Für Patrick Groetzki ist das alles nicht neu. Dem routinierten Rechtsaußen sind die Tücken einer Handball-Weltmeisterschaft ebenso bestens bekannt wie die Herausforderungen. Er weiß auch um die öffentlichen Erwartungen, die stets im Januar an die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) herangetragen werden. Das Halbfinale soll es schon sein. Mindestens. Dumm nur, dass das Halbfinale in den vergangenen Jahren regelmäßig verpasst wurde. Seit Olympia 2016 eigentlich immer. Wenn man mal von der Heim-WM 2019 absieht.
Siebte WM für Groetzki
Groetzki startet am Freitag mit dem DHB-Team in seine siebte WM. Kein Deutscher hat an mehr Weltmeisterschaften teilgenommen. Er ist dann der Rekordspieler, ein erfahrener ohnehin. Der Linkshänder weiß also, wovon er spricht. Und obwohl die reinen Resultate etwas anderes aussagen, meint der 33-Jährige, dass die deutsche Mannschaft bei den vergangenen Turnieren vom Halbfinale gar nicht so weit weg gewesen sei.
Ab und zu hätte „die Stabilität“ gefehlt, manchmal seien es „zwei Tore“ gewesen, die ein besseres Resultat verhinderten. „In der Weltspitze gibt es acht Mannschaften, die sich gegenseitig besiegen können“, sagt der Mann von den Rhein-Neckar Löwen. Die Deutschen zählt er ausdrücklich dazu. An einem guten Tag, da ist er sich sicher, sei für sein Team jeder Gegner schlagbar. Und in einem K.o.-Spiel sei ohnehin immer alles möglich.
Deutscher WM-Kader
- Tor: Andreas Wolff (Kielce/Polen), Joel Birlehm (Rhein-Neckar Löwen).
- Linksaußen: Lukas Mertens (SC Magdeburg), Rune Dahmke (THW Kiel).
- Rückraum links: Paul Drux (Füchse Berlin), Philipp Weber (SC Magdeburg), Julian Köster (VfL Gummersbach).
- Rückraum Mitte: Juri Knorr (Rhein-Neckar Löwen), Luca Witzke, Simon Ernst (beide SC DHfK Leipzig).
- Rückraum rechts: Kai Häfner (MT Melsungen), Djibril M’Bengue (Bergischer HC), Christoph Steinert (HC Erlangen).
- Rechtsaußen: Patrick Groetzki (Rhein-Neckar Löwen), Lukas Zerbe (TBV Lemgo).
- Kreis: Johannes Golla (SG Flensburg-Handewitt), Jannik Kohlbacher (Rhein-Neckar Löwen), Tim Zechel (HC Erlangen).
Zunächst müssen die Deutschen so weit kommen. Nach dem Vorrunden-Auftakt gegen Katar am Freitag (18 Uhr) folgen die Aufgaben Serbien (Sonntag, 18 Uhr) und Algerien (Dienstag, 18 Uhr). Die DHB-Auswahl will die maximale Punktausbeute mit in die Hauptrunde nehmen, in der sie auf die ersten drei Teams der Gruppe F (Norwegen, Niederlande, Argentinien, Nordmazedonien) trifft. Mit Ausnahme von Norwegen sind das alles Gegner, die das deutsche DHB-Team schlagen kann. Schlagen muss. Wenn es den Anspruch hat, in die Weltspitze zurückzukehren und im nächsten Jahr bei der Heim-EM um Medaillen zu spielen. Und diesen Anspruch hat diese Auswahl, bei der es ja immer zwei Diskussionsebenen gibt.
Auf der ersten geht es darum, was die Mannschaft der größten Handballnation der Welt denn leisten müsste. Auf der anderen, was sie gerade leisten kann. Es ist ein Spannungsfeld, in dem sich jeder Bundestrainer bewegt. Ein Aus im Viertelfinale mutmaßlich gegen Spanien oder Frankreich – es wäre vertretbare. Ein vorzeitiges Scheitern würde allerdings Diskussionen mitbringen. Und zwar berechtigte.
Fast der bestmögliche Kader
„Wir alle wissen, dass wir etwas Besonderes bringen müssen, um möglich lange dabei zu sein“, sagt Bundestrainer Alfred Gislason, der die Mannschaft Anfang 2020 von Christian Prokop übernahm. Sein Vorgänger wurde WM-Vierter und EM-Fünfter. Er war tatsächlich nah dran an einer Medaille. Mit Gislason belegte die DHB-Auswahl WM-Platz zwölf (2021) und EM-Rang sieben (2022) – allerdings jeweils unter erschwerten Corona-Bedingungen.
Doch diesmal stehen ihm mit Ausnahme von Fabian Wiede alle Spieler zur Verfügung, die nicht wie etwa Hendrik Pekeler, Patrick Wiencek oder Steffen Weinhold aus dem Nationalteam zurückgetreten sind oder gerade im DHB-Dress eine Pause einlegen. Sprich: Wesentlich besser kann dieser Kader nicht sein, es gibt keine Ausreden. Gislason ist von seinem Aufgebot allerdings auch überzeugt: „Für viele gehören wir nicht zu den Favoriten, aber wir haben schon sehr gute Qualität.“
Fortschritte gemacht
Der Bundestrainer spricht von großen Fortschritten, die seine Mannschaft in den vergangenen zwei Jahren gemacht habe. „Wir haben uns sehr deutlich im Angriff entwickelt, spielen flexibler und nutzen die Breite besser. In der Deckung haben wir mit der 6:0 und der 3:2:1 zwei Varianten. Und wir haben nur noch einen Spieler (Philipp Weber: Anmerkung der Redaktion), der kaum in der Abwehr spielt, alle anderen machen beides.“
Und genau das sei sehr wichtig, wenn man gegen „routinierte Teams“ spiele. Bei „zwei oder sogar drei Wechseln“ habe man „keine Chance, zu gewinnen“. Dass er in den beiden Testspielen gegen Island (30:31 und 33:31) phasenweise entgegen seiner Überzeugung handelte und trotzdem zwei Abwehr-Angriff-Wechsel vollzog, fiel allerdings auf. Und wurde von den Nordmännern erwartungsgemäß bestraft.
Die Isländer nutzten das Durcheinander mit einem schnellen Tempospiel, das auch die Deutschen bei der WM zeigen wollen. Dafür brauchen sie eine starke Abwehr, mit der sich Defizite in der individuellen Klasse im Angriff leichter ausgleichen lassen. „Es muss das Motto dieser Mannschaft sein, dass wir aus der Deckung mit Geschwindigkeit ins Spiel kommen und uns nicht im Positionsangriff aufreiben“, sagt Torwart Andreas Wolff, dessen Stern beim sensationellen EM-Sieg 2016 in Polen aufging. Nun reisen die Deutschen wieder ins östliche Nachbarland, der in der Vergangenheit für forsche Ziele bekannte Schlussmann schlägt allerdings ungewohnt bescheidene Töne an. Man müsse „von Spiel zu Spiel denken“.
Es ist ein Satz, den man halt so dahersagt, wenn man nicht genau weiß, wo man steht. Am Freitagabend dürften die Deutschen schlauer sein.
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Fränkische Nachrichten Plus-Artikel Kommentar Für die deutschen Handballer steht bei der WM viel auf dem Spiel