ist.
Dennoch wiederholt die MVV ständig die Jahreszahl 2035. Warum wundern Sie sich dann, dass dies in der Öffentlichkeit so ankommt, als handele es sich um ein fixes Ausstiegsdatum? Im Gemeinderat hat auch Oberbürgermeister Christian Specht, der MVV-Aufsichtsratsvorsitzender ist, die Kommunikationspolitik Ihres Hauses kritisiert.
Müller: Ich kann nur wiederholen, dass es kein fixes Ausstiegsdatum gab und gibt, so wie ich es auch in einem Interview mit dem „Mannheimer Morgen“ ausgeführt habe.
Gerade deshalb ist es ja bemerkenswert, dass der Gemeinderat in seinem Beschluss betont hat, dass es kein fixes Ausstiegsdatum geben darf und die MVV aufgefordert hat, keine einseitigen Schritte zu unternehmen. Schwingt da nicht eine gehörige Portion Misstrauen mit?
Müller: Noch mal: Wir haben nie ein fixes Ausstiegsdatum genannt. Auch nicht intern. Das könnten wir ja auch gar nicht, weil es noch kein Umsetzungsgesetz für Deutschland gibt. Genehmigen muss die Stilllegungspläne nach Konsultationen ohnehin die Bundesnetzagentur. Schon heute schreibt aber auch das Klimaschutzgesetz Baden-Württemberg ab 2040 Klimaneutralität vor, so dass wir ab diesem Zeitpunkt kein Erdgas mehr liefern dürfen.
Streben Sie den Gasausstieg im Jahr 2035 an, weil Sie den Konzessionsvertrag mit der Stadt Mannheim nicht verlängern wollen, der Ende 2034 abläuft?
Müller: Das Auslaufen des Konzessionsvertrags steht in keinem Zusammenhang mit unseren Überlegungen bezüglich des Gasausstiegs.
Wirklich nicht?
Müller: Wenn der Konzessionsvertrag abgelaufen ist, kann das Gasverteilnetz für Erdgas trotzdem nur noch bis 2040 genutzt werden.
Sie wollen ihn doch ohnehin nicht verlängern.
Müller: Selbst wenn das so wäre. Der Konzessionsvertrag regelt, wer öffentlichen Grund und Boden für die Verlegung von Leitungen nutzen darf. Das hat nichts mit den Eigentumsverhältnissen zu tun. Das Gasnetz würde weiter MVV gehören, selbst wenn der Konzessionsvertrag nicht verlängern würde.
Theoretisch könnte jemand die Konzession übernehmen und Ihnen das Gasnetz abkaufen. Aber das ist eher unwahrscheinlich, oder?
Müller: Darüber will ich nicht spekulieren. Aber klar ist, dass das Auslaufen des Gas-Konzessionsvertrags für sich genommen keine faktische Stilllegung des Gasnetzes nach sich zieht. Das würden wir weiterbetreiben, soweit nicht Stilllegungspläne etwas anderes vorsehen. Und klar sollte auch sein, dass es eine bundeseinheitliche Regelung für Härtefälle geben muss, also vor allem für Haushalte mit nur kurzen Nutzungsdauern von Gasheizungen. Diese Härtefälle darf der deutsche Gesetzgeber bei seinem Umsetzungsgesetz nicht ignorieren.
Nach der heftigen Debatte im Gemeinderat hat OB Specht praktisch eine Ehrenerklärung für Sie abgegeben. Sie haben sich dafür bedankt. Das fand ich schon bemerkenswert. Fühlen Sie sich persönlich verletzt?
Müller: Ich bin all den Jahren auch öffentlichen Debatten nicht ausgewichen. Aber einem MVV-Vorstandschef mangelnde Verantwortung vorzuwerfen, damit tue ich mich schon schwer.
Ihr Nachfolger Gabriël Clemens erbt von Ihnen das Gas-Thema. Wie steht er denn dazu?
Müller: Ich kenne natürlich seine Position, aber da müssen Sie ihn schon selber fragen.
Haben Sie sich an der Auswahl Ihres Nachfolgers beteiligt?
Müller: Die Entscheidung haben die Findungskommission, der Personalausschuss und der Aufsichtsrat getroffen. Diesen Gremien gehöre ich nicht an.
Letzte Frage: Wie soll man Sie eines Tages in Erinnerung behalten?
Müller: Das wird die Zeit zeigen.
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/wirtschaft/firmen_artikel,-mvv-mvv-chef-mueller-2035-kein-fixes-datum-fuer-den-gasausstieg-_arid,2294161.html
Fränkische Nachrichten Plus-Artikel Kommentar MVV-Chef Georg Müller hat eine Ära geprägt