Main-Tauber-Kreis. Der Prozess beginnt schleichend. Bei Oma steht das Mittagessen für die Enkelkinder immer pünktlich auf dem Tisch. Auf sie ist Verlass, wenn die Eltern arbeiten. Doch dann passiert es. Das Mahl ist eine Stunde später fertig als geplant. Kann ja mal passieren, denkt sich die Familie. Ein andermal schmecken die Nudeln zuckrig, fehlt am Salat das Dressing. Ein paar Wochen später hat sich die Oma ausgesperrt. Irgendetwas stimmt nicht, die Auffälligkeiten nehmen zu.
Margot Bödigheimer, stellvertretende Vorsitzende der Nachbarschaftshilfe Mittleres Taubertal, kennt solche Entwicklungen. „Da können wir einhaken und auf Hilfen und Angebote des Netzwerks Demenz aufmerksam machen“, berichtet sie. Sie ist froh, dass ihre Organisation Teil dieses mittlerweile kreisweiten Zusammenschlusses ist und niedrigschwellig informieren kann.
Von fünf auf 16 Verbundpartner gewachsen
Daniela Hehn, Abteilungsleitung zivilgesellschaftliches Engagement bei der Caritas Heilbronn-Hohenlohe, hat vor zwei Jahren das Angebot der Pflegekassen am Schopf gepackt und einen entsprechenden Förderantrag gestellt, um ein solches Netzwerk aufzubauen. Laut Schätzungen leben in Deutschland 1,8 Millionen Menschen mit irgendeiner Form von Demenz - Tendenz steigend. Um dieser Herausforderung zu begegnen, startete im April 2024 mit ursprünglich fünf Verbundpartnern das „Netzwerk Demenz“.
Mittlerweile sind es 16 Partner und 21 Mitglieder, die sich vier Mal pro Jahr persönlich treffen oder sich online zusammenschalten. „Am Anfang kamen die Partner aus dem Bad Mergentheimer Raum, mit dem Beitritt des Caritasverbands im Tauberkreis kamen mehr und mehr badische Partner hinzu“, so Daniela Hehn. Ihre Kollegin Lina Krisciuniene, die das Netzwerk koordiniert, berichtet von der Teilnahme an der Grünsfelder Gesundheitsmesse. Viele Menschen seien interessiert gewesen, hätten die Info-Flyer aber eher schamhaft eingesteckt. Das zeige, wie wichtig der offene Umgang mit dem Thema Demenz sei.
Abgestimmt ohne Doppelstrukturen arbeiten
Nicht zuletzt deshalb ist Ziel und Zweck des Netzwerks Demenz, für das Thema zu sensibilisieren und Fortbildungsangebote nicht nur für Fachpersonal, sondern auch für Interessierte und Angehörige zu schaffen. Dazu gehören Informationen zu Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung, wie Robert Wenzel, Vorsitzender des Kreis-Seniorenrats ausführt. Die zweite Auflage der mit der Betreuungsbehörde beim Landratsamt und dem Betreuungsverein der Lebenshilfe abgestimmten Broschüre wird im Herbst erscheinen. Julia Harding von der AOK erläutert, wie wichtig es sei, sich mit diesen Dingen frühzeitig zu befassen, um im Eventualfall gewappnet zu sein.
Darüber hinaus geht es dem Netzwerk darum, Angebote und Hilfen sichtbar zu machen, um Demenz dorthin zu rücken, wo sie hingehört: in die Mitte der Gesellschaft. Die riesige Resonanz auf die Veranstaltungsreihe im Frühjahr 2024 in der Kreisstadt hat gezeigt, wie groß das Interesse ist und wie sehr es gerade Angehörigen unter den Nägeln brennt. Fragen stellen anstatt sich selbst in Frage zu stellen und kompetente Antworten erhalten, war vielen wichtig.
