Historisches

Rothenburg: Wie der Wiederaufbau zum Glücksfall wurde

Nachdem Rothenburg durch Luftangriffe massiv getroffen wurde, gelang der Wiederaufbau. Der Zeitzeuge Michael Severini (88) blickt zurück.

Von 
Dieter Balb
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Musterbeispiel für die Standentwicklung von Rothenburg ob der Tauber: Die wiederaufgebaute Georgengasse mit Fachwerk-Ensemble. Dazu noch eine Baulücke (Mitte links) vom Luftangriff. © Dieter Balb

Rothenburg ob der Tauber. Wenn Michael Severini heute im hohen Alter zurückblickt, ist er trotz mancher Entbehrungen zufrieden und staunt immer noch darüber, es einst als Flüchtlingskind vom Zimmerer-Lehrling zum Stadtbaumeister geschafft zu haben. Dass er an Rothenburgs Wiederaufbau in den 1950er-Jahren als junger Handwerker und später in der Stadtplanung als Bauamtsleiter mitwirken konnte, ist dem 88-Jährigen eine besondere Genugtuung.

Seine Geschichte beginnt im September 1944 als Siebenjähriger mit der Flucht der geschlossenen Ortsgemeinde Lechnitz aus Nord-Siebenbürgen, um den anrückenden russischen Truppen nicht ausgeliefert zu sein. Mit Pferdewagen und Ochsengespannen zog ein Treck Richtung Wien, von dort hieß es im März 1945 erneut vor der russischen Armee nach Salzburg zu fliehen. Die Mutter, die Großmutter und sein älterer Bruder saßen auf dem Wagen. Severini: „Mein Vater hat uns dann als Kriegsheimkehrer gefunden und die Fahrt über Niederbayern 1946 nach Franken und Rothenburg organisiert. Da war die alte Dreschhalle in der Schweinsdorfer Straße die Sammelstelle für die siebenbürgischen Flüchtlinge.“

Michael Severini beim Interview. Die Stadtentwicklung verfolgt der 88jährige bis heute sehr aufmerksam und kritisch. © Dieter Balb

„Auf meinem täglichen Weg durch die Galgengasse zur Essensausgabe der Volksküche im Spitalhof, sah ich die zerbombten Häuser und das zerstörte Rathaus“, erzählt er. In Geslau wurden wir schließlich in einem Bauernhof untergebracht. Lehrstellen gab es kaum, aber Severini fand 1951 eine als Zimmermann, obwohl er das gar nicht unbedingt werden wollte. Der Zimmerei-Betrieb Hoch & Geldmacher in Rothenburg nahm ihn auf. Drei Jahre Ausbildung und zwei Gesellenjahre folgten, das hieß anfangs jeden Tag zwölf Kilometer von Geslau nach Rothenburg zu radeln, ehe die Familie in ein kleines Haus im Krebengässchen ziehen konnte.

Nach der Ausbildung sammelte Michael Severini dann in einem Stuttgarter Architekturbüro als Vorbereitung für Studium und Aufnahme-Prüfung zur Staatsbauschule neue Erfahrungen: „Das war eine große Umstellung, denn Stuttgart bot moderne Architektur bei großzügigem Wiederaufbau und neuen Trabantenstädten“, betont er.

US-Luftangriff zerstörte 40 Prozent der Altstadt

Der verheerende US-Luftangriff an Ostern 1945 legte 40 Prozent der Rothenburger Altstadt in Schutt und Asche, danach hatten 741 Familien kein Dach mehr über dem Kopf und die Stadt mußte zu ihren 9000 Einwohnern auch noch 2000 Vertriebene unterbringen. Doch man machte sich zügig an den Wiederaufbau, baute nicht nur Wohnhäuser, sondern zugleich viele Profanbauten wieder auf. „Detailtreu war es natürlich nicht möglich, aber als Neubauten in den Bestand gut eingeordnet“, erläutert Severini und verweist auf das Fachwerk-Ensemble in der Georgengasse mit dem Weißen Turm als ein Beispiel.

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Anschaulich erläutert er, wie man Dachstühle aufrichtete oder den Innenausbau bewältigte. Maschinen gab es kaum, Handarbeit zählte. Severini: „Die Materialknappheit war so groß, dass aus Brettern gezogene Nägel gerade geklopft und wieder verwertet wurden. Alles war kontigentiert, egal ob Backsteine, Dachziegel, Holz, Sand oder Zement“. Städtische Arbeiter hätten im Satteldorfer Gipswerk mitgeholfen, um an benötigte Gipsplatten heranzukommen. Sogar vom Reichsparteitagsgelände in Nürnberg habe die Stadt Platten für das teilzerstörte Rathaus organisiert, diese seien heute noch vorhanden.

„Man wollte keine Flächensanierung, sondern einen geordneten Wiederaufbau, der sich am Original orientiert“, unterstreicht Severini. Ab 1950 galt in Rothenburg eine detaillierte Baugestaltungssatzung (schon 1902 existierten Vorschriften). Architekten, Bauherrn und Handwerker sowie Politiker hätten mit dem Wiederaufbaukreis und Verein Alt-Rothenburg zusammen an einem Strang gezogen. So sei unter seinem Vorgänger Karl Rahn, der ab 1945 als Stadtbaumeister den Wiederaufbau leitete, der „Rothenburger Weg“ gelungen.

