FN-Interview

Bayern-Legende Klaus Augenthaler: „Zu viele Egoisten im Fußball"

Der Fußball-Weltmeister von 1990 und langjährige Kapitän des deutschen Rekordmeisters ist der Überzeugung, dass der Begriff „elf Freunde“ so eigentlich nie zugetroffen hat

Von 
Klaus T. Mende
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FC-Bayern-Legende Klaus Augenthaler wäre heute gerne nochmals Profi, „weil mir Fußball Spaß macht, aber nicht, weil es jetzt mehr zu verdienen gibt“, sagte er am Rande seines Auftritts bei den „Igersheimer Impulsen“ im Interview mit den Fränkischen Nachrichten.

Herr Augenthaler, welchen Stellenwert hat der Fußball gegenwärtig noch für Sie?

Klaus Augenthaler: Ich lebe nach wie vor für den Fußball und bin weiterhin beim FC Bayern angestellt – im Jugendbereich und in der Trainerausbildung. Momentan betreue ich 15 amerikanische Jugendspieler – und das macht mir großen Spaß.

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Was reizt Sie an dieser Arbeit?

Augenthaler: Wenn ich mich zurückerinnere mit 15, 16 Jahren, da hatte ich mir Ziele gesetzt. Und dann war es mein Traum, mit 16 Jahren Profi zu werden. Diese Jungs leben dafür, ihre Einstellung stimmt, sie haben fast alle gesagt, ihr Ziel sei, irgendwo als Profi unterzukommen.

Wie ist es denn um den kickenden Nachwuchs insgesamt bestellt?

Augenthaler: Das ist schwierig, weil ich mich da nicht so reinversetzen kann. Die U 17 hat zuletzt hervorragende Ergebnisse erzielt, aber es stellt sich die Frage: Wo sind unsere U 19 und U 21 Spieler? Wenn man sich bei den Bundesligisten umschaut, sind sehr wenige deutsche Nachwuchsspieler zu finden.

Woran liegt es, dass derzeit so wenige junge Spieler den Weg nach oben finden?

Augenthaler: Auf der einen Seite brauche ich, wenn ich als Trainer arbeite, Ergebnisse, und habe deswegen nicht die Zeit, zwei, drei junge Spieler zu integrieren. Doch wenn die Ergebnisse nicht stimmen, ist man die längste Zeit Trainer gewesen.

Gibt es hierzulande genügend talentierten Nachwuchs, der in den Profivereinen Fuß fassen könnte?

Augenthaler: Es kommt zunächst einmal darauf an, ob sie die Chance kriegen, in einer Bundesligamannschaft Spiele zu bestreiten, um sich weiterzuentwickeln.

Ist die Abschaffung von Ergebnissen und Tabellen der richtige Weg?

Augenthaler: Ich kann es mir nicht vorstellen. Wenn ich Fußballer bin, spiele ich doch, um zu gewinnen oder zu verlieren, um Erster oder Zweiter zu werden. Was habe ich für einen Anreiz, wenn die Tabellen wegfallen? Ich bin strikt dagegen.

In den letzten Jahren war – mit Ausnahme des FC Bayern – in Deutschland eher Schmalhans Küchenmeister, was internationale Erfolge angeht. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation?

Augenthaler: Der FC Bayern hat zuletzt international auch nicht ganz den Ansprüchen genügt, ist in den letzten drei Jahren jeweils im Viertelfinale ausgeschieden. Die Erwartungen in München sind, mindestens mal wieder ein Halbfinale oder ein Endspiel zu erreichen. Klar ist der FC Bayern für den deutschen Fußball national wie international das Aushängeschild. Aber dennoch bleibt zu hoffen, dass andere Vereine wie Dortmund auf europäischer Ebene auch mal wieder eine bessere Rolle spielen. Momentan können wir nicht mithalten mit den Spaniern oder den Italienern, geschweige denn mit den Engländern.

Vereinstreue, für die Sie ein Musterbeispiel sind, ist für viele Profis inzwischen ein Fremdwort. Wieso ist dies so?

Augenthaler: Ich tue mich schwer, wenn mich heute einer fragt: „Nenne mir mal vier, fünf Spieler von Mainz oder von Leverkusen.“ Hierbei spielen auch die Berater eine große Rolle. Wenn der Spieler zwischendurch mal in einigen Begegnungen nicht eingesetzt wird, sagt er seinem Berater, er soll sich nach einem anderen Verein umschauen. Es gibt Spieler, die sind gerade mal 24 oder 25 Jahre alt, und waren bereits bei zehn Vereinen aktiv.

Wie stehen Sie zu diesen Beratern?

Augenthaler: Ich bin nicht gegen sie. Aber ist der Berater derjenige, der seinen Schützling einschätzen kann? Und der weiß, in welcher Liga er spielen kann? Oder geht es nur um die Finanzen?

Sie selbst hatten nie einen Berater?

Augenthaler: Nein, das hat sich auch nie ergeben. Zu meiner Zeit war Lothar Matthäus der erste und einzige, der einen hatte. Ich glaube, es ist einfacher, wenn ein Dritter mit dem Präsidium verhandelt, als wenn ich mich, wie es der Fall war, mit Uli Hoeneß auseinandersetzen musste.

Wären Sie unter den heutigen Rahmenbedingungen nochmals Fußballprofi geworden?

Augenthaler: Ich würde spielen, weil mir Fußball Spaß macht, aber nicht, weil es jetzt mehr zu verdienen gibt.

Wie hat sich der Fußball im Vergleich zu Ihrer aktiven Zeit verändert?

