Erdbebenhilfe

Hilfe für Erdbebenopfer in der Türkei kommt auch aus dem Main-Tauber-Kreis

Nach den verheerenden Erdbeben im Februar 2023 in der Türkei war die Hilfsbereitschaft gewaltig. Auch die Türkisch-Islamische Gemeinde von Lauda und Umgebung engagierte sich sehr.

Von 
Sabine Holroyd
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Main-Tauber-Kreis. Kerim Cosgun vom Vorstand des Vereins ist immer noch mit vielen Helfern und Betroffenen in Kontakt. Im Sommer 2023 half er ehrenamtlich in der Großküche „Gönül Mutfagi“ mit.

Zehntausende Menschen waren gestorben, mehr als eine halbe Million Überlebende sind bis heute noch in Notunterkünften untergebracht. Am stärksten betroffen war die südosttürkische Provinz Hatay, Iskenderun.

Mahnwache

Tauberbischofsheim: Mahnwache für Erdbebenopfer in der Türkei

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Heike von Brandenstein
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Die Nachrichten und Bilder aus ihrer Heimat ließen auch die Mitglieder der Türkisch-Islamischen Gemeinde Lauda und Umgebung nicht kalt. Innerhalb eines Monats sammelten sie durch verschiedene Aktionen 80 000 Euro. „Da spendeten auch Menschen, die mit uns und unserer Moschee überhaupt nichts zu tun haben“, freut sich Kerim Cosgun im Gespräch mit den FN über die nationenübergreifende Hilfsbereitschaft. Die Gemeinde hielt in Lauda, Wertheim und Bad Mergentheim auch Mahnwachen ab, bei denen ebenfalls gespendet werden konnte. Die Sammlung von Sachgütern übernahm das Alevitische Kulturzentrum Lauda.

„Wir standen stets in Kontakt mit den türkischen Behörden“, berichtet er weiter und erklärt: „Wir wollten unbedingt helfen und wissen, was wir hier tun können. Denn in den ersten Wochen nach den Beben waren nur Rettungs- und Hilfsdienste vor Ort zugelassen. Leute wie wir, die einfach nur irgendetwas tun wollten, wären mehr Last als Unterstützung gewesen.“

Doch das sollte sich schnell ändern. Cosgun erzählt: „Auf Social Media sah ich im Juni dann ein Video, in dem dazu aufgerufen wurde, in der Großküche der Universität Hatay bei der Zubereitung der Mahlzeiten für die Erdbebenopfer zu helfen. Das war genau an dem Tag, als in Lauda das Weinfest begann. Sowohl von meinem Arbeitgeber Wittenstein als auch von der Chefin meiner Nebentätigkeit bei Autonomobilia wurde ich fünf Tage freigestellt und kaufte mir ein Flugticket. Sie wollte mir das Ticket aus dem eigenen Portemonnaie bezahlen. Ich nahm das Geld an – aber nicht für den Flug, sondern für die Opfer. In der Küche fragte ich vor meiner Abreise nach, was sie besonders dringend benötigen. Also bestellte ich Schürzen. Meine Schwester wollte mir das Geld dafür geben. Natürlich verwendete ich es ebenfalls für die hilfsbedürftigen Menschen dort. Meine Kinder nahmen unaufgefordert das Geld aus ihren Spardosen, damit ich es Kindern in Hatay geben kann. Einfach jeder wollte etwas geben, das war so schön.“

Matratzenlager für 55 Helfer und eine einzige Dusche

Nach dem Nachtflug nach Adana und einer zweistündigen Busfahrt erreichte er um 6 Uhr morgens Hatay. „In der Großküche war schon die Frühschicht aktiv. Ich wurde registriert, eingewiesen und in eine WhatsApp-Gruppe mit über 1400 Helfern aufgenommen. Danach durfte ich erst mal schlafen. In den Uni-Räumen waren für die damals etwa 55 Helfer Matratzenlager eingerichtet. Für alle war nur eine einzige Dusche vorhanden. Man musste sich zum Duschen anmelden und durfte höchstens fünf Minuten benötigen. Natürlich war es nicht so wie zuhause, aber das war mir alles egal.“

Die Schichtdienste waren genau geregelt. Kerim Cosguns Aufgabe war es, das Essen aus der Küche zu den Packstationen zu bringen. „Das war – wie das Duschen auch – richtig gut organisiert. Die Mahlzeiten wurden in überdimensionalen Töpfen zubereitet. Er lacht und sagt: „Ich schob ganze Wagen voller großer Töpfe mit Essen an die Verpackungsstellen. Sie waren natürlich sehr schwer, und draußen herrschten 40 Grad Celsius. Viermal am Tag habe ich mein T-Shirt gewechselt. Wir Helfer waren wie eine internationale Großfamilie. Nach Feierabend waren wir zwar alle erschöpft, aber wir tanzten und sangen dann noch in der Küche, so glücklich machte uns das Helfen.“

