Main-Tauber-Kreis. Es ist feucht an diesem Morgen – der letzte Regenguss hängt noch auf den Grashalmen der Schafweide am Rand des Niederstettener Ortsteils Adolzhausen. Franz Schmidberger bringt mit dem Hänger trotzdem Wasser auf seine Schafweide: „Wir müssen den Tieren täglich ausreichend Trinkwasser anbieten, egal bei welchem Wetter“, sagt der Landwirt.
Fürs Auffüllen der Behälter am Rande der Wiese ist seit einigen Tagen die 15-jährige Lena Teuber zuständig. Sie nimmt am Programm „Landleben live“ des Evangelischen Bauernwerks Waldenburg-Hohebuch teil. Von dort aus werden jedes Jahr interessierte Jugendliche an interessierte Bauern im ganz Baden-Württemberg vermittelt: Jugendliche verbringen ihre Ferien dann einmal anders. Als Familienmitglied auf Zeit in einer Bauernfamilie, wo sie ein paar Wochen mitleben und mithelfen. Sie tauschen die Schulbank, die ihnen vertraute Umgebung ein mit aktiver Betätigung auf einem Bauernhof. „Landleben live“ heißt: Am Morgen früh aufstehen, Tiere versorgen, dem Bauern und der Bäuerin, auf dem Feld, in Haus, Hof und Garten zur Hand gehen.
„Nach den wenigen Kontakten und dem Homeschooling hatte ich einfach Lust, etwas draußen zu machen“, sagt Lena. Sie wohnt in Karlsruhe und besucht dort die Jakobus-Gemeinschaftschule, die nach den Montessori-Prinzipien arbeitet. Der pädagogische Ansatz basiert auf dem Bild des Kindes als „Baumeister seines Selbst“, geht von der natürlichen Freude am Lernen aus.
Früher habe sie durchaus Probleme mit dem Lernen und ihrem Selbstbewusstsein gehabt, erzählt Lena. Heute weiß sie ganz offensichtlich, was sie will: Die Vorstellung, für eine Weile „ganz alleine“ auf dem Land in fremder Umgebung zu leben, findet sie „cool“.
Noch vor dem Frühstück geht es mit Franz Schmidberger in die erste Runde: Ziegen werden gemolken – aus der Milch wird Frischkäse für Abnehmer in der Region produziert. Später geht es auf die Trinkwasser-Tour: Schmidberger beweidet mit seinen rund 300 Schafen Hanglagen bei Niederstetten und Weikersheim: nördlich Richtung Militärflugplatz und am „Mutzenhorn“ bei Elpersheim etwa.
Durch die Beweidung auf den oft schwer zugänglichen Grundstücken entstehen Mosaike eng verzahnter Kleinstrukturen und verschiedener Biotoptypen, die zu stabilen Ökosystemen führen. Durch Scheuerstellen, Verbiss, Kot, Tritt und Lagerplätze entstehen kleine Lebensgemeinschaften („Biozönosen“) und fördern damit die Artenvielfalt. Kleine, robuste Rinderrassen wie beispielsweise Zwerg-Zebus oder Dexter-Rinder sowie Schafe und Ziegen, wie die von Schmidberger, kommen in einem steilen Gelände gut zurecht, sind genügsam und verursachen kaum Trittschäden.
Auch das noch: Handy liegenlassen
Diese besondere Arbeit der Landwirte (siehe auch Info-Kasten) kannte Lena bisher nicht. Und überhaupt: Ihre Eltern haben ihren Einsatz zwar unterstützt, aber das Gesamtprojekt war und ist ihre eigene Sache. Und das findet die Schülerin auch gut so.
Bei der Anfahrt nach Adolzhausen „habe ich mein Handy auf dem Rücksitz liegenlassen“, erzählt sie und lacht. Jetzt habe sie auch diese Nabelschnur nicht mehr, doch das sei als Erfahrung in Ordnung. Ein paar Bücher habe sie mitgebracht, dann werde abends eben gelesen.
Das klingt alles sehr ungewöhnlich für eine Jugendliche und korrigiert etwas das Bild vom handysüchtigen jungen Menschen. Klar ist aber auch: Auf einem Bauernhof wird „geschafft“ und das bis in die Abendstunden hinein. „Natürlich gibt es auch Pausen“, sagt Lena, aber vor allem sei es eine spannende Arbeit und sie erfahre viel, was sie vorher noch nicht gewusst habe – der ganzen Kette von der Erzeugung von landwirtschaftliche Rohstoffen bis zum verkaufsfertigen Produkt entlang.
Bis zu fünf solcher jungen „Teilzeitkräfte“ nehmen die Schmidbergers in einem Jahr an. Als Gastfamilie bewerben kann sich übrigens jeder landwirtschaftliche Betrieb zwischen Wertheim und Konstanz.
Lernerfahrung fürs Leben
Zentrale Motivation für Franz Schmidberger: „Ich sehe das als wichtige Werbung für die Landwirtschaft. Jugendliche bekommen durch ihre Mitarbeit ein konkretes Bild von der Arbeit auf einem Bauernhof.“ Für die Jugendlichen bedeutet das ein besonderes Erleben: Wie Lebensmittel wachsen und gedeihen, das Leben und Arbeiten in einem anderen Rhythmus und in der Natur, etwas, das sie für ihr ganzes weiteres Leben mitnehmen, samt dem wichtigen Verständnis für die Belange der Landwirte. Ob einmal ein bäuerlicher Beruf draus wird, ist da nicht so wichtig – auch als künftige Kunden und Verbraucher schafft Wissen um die Zusammenhänge eine grundsätzliche Verbindlichkeit und ein gesteigertes Verständnis.
Teilnehmerinnen am Programm können Schülerinnen und Schüler, Jugendliche und junge Erwachsene ab 14 Jahren sein. Zeitraum: Zwei bis acht Wochen vorwiegend während der Schulferien von Frühjahr bis Herbst. Bedingungen: Der Jugendliche lebt und arbeitet in diesem Zeitraum wie ein Familienmitglied auf Zeit auf dem Bauernhof und in der Familie mit. Die Familie stellt ein Zimmer zur Verfügung und kommt für die Verpflegung und ein Taschengeld auf.
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