Augenthaler: Im Fußball gibt es heute zu viele Individualisten und Egoisten. Früher hat man versucht, eine Mannschaft zusammenzubauen – und da ist der Kern der Truppe über oder sechs Jahre bei einem Verein geblieben. Dies ist inzwischen viel schwieriger.

Hatte früher der Begriff „Elf Freunde“ einen höheren Stellenwert?

Augenthaler: Es war insgesamt vielleicht ein bisschen besser als heute, aber die „elf Freunde“ hat es eigentlich nie gegeben, weil jeder andere Interessen und Vorstellungen hatte. Aber man bekam viel mehr das Gefühl, das ist eine Mannschaft.

Hatten Sie nie das Bedürfnis, einen Vereinswechsel in Erwägung zu ziehen?

Augenthaler: Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich hatte immer gehofft, dass die Bayern-Verantwortlichen meinen Vertrag verlängern, wenn er ausgelaufen ist.

Auch wegen des guten bayerischen Weißbieres . . .?

Augenthaler (schmunzelt): Nein. Ich bin Bayer – und was gibt es Schöneres, als in jungen Jahren einen Vertrag beim FC Bayern zu unterschreiben und sich dann durchzusetzen – als Stammspieler, als Nationalspieler? Mir hat es beim FC Bayern München an nichts gefehlt.

Was ist denn dem FC Bayern nach dem Aus im DFB-Pokal diese Runde noch zuzutrauen?

Augenthaler: Was den DFB-Pokal angeht, könnte man jetzt sagen, gegen einen Drittligisten darf der FC Bayern nicht ausscheiden. Aber ich habe es als Spieler selbst erlebt, gegen Drittligisten nicht weiterzukommen, auch als Trainer in Nürnberg gegen Viertligist Ulm. Das macht den Pokal aus. In Saarbrücken war es bitter in der 94. Minute, doch das wird es immer wieder geben. Aber es ist für den Verein aus finanziellem Aspekt ein Problem, dass man jetzt dreimal hintereinander ausgeschieden ist. Was die CL angeht, sollte die Vorgabe sein, ins Halbfinale zu kommen. Das hat auch mit dem Renommee des deutschen Fußballs zu tun, nicht bloß mit dem des FC Bayern. Hier sollte der Verein mal wieder ein Zeichen setzen.

Wie wichtig war denn der Transfer von Harry Kane?

Augenthaler: Wenn 800 000 Harry-Kane-Trikots verkauft werden, hat sich der Transfer refinanziert (lacht). Jetzt hat er einen neuen Rekord an Toren in der Bundesliga aufgestellt. Aber entscheidend ist vor allem: Trifft er auch in der CL? Bis jetzt ist alles tip-top, aber trotzdem sollte man erst mal abwarten. Doch er ist ein super Spieler, der charakterlich hundertprozentig in die Mannschaft passt. Und er ist kein Selbstdarsteller, keiner, der sich selbst herausheben möchte. Kane arbeitet für die Mannschaft.

Thomas Tuchel wird bisweilen von diversen Experten wie Matthäus oder Hamann kritisiert. Wie fanden Sie seine Reaktion, als er das Interview vor laufender Kamera abgebrochen hat?

Augenthaler: Dies darf so eigentlich nicht passieren. Aber als Trainer ist man schon mal angefressen, wenn man permanent kritisiert wird. Und dann kann durchaus mal der Kragen platzen.

Darf ein Trainer Emotionen zeigen?

Augenthaler: Das sind doch auch bloß Menschen.

Wären Sie willens, sich als Experte im TV in Szene zu setzen?

Augenthaler: Nicht auf Dauer. Ich hatte auf dem FC-Bayern-Kanal in der Vergangenheit mal jeden Montag eine Analyse von Bayern-Spielen gemacht. Aber hierbei kann man nicht immer alles schön reden. Und dies ist nicht meins, weil ich das sage, was ich gesehen habe.

Was bewegt Leute wie Matthäus oder Hamann, regelmäßig gegen den FC Bayern zu schießen?

Augenthaler: Ich weiß es nicht, aber vielleicht sind sie sauer, dass sie nie beim FC Bayern eine Anstellung gefunden haben. Doch wenn ich Experte im TV bin, muss ich auch mal etwas kritisch vorgehen.

Haben Sie noch Ambitionen?

Augenthaler: Ambitionen habe ich schon noch: älter und kein Pflegefall zu werden (lacht). Nein, ich bin noch ein Jahr beim FC Bayern angestellt. Und danach werde ich sehen – wenn ich noch Spaß habe, ob ich noch weitermache.

Wenn Sie Ihre Laufbahn in Erinnerung rufen – würden Sie rückblickend etwas anders machen?

Augenthaler: Ich hatte eine erfolgreiche Zeit, ich war 17 Jahre beim FC Bayern, davon etwa zehn Jahre Kapitän. Es gab mal eine Phase, in der deutsche Spieler wie Matthäus nach Italien oder Klinsmann nach England gegangen sind. Und da hatte ich auch mal daran gedacht, es wäre vielleicht mal schön, allein von der Erfahrung dort zu spielen, denn der englische Fußball hat ich immer interessiert. Dennoch muss ich im Nachhinein sagen, ich habe alles richtig gemacht. Denn ich war 17 Jahre bei einem Verein, die ich mitprägen durfte – als Kapitän und mit namhaften Spielern um mich herum wie Sepp Maier, Gerd Müller, „Bulle“ Roth, Uli Hoeneß, Paul Breitner oder Franz Beckenbauer.

Redaktion Mitglied der Main-Tauber-Kreis-Redaktion mit Schwerpunkt Igersheim und Assamstadt

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