Nie hatte er das Bedürfnis, abends woanders etwas essen zu gehen. „Ich habe jeden Tag nur das zu mir genommen, was auch die Erdbebenopfer bekommen haben, und ich habe wie sie auch nur Wasser getrunken. Alle anderen Ehrenamtlichen machten es genauso.“

Seine Schwester hatte ihn gebeten, getrocknete Paprika mitzubringen – die Gegend dort ist für diese Spezialität bekannt. Er berichtet: „Da ich die Universität nicht verlassen wollte, fragte ich eine Helferin aus der Gegend, wo ich denn welche bekommen könnte. Sie sagte, sie bringe welche mit. Am nächsten Tag überreichte sie mir eine große Tüte voller Paprika. Ich fragte sie, was sie dafür bekommt. Sie antwortete, wenn ich noch einmal das Thema erwähne, würde sie mir die Tüte wieder wegnehmen. ,Du kommst aus Deutschland, lässt deine Familie alleine, opferst deinen Urlaub, und ich soll jetzt Geld von dir dafür nehmen?’ Sie hatte ein Kind dabei, ihm gab ich dann Geld.“

Gesponsert wurde die Küche, die unter den Namen „Gönül Mutfagi“ berühmt wurde, von zwei renommierten türkischen Köchen: Türev Uludag und Ebru Baybara Demir. Sie hat 2023 den mit 100 000 Euro dotierten „Basque Culinary World Price“ bekommen, der als „Nobel-Preis der Gastronomie“ gilt. Das Geld hat sie der Küche gespendet. Gründer von Gönül Mutfagi sind Ebru Baybara Demir und Bauunternehmer Kadir Sancar. Auch heute noch leben viele Menschen in Containern. Die Behausungen wurden aus vielen Ländern geliefert, beispielsweise auch aus Katar, wo die Fußball-WM 2022 stattfand. Die von den Erdbeben betroffene Fläche, erklärt Cosgun, entspräche 50 Prozent der Größe Deutschlands. „Auf solch ein mächtiges Beben war natürlich niemand vorbereitet. Kein Staat dieser Welt ist das. Wie soll man von jetzt auf nachher über zehn Millionen Menschen unterbringen?“, sagt Cosgun.

Bedrückende Stille in den Städten und Dörfern

Einen Tag lang verbrachte er damit, das Spendengeld der Menschen aus Lauda und Umgebung an besonders notdürftige Familien zu verteilen. Durch seinen Küchendienst lernte er den Inhaber einer Agentur aus Ankara kennen, der ihn zu extrem betroffenen Leuten brachte, die schon vor den Erdbeben nicht auf der Sonnenseite des Lebens standen. Bei der achtstündigen Fahrt durch zerstörte Städte und Dörfer fand Cosgun die Stille extrem bedrückend: „Da war keine Menschenseele unterwegs“, erinnert er sich und erzählt: „Als wir unterwegs waren, riefen die bekannte türkische Sängerin Demet Akalin und die prominente Nachrichtensprecherin Fulya Öztürk bei ihm an, die nach dem Erdbeben stundenlang vor Ort berichtet hatte. Beide engagieren sich sehr in der Erdbebenhilfe – die Sängerin beteiligt sich auch finanziell am Aufbau von Schulen –, und sie wollten wissen, was sie weiterhin tun können.“

Mit vielen Helfern steht Kerim Cosgun auch heute noch in Kontakt. Er weiß, dass Freiwillige am Ramadan im März 30 Tage durchgearbeitet und das Essen zum Fastenbrechen zubereitet haben. Auch sie hätten trotz der harten Arbeit in der heißen Küche tagsüber nichts zu sich genommen. So etwas imponiert ihm unglaublich. Die Dankbarkeit der Menschen macht ihn sprachlos und bewegt ihn sehr. Er sagt: „Ich wollte den Leuten zeigen, dass sie nicht alleine sind in ihrer Not und viele Menschen, nicht nur in Deutschland, mit ihnen fühlen und für sie beten.“ Im nächsten Jahr will er unbedingt wieder nach Hatay reisen, dann aber mit seiner Familie. Cosgun sagt: „Ich bin in Deutschland geboren und glücklich. Mein größter Reichtum sind meine Gesundheit und meine Familie. Aber ich werde nie vergessen, wo ich herkomme. Dort in der Türkei sind meine Wurzeln. Deshalb will ich den Menschen dort etwas von dem, was ich bekommen habe, zurückgeben.“

Einsatz für die Erdbebenopfer

Türkisch-Islamische Gemeinde Lauda hilft Erdbebenopfern

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Sabine Holroyd
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