Für die Netzwerker ist nicht nur öffentliche Aufklärung und Vermittlung von Hilfen wichtig, sondern auch der Austausch untereinander, um gemeinsam Lösungen zu erarbeiten und Probleme anzusprechen. Eines davon sei die Tagespflege, wie Jutta Steinmetz-Thees, Bereichsleitung Senioren beim Caritasverband im Tauberkreis, erläutert. Die Tagespflege sei etabliert und gut finanziert, so dass sie sich eigentlich jeder leisten könne. Mit Corona sei die Nachfrage eingebrochen, obgleich viele Angehörige Entlastung bräuchten, um selbst einmal Luft holen zu können. „Die Antragstellung ist sehr komplex“, nennt Nadine Veit von der Evangelischen Heimstiftung einen Grund.
Hürden hemmen ehrenamtliches Engagement
Überhaupt sei es schwer, Menschen zu finden, die sich engagierten, wirft Andrea Hart vom Malteser Hilfsdienst ein. Sie erntet Zustimmung bei den übrigen Netzwerkern, wenn sie von Aufgabenhürden spricht. Denn wer sich ehrenamtlich einbringen will, braucht neben einem polizeilichen Führungszeugnis, dem Verhaltenskodex, der Selbstverpflichtung zum Thema Institutionelles Schutzkonzept zum grenzachtenden Umgang und eventuell noch einen Erste-Hilfe-Kurs oder eine Bestätigung für den Einsatz als ehrenamtlicher Einzelhelfer. Bei den Maltesern ist zusätzlich ein 40 Unterrichtseinheiten umfassender Kurs zum bürgerschaftlichen Engagement erforderlich. „Da sagt dann manch einer, der bereits seit 20 Jahren Stuhlgymnastik mit Senioren macht, jetzt ist aber Schluss“, so Steinmetz-Thees. Für Nadja Pfister von den Sozialdiensten Tauberfranken sind diese Richtlinien und Regularien zwar vom Ansatz her richtig, erschwerten die Arbeit allerdings erheblich. Die Akquise von Ehrenamtlichen werde damit nicht leichter.
Im Rahmen der Woche der Demenz, die vom 19. bis zum 28. September stattfindet und in die auch der Welt-Alzheimertag am 21. September fällt, will das „Netzwerk Demenz Main-Tauber-Kreis“ auf seine Arbeit hinweisen. Mit zwei zeitgleichen Fachtagen zum Thema im Eduard-Mörike-Haus in Bad Mergentheim und im Johannes-Sichart-Haus in Tauberbischofsheim bieten die Veranstalter Evangelische Heimstiftung und Sozialverband VdK Fachvorträge zu ganz unterschiedlichen Aspekten der Demenz, an denen jeder nach Anmeldung teilnehmen kann.
Informieren, das Bewusstsein in der Bevölkerung für das Thema Demenz nachhaltig erhöhen und die Versorgungsstrukturen stärken und bekannter zu machen, ist das gemeinsame Ziel der Netzwerker. Sie wollen, dass Menschen mit Demenz eine gute Versorgung erhalten und Angehörige nicht allein gelassen werden.
Hintergrund: „Netzwerk Demenz“ und seine Angebote
- Mitglieder im „Netzwerk Demenz“ sind: AOK Baden-Württemberg, Caritas-Krankenhaus, Caritas Heilbronn-Hohenlohe, Caritasverband im Tauberkreis, Diakonie Zentrum Wertheim mit Wohnstift Hofgarten, Evangelische Heimstiftung, Kreis-Seniorenrat Main-Tauber, Malteser Hilfsdienst, Memory-Betreuungsgruppen im Seniorenzentrum St. Barbara, Nachbarschaftshilfe Creglingen, Nachbarschaftshilfe Hardheim und Umgebung, Nachbarschaftshilfe Mittleres Taubertal, Ökumenischer Hospizdienst Bad Mergentheim, Ökumenische Nachbarschaftshilfe Bad Mergentheim, Ökumenische Sozialstation Bad Mergentheim, Pflegestützpunkt Main-Tauber-Kreis, Selbsthilfegruppe für Angehörige von Menschen mit Demenz, Bad Mergentheim, Seniorendienste Tauberfranken, St. Elisabeth-Verein, Stiftung St. Johannes.
