FN-Interview - Landtagsvizepräsident Wolfgang Reinhart hebt die Leistungen des Landkreises im Bezug auf Erneuerbare Energien hervor. Atomkraft und ÖPNV weitere Themen

Klimawandel: „Südtiroler Verhältnisse im Taubertal“

Die drohende Gasmangellage, die Atomenergie sowie der Bau weiterer Windkraft- und Photovoltaikanlagen im Landkreis waren Themen im Interview mit Landtagsvizepräsident Wolfgang Reinhart.

Von 
Sascha Bickel
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Chefredakteur Fabian Greulich und der stellvertretende Reporter-Chef Sascha Bickel sprachen mit Landtagsvizepräsident Wolfgang Reinhart. © Klaus T. Mende

Main-Tauber-Kreis. Auf die Nutzung der Erneuerbaren Energien im Main-Tauber-Kreis, den weiteren Ausbau von Windkraft und Photovoltaik, die drohende Gasmangellage und die Konsequenzen für die Bürger sowie die Industrie ging Prof. Dr. Wolfgang Reinhart, der seit mittlerweile 30 Jahren Landtagsabgeordneter für den Kreis und aktuell auch Landtagsvizepräsident ist, im FN-Sommer-Interview ein.

Herr Reinhart, duschen Sie kürzer als früher, um bereits jetzt zu Hause Energie einzusparen?

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Wolfgang Reinhart: Ich dusche schon immer kurz, das hat aber nichts mit Energiesparen zu tun. Ich habe mir zudem angewöhnt, unter gesundheitlichen Aspekten, am Schluss noch eiskalt zu duschen.

Wie sehen Sie die drohende Gasmangellage und die Energiekrise?

Reinhart: Die Energieversorgung ist momentan das große Thema. Ich meine, wir sollten schnellstens die Stromproduktion mit Gas beenden. Wir sollten aber auch nicht in Panik verfallen. Alternative Lieferquellen gibt es zumindest beim Öl. Mich sorgt viel mehr die derzeitige Bezahlbarkeit der fossilen Energien für die Endverbraucher, gerade angesichts der aktuellen Inflation.

Übrigens bin ich schon lange der Auffassung, dass die Zukunft nur mit den erneuerbaren Energien zu gestalten sein wird und wir im ländlichen Raum Vorreiter sein können. Im Main-Tauber-Kreis sind wir am weitesten von allen Landkreisen in Baden-Württemberg! Wir haben hier heute schon 146 Windenergieanlagen in Betrieb und sechs im Genehmigungsverfahren, 7839 Photovoltaik-Dachflächenanlagen, 30 Freiflächen-Photovoltaikanlagen, drei große Biomasse-Feuerungsanlagen und 44 Wasserkraftanlagen.

Mir war schon bisher die Dekarbonisierung, also das Ziel Klimaneutralität zu erlangen, stets ein ganz wichtiges Anliegen. Beispielsweise haben wir heute beim Weinbau im Taubertal gewissermaßen Südtiroler Verhältnisse. Wenn man unsere jetzigen Wetterdaten, die Erntezeitpunkte und die Mostgewichte mit denen in den 1970er Jahren in Südtirol vergleicht, ist der Klimawandel sicht- und fühlbar bei uns angekommen und deutlich vorangeschritten.

Hat der Kreis genug getan oder müssen hier weitere Windkraft- und vor allem Freiflächen-Photovoltaikanlagen dazukommen?

Reinhart: Es gibt viele Investoren, die gerne noch schneller in Photovoltaik investieren würden. Und wir haben noch Potenzial im Landkreis – auch in Sachen Windkraftnutzung. In den Kommunen fallen die Entscheidungen, wie viel Fläche noch zur Verfügung gestellt wird. Wichtig ist dann aber, dass wir auch an anderer Stelle nicht mit den Ballungszentren über einen Kamm geschert werden. Gerade auf der Planungsebene, etwa bei der Frage von Ansiedlungsflächen, braucht es Privilegien für dünn besiedelte ländliche Räume.

