Mannheim. Mit seinen 30 Jahren gehört Jannik Kohlbacher mittlerweile zu den Routiniers bei den Rhein-Neckar Löwen. Den Handball-Bundesligisten, der am Sonntag (18 Uhr) beim SC Magdeburg antritt, bezeichnet er gerne als „seinen“ Verein. Warum das so ist, wird im Interview deutlich.
Jannik, Sie stammen aus dem Odenwald. Was bedeutet es Ihnen, bei den Rhein-Neckar Löwen zu spielen?
Jannik Kohlbacher: Ich lebe bei den Löwen meinen Kindheitstraum. Früher habe ich auf der Tribüne der SAP Arena gesessen. Dort fuhren wir als Belohnung hin, wenn ich mit meiner Jugendmannschaft eine Meisterschaft gewonnen hatte. Im Prinzip sind die Löwen damals schon meine Handball-Heimat geworden. Oder zumindest liegen in dieser Zeit die Anfänge. In Kindheitstagen habe ich große Augen gemacht und mir gesagt: „Boah, da möchte ich auch einmal spielen.“ Und so fühlt sich das immer noch an.
Sie sind im Odenwald auf dem Bauernhof Ihrer Eltern aufgewachsen. Was hat Ihnen das Leben auf dem Land mitgegeben?
Kohlbacher: Auf dem Spielfeld bin ich eher der Typ mit vielen Emotionen. Im Privatleben genieße ich aber gerne die Ruhe, die es eben auch auf dem Land gibt. Mir reicht es, mit meiner Familie und den Hunden über Wiesen und Felder und durch Wälder zu laufen, einfach mal abseits des ganzen Trubels zu sein. Ich mag den Druck im Leistungssport, aber genauso liebe und brauche ich diesen Ausgleich, wie ich ihn auch beim Angeln erlebe.
Wie oft sind Sie noch zu Hause auf dem Bauernhof?
Kohlbacher: Ein-, zweimal die Woche. Ich muss von Ladenburg aus keine Stunde fahren.
Und wenn Sie dort sind, geht es gleich an die Arbeit?
Kohlbacher: Nein, nein. Ich kann ruhig sitzen, Kaffee trinken und mit Opa über Handball sprechen. Im ganz großen Stil mit Kühen, Schweinen und Pferden betreiben wir den Hof auch nicht mehr. Ich muss also nicht direkt die Mistgabel in die Hand nehmen, wenn ich zu Hause bin, sondern kann die schöne Bauernhof-Atmosphäre genießen (lacht).
Wann packen Sie mit an?
Kohlbacher: Bei der Heuernte gibt es kein Entkommen. Wenn ich zu dieser Zeit im Sommerurlaub wäre, würde sich mein Papa beschweren. Und das vollkommen zu Recht. In den vergangenen Jahren habe ich das immer ganz gut hinbekommen, auch wenn ich nicht bei allen Flächen dabei sein konnte.
Man könnte die Heu- und Strohernte doch auch ins Krafttraining der Löwen einbauen.
Kohlbacher: Gute Idee. Mit unserem Hallensprecher Kevin Gerwin habe ich schon mal ein Video gemacht – und er war in der Lage dazu, einen Strohballen zu werfen. Demnach sollte das auch für meine Teamkollegen kein Problem sein, ich habe damit schließlich als Acht- oder Neunjähriger begonnen. Und Papa freut sich über ein paar kräftige Jungs.
Sie angeln, lieben Tiere und mögen das Landleben. Wie bewusst erleben Sie Natur?
Kohlbacher: Sehr. Ich genieße es, durch den Herbstwald zu laufen und mache mir meine Gedanken zum Thema Ernährung. Wenn man wie ich vom Land kommt, hat man die Tierhalter seines Vertrauens und geht zum Metzger um die Ecke, der seine Tiere auf der Weide hält. Da ist mir klar: Das kann ich guten Gewissens essen, das ist keine Massentierhaltung. Auch wenn ich natürlich weiß, dass dafür ein Tier sein Leben geben musste.
Wir haben über Ihre Handball-Heimat SAP Arena gesprochen. Unter dem Dach der Halle hängen als größte Form der Ehrerbietung Banner mit den Namen großer Spieler, die den Verein prägten. Vermutlich werden Sie irgendwann zu diesem exklusiven Kreis gehören. Was denken Sie, wenn Sie unten auf dem Feld stehen und diese Banner sehen?
