Caritasverband im Tauberkreis - Der Grundstein wurde am 6. März 1946 gelegt / Der Fokus der Arbeit liegt auf dem Individuum als Teil der Gemeinschaft

Seit 75 Jahren heißt es: „Not sehen und handeln“

Von 
Heike von Brandenstein
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75 Jahre Caritasverband im Tauberkreis bedeuten siebeneinhalb Jahrzehnte Dienst an den Menschen vor Ort. Das Aufgabenfeld hat sich im Laufe der Jahre – wie die Gesellschaft – stetig gewandelt.

Main-Tauber-Kreis. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war hart in Deutschland. Auch wenn die Zerstörungen in den ländlichen Regionen nicht vergleichbar mit denen in Großstädten waren, gab es Entbehrungen. Flüchtlinge aus dem Osten kamen ins Taubertal, lebten in schnell hergerichteten Barackenlagern. Manche Familie hatte kaum genug zu essen, Väter waren noch in Kriegsgefangenschaft oder gefallen. Diesen Menschen zu helfen, war eine der vordringlichsten Aufgaben des am 6. März 1946 gegründeten Caritasverbands im Tauberkreis.

Der erste Caritasdirektor Rudolf Baader und sein Team packten an, um die Not zu lindern. Flüchtlingshilfe und Familienzusammenführung, Beratung zur Existenzgründung, der Abbau der Wohnungsnot durch die Gründung der kirchlichen Neuen Heimat und der Bau von Kindergärten gehörten dazu. Auf der Burg Gamburg wurde ein Kindererholungsheim aufgebaut, in dem 1947 die erste Kindererholungskur stattfand.

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Als Baader 1949 zum Diözesan-Caritasverband wechselte, trat Oskar Maluck seine Nachfolge an. Unter seiner Ägide wurde das Angebot auf der Gamburg durch die Einrichtung einer Förderschule für junge Aussiedler aus den Ostgebieten sowie im Winter einer Bauernschule für Nachwuchslandwirte ausgeweitet. Beratungsangebote für Flüchtlinge, Mütterseminare, Brautleutewerkwochen, Seniorenferienangebote sowie das Verteilen von Spenden komplettierten das Engagement des Caritasverbands in den 40er und 50er sowie den beginnenden 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts.

War die Zentrale des Caritasverbands anfangs im sogenannten „Klösterle“ in Tauberbischofsheim, dem heutigen Pfarramt St. Martin, untergebracht, zog es später ins Winfriedheim. 1971 bezog das mittlerweile stark angewachsene Team um Oskar Maluck das umgebaute ehemalige Badenwerk-Haus am Schlossplatz 6. In diesem eigenen Haus befindet sich bis heute der Hauptsitz des Wohlfahrtsverbands.

Ausbau des Beratungsangebots

Der Ausbau des Beratungsangebots erfolgte Ende der 60er Jahre Schlag auf Schlag: 1966 wurde die Eheberatungsstelle eröffnet, 1969 folgte die „Psychologische Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche“. Dem Zuzug von Gastarbeitern geschuldet war 1972 der Aufbau des Fachdienstes für ausländische Arbeitnehmer gemeinsam mit dem Caritasverband im Neckar-Odenwald-Kreis. 1974 wurde die Eheberatung durch die Felder Familien- und Lebensberatung ergänzt, und 1975 kamen die ersten Familienpflegerinnen zum Einsatz. In den Folgejahren kam es zur Gründung der katholischen Sozialstationen in Tauberbischofsheim, Wertheim und Lauda.

Eine richtungsweisende Entscheidung für die künftige Arbeit war der Bau einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung, was heute korrekt „Menschen mit Teilhabebeeinträchtigungen“ heißt. Der Spatenstich des mit knapp 4,4 Millionen Mark teuren Projekts fand am 1. Dezember 1975 in Gerlachsheim statt. 1977 öffnete die Caritas-Werkstätte Alois Eckert ihre Pforten und ermöglichte zunächst 51 Menschen mit Teilhabebeeinträchtigungen die Integration in die Arbeitswelt.

Als Oskar Maluck 1979 in den Ruhestand ging, wurde Erhard Stephan sein Nachfolger. Auch in seiner Ära wurde viel Neues in Angriff genommen: So entstand 1980 ein Wohnheim für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung in Gerlachsheim, drei Jahre später eine Förder- und Betreuungsgruppe für Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen und 1985 die erste Werkstätte für Menschen mit seelischer Beeinträchtigung. Erhard Stephan war es auch, der die agj als Psychosoziale Beratungs- und Behandlungsstelle in sein Haus aufnahm, die heute in der ehemaligen Lioba-Schule beheimatet ist.

