Neckar-Odenwald-Kreis. Die einen beklagen die „Zwangsjacke“, die ihrer Gemeinde die Luft zum Atmen und den Platz zum Wachsen nimmt, die anderen kritisieren den „Wildwuchs“ der Baugebietsausweisungen. Sozusagen mitten drin steht der Verband Region Rhein-Neckar (VRRN), der die Leitlinien für die Entwicklung der Kommunen wie der Freiräume vorgeben soll. Die FN stellten dazu einige Fragen an den Leitenden Direktor des VRRN, Christoph Trinemeier.
Herr Trinemeier, in anderen Regionalverbänden haben die regionalen Grünzüge und andere Schutzgebiete einen Abstand von 50 bis 80 Meter zur Bebauung. In manchen Kommunen im NOK reichen sie dagegen bis an den „Gartenzaun“. Warum ist das so?
Christoph Trinemeier: Diese Tatsache resultiert aus dem noch rechtskräftigen Einheitlichen Regionalplan. Bei dessen Beschluss galt mit großer Mehrheit, damals allerdings noch unter ganz anderen Rahmenbedingungen zur Bevölkerungsentwicklung, die Auffassung, dass der Schutz des Freiraums vorrangig zu beachten ist. Und dass man deshalb, wo es fachlich begründet ist, bis an die Ortsränder herangeht. Thema der jetzt laufenden ersten Änderung des Plans ist aber gerade, dass dort, wo es notwendig und städtebaulich richtig ist, diese Restriktion zurückgenommen und zusätzliche Entwicklungsspielräume angeboten werden. Das ist das Ziel dieser Regionalplanänderung. Für diese Rücknahme muss aber ein konkreter Bedarf vor Ort bestehen und es muss eine Umweltverträglichkeitsprüfung gemacht werden – denn nach wie vor gilt, dass der Freiraum soweit irgend möglich geschützt wird.
Die Zeiten, in denen eine Angebotsplanung möglich war, und die Kommunen sich über die Bodenpreise gegebenenfalls noch untereinander Konkurrenz machen – diese Zeiten sind vorbei.
Mancher Bürgermeister wundert sich über die Einstufung seiner Gemeinde. So gelten Fahrenbach, Höpfingen und Ravenstein beispielsweise als Kommunen mit weniger „guter“ Kategorie und Perspektive, zum Beispiel in Sachen Verkehr. Das kann man nun sicher von Ravenstein, dem einzigen Ort mit Autobahnanschluss im ganzen Landkreis nicht sagen? Wie entstehen solche Einschätzungen?
Trinemeier: Jede Kommune in der gesamten Metropolregion Rhein-Neckar ist im Rahmen des Regionalplans einer sogenannten Funktionskategorie zugeordnet – mit den entsprechenden Zuwachsfaktoren von 0,8 bis 2,8. In der Begründung zum Regionalplan sind die Kriterien aufgelistet, nach denen wir diese Zuordnung vorgenommen haben.
Natürlich muss hier pauschalisiert werden. Aber vom Grundsatz her sind das für jeden nachvollziehbare und belegbare Kriterien. Dabei spielt auch das Thema „regional bedeutsamer öffentlicher Personennahverkehr“, insbesondere auf der Schiene, aber auch getaktete Buslinien, eine wesentliche Rolle. Weil uns natürlich auch daran gelegen ist, dass größere Wohngebiete nur dort entstehen, wo auch eine entsprechende Erreichbarkeit vorhanden ist. Ein Autobahnanschluss steht für eine nachhaltige Verkehrsentwicklung hier nicht im Fokus.
Einigen Kommunen im Landkreis wird ein Wachstumsfaktor von unter 1 zugeteilt. Verordnen Sie diesen Kommunen eine Schrumpfung? Warum?
Trinemeier: Das ist eine völlige Fehlinterpretation. Das Gegenteil ist der Fall. Wir verordnen niemandem Schrumpfung, sondern es wird allen Kommunen über die Eigenentwicklung ein Entwicklungsspielraum zugestanden. Auch denen, die tatsächlich schrumpfen. Alle haben einen Zuwachsfaktor. Der kleinste Zuwachsfaktor liegt bei 0,8 und fällt natürlich bei den Kommunen geringer aus, die nicht als zentraler Ort oder Wohnstandort eingestuft sind.
Der Faktor 0,8 bedeutet konkret für Fahrenbach unter 20 Bauplätze in fünf Jahren. Das ist nicht viel für einen 2700-Einwohner-Ort.
Trinemeier: Im Einzelfall müssen wir uns genauer ansehen, welche Entwicklungsmöglichkeiten es in den Bauleitplänen noch gibt. Fahrenbach hat nach unserem Kenntnisstand noch erhebliche Potenziale im Flächennutzungsplan, sodass keine zusätzlichen Spielräume erforderlich sind. Dazu kommen andere mögliche Potenziale wie die Erschließung innerörtlicher Baulücken, die Beseitigung von Leerständen und Umnutzung von ehemaligen landwirtschaftlichen Gebäuden, das spielt alles eine Rolle. Es ist aber völlig legitim, dass betroffene Kommunalpolitiker da nachbohren.
Noch bis zum 29. Juni kann jeder Interessierte eine schriftliche Stellungnahme einreichen. Denken Sie nicht, dass die Bürger und ihre Bürgermeister entmutigt oder gar frustriert sein werden, wenn sie sich jetzt beteiligen, ihre Meinung dann aber unter den Tisch fällt – weil sie eine von vielen tausend ist?
Trinemeier: Nein, wenn wir nicht offen wären für Änderungen, dann bräuchten wir dieses aufwendige Verfahren nicht machen. Es dauert jetzt sicher Monate, die Hunderte von Anregungen, Bedenken und Hinweisen aufzunehmen und abzuarbeiten, die bei uns eingehen. Wir werden jede einzelne prüfen und unseren politischen Gremien zur Entscheidung vorlegen. Ich bitte auf der anderen Seite bei diesen Vorwürfen zur „Beschränkung“ der Kommunen mit zu bedenken, dass wir auch Stellungnahmen mit ganz anderem Inhalt bekommen. Zum Beispiel von Bürgerinitiativen oder Verbänden. Der Tenor ist dort dann: „Das geht gar nicht, überall werden Flächen ausgewiesen, das ist doch viel zu viel! Das Wachstum muss Grenzen haben!“ Es gibt eben eine ganze Reihe von gegenläufigen, widerstreitenden Aspekten, die in der Planung abgewogen werden müssen, und wir müssen auf der regionalen Ebene einen sinnvollen, nachhaltigen Mittelweg finden. Das ist unsere Aufgabe. Bild: VRRN/Schwerdt
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