Kohlbacher: Ich verbinde damit ganz besondere Handballer und wirklich feine Menschen. Von Bjarte Myrhol einmal abgesehen, habe ich mit allen zusammengespielt. Ich bin jetzt bald acht Jahre hier – und so richtig greifbar ist das für mich nicht, dass ich vielleicht auch irgendwann ein Banner mit meinem Namen bekomme. Das würde mich mit Stolz erfüllen. Gehen wir die Jungs mal durch: Uwe Gensheimer, Andy Schmid, Alexander Petersson, Gedeón Guardiola, Nikolaj Jacobsen und Bjarte Myrhol, bald werden vermutlich Mikael Appelgren und Patrick Groetzki dazukommen. Das sind Ikonen, absolute Vereinslegenden, die diesen Club geprägt und sehr viel Herzblut eingebracht haben.
Sie sind seit 2018 ein Löwe, verlängerten den Vertrag mehrfach und hätten stattdessen auch zu einem anderen Verein mit größeren Titelchancen wechseln können. Warum haben Sie das nie gemacht?
Kohlbacher : Das wäre der einfache Weg gewesen. Aber ich bin kein Typ für den einfachen Weg. Und ich gebe auch nicht so schnell auf. Natürlich wäre es ein Leichtes für mich gewesen, den Club zu wechseln, um kurzfristig woanders eine größere Chance auf Titel zu haben. Aber ich bin ein Kämpfer. Und umso glücklicher war ich, als wir 2023 Pokalsieger geworden sind. Ein Titel mit meinem Verein, der schon seit Kindheitstagen einen Platz in meinem Leben hat, bedeutet mir schlichtweg mehr, als wenn ich ein paar Trophäen mehr mit einem anderen Club gewonnen hätte.
Sie kamen von der HSG Wetzlar zu den Löwen, die zu jener Zeit das Nonplusultra in Deutschland waren. Es gelang aber nicht, diesen Erfolg dauerhaft fortzusetzen. Hadern Sie manchmal damit, in den vergangenen Jahren zur falschen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein?
Kohlbacher: Ich musste mir schon oft genug anhören, dass es an mir liegt (lacht). Aber natürlich habe ich mir auch meine Gedanken gemacht, woran das liegt. Als ich den Löwen meine Zusage gab, konnte der Verein die Champions-League-Teilnahme garantieren. Nach dem Weggang von Trainer Nikolaj Jacobsen (Sommer 2019: Anm. d. Redaktion) gelang es aber leider nicht mehr, dieses Niveau zu halten. Von meinem Gefühl und meiner Herangehensweise sind die Löwen aber immer noch ein Topclub, auch wenn ich weiß, dass wir das in den vergangenen Jahren in der Bundesliga zu selten gezeigt haben.
Haben Sie also gehadert?
Kohlbacher: Die Titelchancen waren bei dem einen oder anderen Final Four da, 2023 hat es dann auch gereicht. Deswegen habe ich nie gehadert oder eine Vertragsverlängerung bereut. Sich aus dem Staub zu machen, kam eigentlich nie infrage. Es überwiegt eher der Antrieb, wieder für bessere Zeiten zu sorgen. Und ich glaube fest daran, dass das passiert.
Wie groß ist der Anteil von Trainer Maik Machulla an diesem Glauben?
Kohlbacher: Für mich war relativ schnell klar, dass ich mit Maik längerfristig zusammenarbeiten möchte. Er hat in den ersten Wochen gezeigt, dass er uns weiterbringen kann. Die Kommunikation ist super und wir sehen unsere Fortschritte.
Allerdings stimmen Leistung und Belohnung nicht ganz überein.
Kohlbacher: Da stimme ich zu. In Kiel, gegen Göppingen – diese Spiele müssen wir nach Hause bringen und gewinnen.
Maik Machulla war vor der Saison ein wenig überrascht von Ihren Führungsqualitäten. Er kannte Sie zuvor nur als Gegner. Hat der Trainer Sie von außen betrachtet falsch eingeschätzt oder haben Sie sich verändert?