Ausweitung der Aufgaben

Die Aufgabenfelder sollten sich in den kommenden Jahren weiter entwickeln: Die Betreuung von Asylbewerbern und Aussiedlern kam hinzu, die Altenpflege und die Angebote für Menschen mit Beeinträchtigungen wurden ausgeweitet. Neue Handlungsfelder, wie die Erziehungshilfen für straffällige Jugendliche, die Schuldnerberatung oder die Kontaktstelle gegen sexuelle Gewalt, galt es, in den Blick zu nehmen.

Ein umfassendes Beratungs- und Betreuungsangebot für Kinder, Eltern und Familien, sozial Benachteiligte, seelisch oder körperlich Beeinträchtigte, Senioren und Ausländer war entstanden. Erhard Stephan ging im November 2006 nach 27 Jahren Geschäftsführung in den Ruhestand. Sein Nachfolger Oliver Sitko folgte ihm und hatte Expansionspläne. 2008 wurden die Integrationsbetriebe Main-Tauber als gemeinnützige GmbH gegründet, das Hotel St. Michael in Tauberbischofsheim wurde Integrationsbetrieb, ein Jahr später gründete man in Lauda die Gärtnerei Stil & Blüte.

Konsolidierung

Die Ära Sitko sollte eine kurze sein und wurde aufgrund interner Differenzen bereits 2009 wieder beendet. Nach einer Interimsphase übernahm der heutige Vorstandsvorsitzende Matthias Fenger zum 1. Dezember 2012 die Geschäftsführung und begann Schritt für Schritt mit der Konsolidierung des Verbands. In diesem Zuge wurde Stil & Blüte geschlossen, der Mittagstisch im Haus St. Lioba eingestellt, die Kurberatung, die Familienpflege und das Nachbarschaftsprojekt Caritas Plus aufgegeben.

2014 gab sich der Caritasverband eine neue Struktur: Anstelle einer Geschäftsführung wurde ein hauptamtlicher Vorstand gebildet. Matthias Fenger wurde Vorstandsvorsitzender, Michael Müller Vorstandsmitglied. Beraten, Senioren, Teilhabe bilden heute die Schwerpunkte des Caritasverbands, die immer wieder neu ausgerichtet und verhandelt werden. Dazu gehört auch, die gesetzlich geforderte Dezentralität bei der Betreuung von Menschen mit Teilhabebeeinträchtigungen zu gewährleisten.

Etliche Baustellen

Baustellenbesuche gehören deshalb fast schon zum Tagesgeschäft des Führungsduos. Der Ersatzneubau für die Werkstätte in Grünsfeld in Bad Mergentheim ist fertig und auch das Caritashaus St. Gertrud als Ersatzneubau für Gerlachsheim in Lauda ist bezogen. Im Bau ist derzeit die neue Werkstätte in Lauda, die Ende des Jahres abgeschlossen sein soll. Den Baubeginn des Caritashauses in Boxberg erhoffen sich Fenger und Müller für das Spätjahr.

Daneben gilt es, alle Angebote so gut wie möglich auch während der Corona-Einschränkungen aufrecht zu erhalten. Online-Beratungen gehören ebenso dazu wie die Arbeit in den Werkstätten unter gebotenen hygienischen Vorgaben.

„Wir schauen im Alltag wenig zurück, sondern stellen uns den Herausforderungen der Gegenwart und vor allem der Zukunft. Wir sind heute gefordert, die aktuellen Nöte der Menschen in den Blick zu nehmen“, so der Vorstandsvorsitzende Matthias Fenger auf die Frage, wie er zu 75 Jahre Caritasverband im Tauberkreis steht. Michael Müller fügt an: „Dennoch sind wir dankbar über den Auftrag der Katholischen Kirchengemeinden als unseren Mitgliedern. Wir sehen uns in der guten Tradition der Sozialarbeit der Caritas der Katholischen Kirche.“ Verantwortung trägt das Duo nicht nur für seine Klientel, sondern auch für seine rund 500 Mitarbeiter.

Redaktion Zuständig für die Kreisberichterstattung Main-Tauber

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