Main-Tauber-Kreis. Vorstellbar ist vieles: Ein Waldbrand, der sich in der Fläche schnell ausbreitet, ein brechender Damm wie beim Hochwasser in Königheim 1984, Schneechaos, Stromausfall oder die Verunreinigung des Trinkwassers. „Ein Schadenereignis kann zur Katastrophe werden“, lautet die Erklärung des Kreisbrandmeisters. Und er ergänzt: „Eine Katastrophe kommt in der Regel langsam.“
Seit den Fluten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wird immer wieder die Frage gestellt, welche Fehler die Verantwortlichen gemacht haben. Wurden die Warnungen nicht ernst genommen, die rapide steigenden Pegelstände ignoriert, die Menschen zu spät gewarnt? Andreas Geyer verrät seine Meinung dazu nicht öffentlich. Aber er sagt: „Es gab die Warnungen. Das Problem ist aber die Wahrnehmung der Warnungen und deren Interpretation.“
Vorhersagen beobachten
Am Beispiel Wasser lässt sich das gut erläutern. Der erste Tauberpegel flussabwärts ist in Archshofen, der zweite in Bad Mergentheim und der dritte in Tauberbischofsheim. Die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg ist gleichzeitig die Hochwasservorhersagezentrale im Land. Dort können die Pegelstände und die Vorhersagen aktuell abgerufen werden. Auch der Main ist ab dem Pegel Schweinfurt aufgeführt, was für dessen kurzen Verlauf in Baden-Württemberg und die Zwei-Flüsse-Stadt Wertheim wichtig ist. Auf dieser Grundlage lässt sich sehr gut abschätzen, wie hoch das Wasser zu welchem Zeitpunkt stehen wird.
Bei anderen Vorfällen stellt sich das schwieriger dar. Andreas Geyer nennt einen verunglückten, mit Salzsäure gefüllten Gefahrentransport als Beispiel oder aber einen großen Blackout, wie ein mehrtägiger großflächiger Stromausfall bezeichnet wird. Beide Szenarien sind zunächst erst einmal ein Schadensereignis. Die Verantwortlichen müssen entscheiden, was sich daraus ergeben kann. „Wenn ein Fluss verseucht wird, sterben die darin lebenden Tiere und Pflanzen, das Trinkwasser kann verseucht werden, so dass diese Versorgung nicht mehr gewährleistet werden kann“, beschreibt der Kreisbrandmeister eine Auswirkung. Ein Stromausfall könne für eine kurze Dauer bewältigt werden. Halte er aber über Tage hinweg an, bedeute das: sämtliche Tiefkühlgeräte, Kühlschränke, Bankautomaten, Tankstellen, Ampeln, Züge, Maschinen, die Kläranlage, Wasserwerke und vieles mehr laufe nicht. Hier wäre ein Katastrophenalarm möglich.
„Ein Katastrophenereignis ist immer dann gegeben, wenn die öffentliche Sicherheit, die Infrastruktur sowie das Leben von Menschen und Tieren so stark betroffen sind, dass es einheitlich kontrolliert werden muss“, definiert Geyer. Der Alarm kann für ein abgrenzbares Gebiet, also eine Kommune, einen Stadtteil, einen Straßen- oder Flussabschnitt ausgerufen werden.
Außergewöhnliche Einsatzlage
Im Zuge von Corona habe es in Baden-Württemberg eine Änderung im Katastrophenschutzgesetz gegeben: die außergewöhnliche Einsatzlage. „Das ist eine tolle Sache“, meint Andreas Geyer. Hier kommt er als Kreisbrandmeister ins Spiel. Bei einem Unfall mit zwei Personenbussen auf der Autobahn, bei dem es viele Verletzte gibt, reichen die diensthabenden Rettungskräfte nicht aus. Wird eine außergewöhnliche Einsatzlage erklärt, kann Geyer auf alle Rettungskräfte, die auch im Katastrophenfall bereit stehen, zugreifen.
Das sind neben den Feuerwehren der DRK Sanitäts- und Betreuungsdienst, die Johanniter Unfallhilfe, der Arbeiter-Samariter-Bund, der Malteser Hilfsdienst, die DLRG, die DRF Luftrettung, das Technische Hilfswerk, die Bundespolizei, die Bundeswehr im Rahmen der zivil-militärischen Zusammenarbeit, Rettungshundestaffeln und die Bergwacht Schwarzwald.
Dieser Passus wurde im Südwest-Staat geschaffen, um zu Beginn der Corona-Pandemie Kräfte einbinden zu können, die das Verteilen von Mund-Nasenschutz-Masken an Krankenhäuser und Altenheime sicherten. Ein Zusatz, der Katastrophenschützern nun auch in anderen Situationen einen Entscheidungsspielraum lässt, ohne gleich das ganz große Besteck der Katastrophe auspacken zu müssen.
Einen Unterschied bei der Einschätzung über das Ausmaß eines Schadensereignisses macht
auch, wer für die Bezahlung zuständig ist. Handelt es sich um einen lokal begrenzten Einsatz, greift das Feuerwehrgesetz. Danach sind zunächst die Kommunen kostenpflichtig. Bei der außergewöhnlichen Einsatzlage oder dem Katastrophenalarm trägt das Land die Kosten beim Einsatz von Ehrenamtlichen, die bei Hilfsorganisationen tätig sind. Der Landkreis tritt dafür in Vorleistung.
Einen Katastrophenalarm können der Landrat, der Erste Landesbeamte und der Kreisbrandmeister auslösen, eine außergewöhnliche Einsatzlage zudem der Stellvertreter des Kreisbrandmeisters. „Wir sind in einem solchen Fall in engem Kontakt und stimmen uns ab“, beschreibt Andreas Geyer das Vorgehen im Main-Tauber-Kreis. Er ist sich sicher, dass keiner der Verantwortlichen im Alleingang handeln würde.
Im Fall der Fälle werden Stäbe gebildet. Zum einen gibt es einen Verwaltungsstab, zum anderen den Führungsstab. Grob gesagt ist der Verwaltungsstab mit seinen sechs festen Sachgebieten dafür verantwortlich, sicherzustellen, dass die Dokumentation, die fachliche Expertise und die finanzielle Absicherung des Einsatzes gewährleistet ist. Der Führungsstab unter Leitung des Kreisbrandmeisters verantwortet den konkreten Einsatz und ist ebenfalls in sechs Sachgebiete unterteilt, die von der Personaleinteilung bis zur Sicherstellung des Funknetzes reichen. Beide Stäbe sind eng miteinander vernetzt und koordinieren auch die Information der Öffentlichkeit.
Regelmäßige Übungen
„Im Normalfall gibt es pro Jahr eine Übung, alle zwei Jahre eine Vollübung mit allen Kräften“, beschreibt der Kreisbrandmeister die Vorbereitung der Rettungskräfte. Die sieht er im Main-Tauber-Kreis gut aufgestellt. Was er sich allerdings wünscht, ist eine Alarmierung der Bevölkerung durch vom Bund gesteuerte Hochleistungssirenen. „Das steckt noch in den Kinderschuhen“, moniert er. Die Sirenen, die momentan im Einsatz seien, würden lediglich die Feuerwehren alarmieren und seien einzeln gesteuert.
Warn-Apps wie „Nina“ empfindet der Kreisbrandmeister als eine gute Lösung. Die hätten sich auch bei der jüngsten Flutwelle im Westen der Republik bewährt. Er mahnt allerdings, nicht zu viele dieser Apps herunterzuladen, um nicht abzustumpfen. Denn auch hier gelte das Prinzip: „So wenig wie möglich, so viel wie nötig.“
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