- Jeweils ein „Fachtag Demenz“ , veranstaltet von der Evangelischen Heimstiftung und dem Sozialverband VdK findet am 19. September ab 9 Uhr im Johannes-Sichart-Haus in Tauberbischofsheim und im Eduard-Mörike-Haus Bad Mergentheim statt. Stündlich werden Vorträge aus ganz unterschiedlicher Perspektive zum Thema Demenz geboten. Der Fachtag steht allen Interessierten nach Anmeldung offen. Anmeldung bis 15. September für Tauberbischofsheim unter Telefon 09341/ 84730; für Bad Mergentheim: 07931/4950.
- Ein Treffpunkt für Menschen mit Demenz ist das „Café Malta“ des Malteser Hilfsdiensts in der Freiherr-von-Zobel Straße 39 in Messelhausen, Kontakt Andrea Hart, Telefon: 09346/9295557.
- Mutmachabende bietet die Caritas Heilbronn-Hohenlohe in Kooperation mit dem Netzwerk Demenz und dem Familienbüro Bad Mergentheim am Donnerstag, 18. September, und am Donnerstag 13. November, jeweils von 19 bis 21 Uhr. Pflegeexpertin Heike Stadtmüller informiert darüber, wie man Demenz erkennen und verstehen kann, welche Behandlungsmöglichkeiten und Unterstützungssysteme es gibt und wie die Versorgung und die Gesundheitssorge des Pflegenden gelingen kann. Anmeldung bei Lina Krisciuniene unter Telefon 07931/636232 oder 0176/18980933.
- Lieder des Lebens heißt ein Angebot des Familienbüros Bad Mergentheim in Kooperation mit der Caritas Heilbronn-Hohenlohe in der Zaisenmühlstraße 3 in Bad Mergentheim. Gedacht ist das gemeinsame Singen und Musizieren für Menschen mit Demenz und deren Angehörige. Termine jeweils dienstags von 16 bis 17.30 Uhr: 23. September, 7. und 21. Oktober, 18. November, 2. und 16. Dezember, 13. und 27. Januar 2026. 10. und 24. Februar 2026. Anmeldung per E-Mail: gross.e@caritas-dicvrs.de oder krisciuniene.l@caritas-disvrs.de.
- Seit über 20 Jahren leitet Dr. Angela Weiß die Selbsthilfegruppe für Angehörige von Menschen mit Demenz in Bad Mergentheim, die unter dem Dach der Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg firmiert. Sie trifft sich in der Regel am jeweils letzten Dienstag im Monat um 20 Uhr in der Tagespflege der Evangelischen Heimstiftung, Herrenwiesenstraße 10. Kontakt Dr. Angela Weiß, Telefon 07931/45562.
- Das Familienbüro Bad Mergentheim bietet mit „LebensFaden“ ein neues Beratungsangebot zum Thema individuelle Vorsorge. Termine sind jeweils der 17. Oktober, 13. November und 12. Dezember. Anmeldungen bei Christine Grünemay-von Tils unter Telefon 079412074141, unter 0176/18980953 oder per E-Mail: gruenemay@caritas-dicvrs.de.
- Die Ökumenische Sozialstation Bad Mergentheim bietet Betreuungsgruppen für Senioren an, die auch demenziell Erkrankte besuchen können. Sie finden ein Mal pro Woche in Wachbach, Markelsheim, Löffelstelzen und Igersheim statt. Informationen gibt es unter https://oekum-sozialstation-mgh.de/betreuungsgruppen/ im Internet oder bei Sabine Englert unter Telefon 07931/990040.
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