Ich halte es für richtig, dass wir im Koalitionsvertrag, den ich mitunterschrieben habe, für alle neu gebauten Parkplätze ab 70 Stellplätzen eine Pflicht verankert haben, dass sie überdacht werden mit Photovoltaik. Alle neuen Gewerbebauten müssen mit PV-Anlagen versehen werden und seit Mai auch alle neu erstellten Privathäuser. Damit bekommen wir noch mehr Schubkraft für die erneuerbaren Energien. Das ist aber auch notwendig, da wir andernfalls bei den Freiflächen in einen Nutzungskonflikt geraten, vor allem auch mit Blick auf die Bedürfnisse der Landwirtschaft. Ein weiteres Thema ist hier die Agri-Photovoltaik in mehreren Metern Höhe über bestimmten landwirtschaftlichen Flächen, die darunter noch weiter kultiviert und genutzt werden. Ein Pilotprojekt kann ich mir auch für unseren Landkreis vorstellen. Beim weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien in unserer Region werbe ich aber auch für Bürgerbeteiligung, um die Wertschöpfung vor Ort zu behalten.

Sollten die drei verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland über den Jahreswechsel hinaus vorläufig weiterbetrieben werden, um die Stromversorgung zu unterstützen?

Reinhart: Wenn die Sicherheit gewährleistet ist und der TÜV gewissermaßen grünes Licht gibt, dann wäre ich sofort damit einverstanden, in dieser außergewöhnlichen Notlage die in Betrieb befindlichen Meiler im Streckbetrieb länger laufen zu lassen als bislang geplant. Auch Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung eine Verlängerung befürwortet. Ich finde, man muss an das Thema pragmatisch rangehen.

Ist allen das Energiesparen im eigenen Umfeld anzuraten?

Reinhart: Ich vertraue auf den gesunden Menschenverstand. Ich bin kein Anhänger davon, überall staatlichen Zwang auszuüben und einen Überwachungsstaat zu forcieren. Ein gutes Beispiel ist das immer wieder geforderte Tempolimit auf Autobahnen. Mit Tempo 130 kommt man genauso ans Ziel und hat einen viel geringeren Kraftstoffverbrauch. An der Zapfsäule und dann im Geldbeutel merkt man den Unterschied. Deshalb vertraue ich auf die Eigenverantwortung der Bürger und halte Zwang für überflüssig.

Wie steht es um das Sparen von Energie rund um den Landtag in Stuttgart?

Reinhart: Momentan sind nicht nur Sommer-, sondern auch Parlamentsferien. Das Bewusstsein ist natürlich da, auch in der Landespolitik mit Vorbildcharakter zu agieren und Energie einzusparen, wo es machbar, möglich und vertretbar ist.

Um die Bürger und die Industrie zu entlasten, gibt es den Tankrabatt und zudem das 9-Euro-Ticket für den Öffentlichen Personennahverkehr. Wie stehen Sie zu diesen Entlastungen?

Reinhart: Ich bin immer skeptisch, wenn das nur kurzfristige Feuer sind, die nur für drei Monate entfacht werden. Zudem müssen auch die Kapazitäten im ÖPNV dafür vorhanden sein und da muss man leider feststellen, dass der Bund in den vergangenen Jahren nicht genügend auf die Schiene gebracht hat. Ich bin ein Anhänger von maßvollen, langfristigen und verlässlichen Angeboten, damit die Menschen über Jahre kalkulieren können, wie sie langfristig ihr eigene Mobilität gestalten.

Bleiben wir noch kurz beim ÖPNV: Die S-Bahn nach Würzburg oder die durchgängige Zweigleisigkeit der Bahnstrecke nach Heilbronn – was kommt denn schneller?

Reinhart: Beides muss kommen. Die Bahnstrecken-Engstelle bei Möckmühl gehört schon lange beseitigt.

Wichtig ist mir, dass nicht nur in den Ballungszentren investiert wird, zumal ich für die junge Generation im ländlichen Raum großes Potenzial sehe, wenn sie von den Möglichkeiten der neuen hybriden Arbeitswelt profitiert und so hier in unserem nicht nur wunderschönen, sondern auch familienfreundlichen Landkreis deutlich günstiger wohnen kann.

Redaktion Stellvertretender Reporter-Chef; hauptsächlich zuständig für die Große Kreisstadt Bad Mergentheim

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