Kohlbacher: Mit den Jahren wird man ein bisschen ruhiger. Also auch ich. Früher ging es bei mir mit den Emotionen zu oft in die falsche Richtung. Ich habe zu viel gestikuliert und mit den Schiedsrichtern gemeckert. Das war ein Fehler und ich kann nachvollziehen, wie so etwas auf Außenstehende gewirkt hat. Mir ging es aber immer nur um das Beste für die Löwen. Und ganz ehrlich: Als Profisportler ist es auch nicht immer ganz so einfach, Feuer und Emotionen richtig zu kanalisieren. Gerade in jungen Jahren. Da bin ich jetzt viel klarer im Umgang mit mir selbst.
Sie sind seit dieser Saison stellvertretender Mannschaftskapitän und spielen gefühlt noch einmal besser als in all den Vorjahren – was schwer genug ist. Beflügelt die Verantwortung Sie?
Kohlbacher: Es scheint so. Zumindest ist das für mich ein Thema, weil es für mich eine so große Ehre ist, dieses Amt übertragen bekommen zu haben. Wir haben vor der Saison mit Mikael Appelgren einen weiteren erfahrenen Spieler verloren, Patrick Groetzki hört im nächsten Jahr auf. Hinter diesen beiden prägenden Führungsfiguren sind zuletzt alle ein bisschen mitgeschwommen. Es ist dann aber auch für mich an der Zeit gewesen, eine neue Rolle innerhalb der Mannschaft anzunehmen.
Hinzu kommt der Job als Kassenwart. Ich habe knallhart recherchiert. Ihnen wird eine besonders strenge Regelauslegung vorgeworfen.
Kohlbacher (lacht): Ordnung muss sein. Bedeutet: Wer zu spät kommt oder etwas vergessen hat, der muss zahlen. Aber ganz ehrlich: Ich habe schon mehrfach beide Augen zugedrückt, um die Kommunikation in der Kabine zu fördern.
Jannik Kohlbacher
Jannik Kohlbacher wurde am 19. Juli 1995 geboren. Er wuchs in Reisen, einem Ortsteil von Birkenau, im Odenwald auf .
Mit dem Handballspielen begann er bei der HSG Nieder-Liebersbach/Reisen . 2009 folgte der Wechsel zum TV Großwallstadt. Nach einem Jahr bei der SG Leutershausen (2012-2013) und zwei weiteren Spielzeiten in Großwallstadt schloss sich der Kreisläufer 2015 dem Erstligisten HSG Wetzlar an. Seit 2018 trägt das Kraftpaket das Trikot der Rhein-Neckar Löwen , mit denen er 2023 Pokalsieger wurde.
Bislang bestritt Kohlbacher 125 Länderspiele. Er wurde 2016 Europameister und holte 2024 Olympia-Silber.
Weil die Kabinensprache Deutsch ist und sich nicht daran gehalten wurde?
Kohlbacher: Normalerweise sprechen wir Deutsch und Englisch. Aber bevor sich die Jungs anschweigen (lacht). Nein, ernsthaft: Wir versuchen schon, Deutsch oder Englisch zu sprechen. Allerdings sind wir auch nicht päpstlicher als der Papst. Lukas Sandell und Edwin Aspenbäck sind beispielsweise beide aus Schweden und sie spielen auf der gleichen Position. Wenn sie untereinander also taktische Feinheiten klären wollen, wäre es falscher Ehrgeiz, Deutsch von ihnen zu verlangen.
Wer braucht zwingend Ihre strenge Hand?
Kohlbacher: Ein, zwei jungen Spielern muss ich ab und zu in den Hintern treten. Daraus machen sich dann andere wiederum ein kleines Späßchen. Ich bin immer kompromissbereit und lasse mit mir reden, wenn mir jemand belegen kann, dass ich im Unrecht bin. Aber wenn ich richtig liege und es wird diskutiert, wird die Strafe eben verdoppelt.
Kapitän Patrick Groetzki ist sich nicht sicher, ob Sie auch Strafen für sich selbst aufschreiben.
Kohlbacher: Das war ja klar, dass dieser Vorwurf von ihm kommt (lacht). Er macht sich häufiger einen Spaß daraus, ein bisschen gegen mich zu sticheln. Dani Baijens nörgelt auch ganz gerne, wenn er zu seiner Überraschung bestraft wird. Aber damit kann ich leben. Am Ende wird keiner benachteiligt oder bevorzugt.
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