Stadtbaumeister wurde selbst in Japan zum gefragten Mann

Das Landesamt für Denkmalpflege hatte den Architekten Fritz Florin abgestellt, der habe für die „ganzheitliche Bau-Planung gesorgt und auf Sachlichkeit in der Ausführung geachtet.“ Ohne Kompromisse ging es nicht: „Bei Leuten, die sich keine Steingewände leisten konnten, ließ man halt Putzverkleidungen durchgehen“, schmunzelt Severini und ergänzt: „Neu waren die höheren Stockwerke, außerdem baute man die Häuser aneinander, wo zuvor 50 Zentimeter breite Winkel üblich waren.“

Der Stadtbaumeister wurde zum gefragten Fachmann sogar bis nach Japan, wo der „Rothenburger Weg“ interessierte. In einem Referat, das er einmal vor Fachpublikum in Stuttgart hielt, betonte Severini, das Verständnis für die Denkmalpflege sei in der Tauberstadt über Generationen gewachsen. Eigentlich seit Ende des 19. Jahrhunderts, als Künstler und Literaten Rothenburg entdeckt haben und der Fremdenverkehr begann. Severini: „Nach der Zäsur von 1945 versuchte man jedoch, das Bild der zerstörten Stadt lieber nicht nach außen dringen zu lassen.“

In den meisten ausgebombten europäischen Städten habe nach dem Krieg „die Einheitsarchitektur wilde Urstände gefeiert“, hebt Severini in seinem Grundsatzreferat hervor. Bis in die 70er-Jahre seien unnötige Abbrüche erfolgt: „Maximale Grundstücksnutzung und Kommerz war das Gebot der Stunde“. Dazu habe man noch sogenannte „markante Dominanten“‘ mitten ins Stadtbild gesetzt und damit „die Wertigkeit und Ausgewogenheit architektonisch gewachsener Städte vollends zerstört“.

Besonders stolz auf Werdegang vom Lehrling zum Stadtbaumeister

Rothenburg jedoch sei mit seinem behutsamen Wiederaufbau ein Glücksfall. Trotzdem dürfe Denkmalpflege nicht soweit gehen, „dass der Bürger wegen zu großer Anforderungen nicht mehr bauen kann“. Um den Verfall eines Gebäudes zu verhindern, habe er immer einen Kompromiss gesucht und gefunden. Leider gebe es bis heute noch einige Altstadt-Baulücken, bedauert er.

So hat Michael Severini als verantwortlicher Bauamtsleiter (1973 bis 1999) die Stadtenwicklung mit geprägt. Er erinnert an den 1993 erstellten Altstadt-Bebauungsplan, der die Umnutzung von Wohnungen in Andenkenläden oder Gastronomie ausschloss. Als ein Instrument für behutsame Sanierung sieht er die Aufnahme 1977 ins Städtebau-Förderungsprogramm. Die internationale Icomos-Tagung der Unesco von 1975 sei nicht nur eine große Anerkennung für die Stadterhaltung gewesen, sondern habe auch zu mehr Verständnis für Denkmalpflege geführt.

Auf die Frage, auf was er besonders stolz sei, meint der 88-Jährige: „Dass ich es vom Lehrbuben bis zum Stadtbaumeister geschafft habe und dies 26 Jahre lang sein durfte, davor schon neun Jahre als Stellvertreter und anschließend noch zehn Jahre als Stadtheimatpfleger – im Nachhinein gesehen war es mein Traumberuf!“ Aber ohne die Unterstützung seiner Frau Gisela hätte er das alles nicht geschafft, sagt er voller Dankbarkeit und freut sich über die große Familie mit Kindern, Enkeln und Urenkeln. Sohn Horst, Physiker und Mathematiker, ist Professor an der Uni von Oklahoma (USA) und sogar als Wissenschaftler beim Atlas-Forschungs-Projekt am Cern in Genf beteiligt.

Michael Severinis Wunsch für die weitere Stadtentwicklung, die er bis heute kritisch verfolgt: „Der Rothenburger Weg sollte im Einklang von Bürgerschaft und Denkmalpflege weitergeführt werden. Nur die Menschen, die hier wohnen und arbeiten, können die Stadt als einen Ort erhalten, in dem sich Bewohner und Besucher wohlfühlen!“

Wer Michael Severini mit seinen Erinnerungen hören möchte, kann dazu die Audio-Station der Dauerausstellung zum „Rothenburger Weg“ im Rothenburg-Museum besuchen. Dort gibt es ein altes Telefon, das nach dem Abheben einige Tondateien aus dem Interview einspielt. Auch ein Zeitzeugen-Video wurde dazu gedreht, das zu einem späteren Zeitpunkt gezeigt werden soll. Das Museum ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet.

Autor Redakteur, Wort- und Bildjournalist, Video

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