Rothenburg ob der Tauber. Sozialkritik kann man auf vielfältige Weise äußern. Das Toppler-Theater im Nordhof des ehemaligen Dominikanerinnenklosters und heutigen Rothenburg Museums hat sich für ein turbulent-schräges Verwirrspiel entschieden. Mit „Bezahlt wird nicht“ hat der neue Intendant Jürgen Eick eine Farce des italienischen Theaterautors Dario Fo ausgesucht und sie mit aktuellen Anspielungen gewürzt. Für den typisch deutschen Humor ist die italienische Urgewalt Dario Fo durchaus eine Herausforderung.
Intendant Jürgen Eick hat einen Komödiensommer versprochen, Lachen hat dabei oberste Priorität –aber nicht plump, sondern mit Hintersinn. Der Theater-Profi, der im Laufe seiner langen Karriere über 70 Theaterstücke inszeniert hat, hat sich intelligente Unterhaltung auf die Fahnen geschrieben. Er stellt hohe Ansprüche an sich, seine Mitarbeitenden, sein Ensemble und das ganze Team. Im nicht gerade dünn gesäten Sommertheater-Kosmos eine Nische finden, Glanzpunkte setzen, das ist Eicks Ziel. Das Toppler-Theater sieht er als „Lachlabor“. Hier soll zeitgemäßes, unterhaltendes Sommertheater auf hohem Niveau gezeigt werden, denn, wie es der Intendant im Programmheft ausdrückt: „Provinz ist nur da, wo man es zulässt“.
Überdrehtes Theater-Menü voller Tempo und Energie
Das fünfköpfige Ensemble serviert das überdrehte Theater-Menü voller Energie und Tempo und sucht dabei immer wieder den Dialog mit dem Publikum, das einen Abend voller irrer Situationskomik erlebt. Da kann man schon mal vergessen, dass es eigentlich nichts zu lachen gibt. Denn was Italien in den 70-er Jahren an sozialem Sprengstoff erlebte, das zieht sich durch die kapitalistische Weltordnung bis heute: bizarrer Reichtum auf der einen, blanke Armut auf der anderen Seite. Dario Fos Farce steht dabei in einer Linie mit englischen Komödien wie „Brassed off“, in der sich englische Arbeiter gegen die Schließung ihrer Zeche wehren. Einfache Menschen, im Kampf gegen die Auswüchse des Kapitalismus. Da schlägt das Herz links. Wie Dario Fo seine Protagonisten allerdings gegen steigende Lebensmittelpreise oder gegen soziale Ungerechtigkeit rebellieren lässt, das ist italienisches Volkstheater mit Klassenkampf-Attributen und dabei schräg, laut und auch grotesk.
Antonia (Atischeh Hannah Braun), eine äußerst temperamentvolle Frau mittleren Alters, und ihre eher schüchterne jüngere Freundin Margherita (Monika Reithofer) sind knapp bei Kasse, die Inflation zehrt die Ersparnisse auf. Ohne das Wissen ihrer Männer Giovanni (Udo Grunwald) und Luigi (Olaf Creutzburg) zahlen sie keine Miete beziehungsweise Raten mehr, die Zwangsräumung droht. Als aufgebrachte Frauen in ihrem Viertel einen Supermarkt mehr oder weniger plündern, sind die beiden Frauen mit dabei und schleppen die gestohlene Ware in Antonias Wohnung. Damit nimmt das Chaos seinen Lauf.
Für Giovanni steht das Gesetz über allem – gestohlene Ware würde er niemals in seiner Wohnung dulden. Also werden die Nahrungsmittel versteckt. Als Polizei anrückt, um die Plünderinnen ausfindig zu machen, greift Margherita kurzerhand zu einer List: Sie stopft sich einen Teil der Ware unter ihre Kleidung – auf einmal scheint sie schwanger zu sein. Giovanni ist komplett überfordert mit dieser Spontanschwangerschaft und hat schon Sorge, dass die Freundin seiner Frau nicht rechtzeitig ins Krankenhaus kommt. Die nächste Klinik ist ja in Ansbach – eine pfiffige Anspielung auf die aktuell geführte heftige Diskussion um die Zukunft des Rothenburger Krankenhauses. Kritische Fragen ihres Mannes kontert Antonia mit einem Totschlagargument: „Das sind Frauensachen“. Da muss jeder Mann die Waffen strecken, Logik hin oder her.
Der Polizist (Dave Wilcox, der in mehreren Rollen zu sehen ist) entpuppt sich schnell als Freund der Arbeiterklasse. „Gegen den Diebstahl der Marktwirtschaft hilft nur der Ladendiebstahl“ lautet sein verblüffendes Motto. Schwieriger wird es, als der Carabiniere auftaucht (ebenfalls Dave Wilcox) und den Schwindel mit der Schwangerschaft aufdeckt. Aber die streitbare Antonia wäre nicht Antonia, wenn sie sich und ihre Freundin nicht auch aus dieser prekären Situation herauskatapultieren würde. Wie? Darauf muss man erst mal kommen – und würde wahrscheinlich nur im tiefgläubigen Italien funktionieren. Verraten werden soll der Trick hier nicht – selber schauen! Das Energiebündel Antonia jedenfalls weiß auf alles eine Antwort und ist dabei so überzeugend, dass man sich sogar als Zuschauer irgendwann fragt, ob Margherita nicht doch schwanger sein könnte.
Ensemble meistert scheinbar heilloses Durcheinander souverän
Giovanni und Luigi werden übrigens auch noch straffällig und tauchen mit gestohlener Ware auf. Luigi hat Giovanni inzwischen darüber informiert, dass ihre Firma Leute entlassen will – da wird sogar der gesetzestreue Giovanni zum Revoluzzer. Das alles passiert in höllischem Tempo – das Ensemble präsentiert sich dabei in Bestform und meistert das scheinbar heillose Durcheinander souverän.
Perfekt passen auch das wunderbare Bühnenbild und die Ausstattung, für die Claudia Kucharski verantwortlich zeichnet. Ob defekte Tür oder Mini-Esstisch: Die bescheidenen Lebensumstände der Protagonisten stechen gleich ins Auge und bilden den perfekten Rahmen für das turbulente Geschehen. Dass die kritischen Untertöne des Stücks in dem allgemeinen Tohuwabohu etwas untergehen: geschenkt. Der Theaterabend macht Lust auf mehr.
Die zweite Eigenproduktion startet am 30. Juli: Gezeigt wird dann die musikalische Komödie „Souvenir“. Außerdem gibt es weitere Sonderveranstaltungen. Alle Infos zum Programm, das am 31. August endet, auf www.toppler-theater.de. Karten gibt es unter reservix.de. Das Theaterbüro ist unter Telefon 09861-8738794 zu erreichen, E-Mail info@toppler-theater.de.
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