Main-Tauber-Kreis. Das Gesundheitsamt hatte Landrat Christoph Schauder als Ort des Interviews gewählt. Kein Wunder, drehte sich mit dem Aus der Rotkreuzklinik Wertheim in den letzten Monaten nahezu alles um die Krankenhaus- und die Notfallversorgung.
Medizinisch gut versorgt werden wollen die Menschen auch in Flächenlandkreisen. War es jahrzehntelang so, dass der Main-Tauber-Kreis mit Bad Mergentheim, Tauberbischofsheim und Wertheim über drei Krankenhausstandorte verfügte, ist mit der Schließung der Rotkreuzklinik ein wichtiges Standbein weggefallen. Jetzt gilt es, die Notfallversorgung neu aufzustellen, um den Bedarf zu decken. Die Fränkischen Nachrichten wollten von Landrat Christoph Schauder wissen, wie er die Situation einschätzt.
Die Insolvenz des Wertheimer Krankenhauses beschäftigt die Menschen in der Region. Zu hören ist von einer zunehmenden Belastung von Kliniken und deren Mitarbeitenden, die bis zum Anschlag arbeiten. Und es fehlen Betten, um dem Bedarf gerecht zu werden. Wie verfolgen und wie bewerten Sie die momentane Situation?
Christoph Schauder: Die Folgen der Schließung der Rotkreuzklinik in Wertheim verfolge ich sehr aufmerksam. Es ist mir sehr wichtig, dass wir eine gute Gesundheitsversorgung in unserem Flächenlandkreis haben. Hierfür haben wir als Landkreis dort, wo wir Einflussmöglichkeiten haben, alles Notwendige in die Wege geleitet. Die Gesundheitsholding Tauberfranken, zu deren Mitgesellschaftern der Landkreis zählt, hat schon in den vergangenen Monaten damit begonnen, die Notfallaufnahme in den beiden Krankenhäusern in Tauberbischofsheim und Bad Mergentheim personell und strukturell zu verstärken. Wir haben bereits weit vor dem Aufnahmestopp in Wertheim im Juni festgestellt, dass es zu vermehrten Zuweisungen in die beiden Häuser der Holding aus dem Bereich Wertheim kam. Jetzt im Juli gibt es weitere Neueinstellungen, so dass man unter dem Strich festhalten muss, dass die beiden Häuser ihren Versorgungsauftrag mit großem Engagement wahrnehmen.
Aber die Belastung der Beschäftigten hat deutlich zugenommen, oder?
Schauder: Weil ich mit offenen Augen durch das Leben gehe und zahlreiche Menschen kenne, die in Krankenhäusern arbeiten, weiß ich auch um die Belastung der Mitarbeitenden. Sie haben meine volle Hochachtung. Die Belastung hat aber nur eingeschränkt mit der Schließung der Rotkreuzklinik zu tun. Sie rührt auch daher, dass alle, die im Krankenhauswesen engagiert sind, seit längerem feststellen, dass Patienten einfach aus der puren Not heraus in die Notaufnahmen von Krankenhäusern gehen, weil sie keine Termine bei ihren Ärzten bekommen oder dieser Arzt schlichtweg nicht mehr da ist. Zu einer offenen Kommunikation gehört nämlich, dass viele Patienten, die in Notaufnahmen kommen, keine echten Notfälle sind und keiner Behandlung im Krankenhaus bedürfen, sondern sich mit ihren Beschwerden an ihren Haus- oder Facharzt wenden könnten. In der Notaufnahme müssen diese Menschen dann oftmals längere Wartezeiten in Kauf nehmen, da lebensbedrohliche Notfälle bei der Behandlung vorgezogen werden.
Wir haben im Main-Tauber-Kreis zwei gut funktionierende Notaufnahmen, die an sieben Tagen 24 Stunden einsatzbereit sind. Aber sie sind, und das gehört zur Ehrlichkeit dazu, aus den genannten Gründen teilweise am Limit. Letzteres gilt auch für viele Haus- und Fachärzte. Die Versäumnisse liegen hier wesentlich bei der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KV BW). Diese ist verantwortlich für die Organisation der ambulanten medizinischen Versorgung im Land.
Wer auf dem Wertheimer Marktplatz einen Schlaganfall erleidet, braucht jetzt mehr Zeit, bis er in einem Krankenhaus versorgt wird. Was sagen Sie den Bürgern, die sich solche Sorgen machen?
Schauder: Auch hier gibt es kein Schwarz und Weiß. Wenn es einen medizinischen Notfall gibt, entscheidet die Integrierte Leitstelle Main-Tauber in Bad Mergentheim über das weitere Vorgehen. Wenn ein Fall sehr zeitkritisch ist, kommt der Helikopter. Mit ihm kommt der Patient vermutlich gleich in das Caritas-Krankenhaus nach Bad Mergentheim oder in die Uniklinik nach Würzburg. So war es in vielen Fällen auch schon in den zurückliegenden Jahren. Im Gegensatz zu anderen Landkreisen in Baden-Württemberg sind wir im Main-Tauber-Kreis außerdem in der glücklichen Lage, dass wir auf einen SAR-Hubschrauber der Heeresflieger in Niederstetten zugreifen können. Und der ist wohlgemerkt auch nachtflugfähig. Aber natürlich macht es etwas mit den Menschen, wenn eine Stroke-Unit vor Ort nicht mehr da ist. Das schürt die Urangst eines jeden, keine rechtzeitige Hilfe bei einem Notfall zu erhalten.
Bislang haben Ärzte der Rotkreuzklinik oft die Notarztversorgung übernommen. Wie sieht es jetzt aus?
Schauder: Die notärztliche Versorgung hört durch die Schließung der Rotkreuzklinik nicht auf. Der Bereichsausschuss für den Rettungsdienst, dies ist in Baden-Württemberg das örtliche Planungs- und Entscheidungsgremium, hat die Gesundheitsholding Tauberfranken mit der Organisation der Notarztversorgung im Raum Wertheim beauftragt.
Was bedeutet das?
Schauder: Im nächsten Schritt wird ein ärztlicher Verantwortlicher für den Notarztdienst ernannt, der künftig für die Organisation zuständig ist. Er kümmert sich um die Dienstpläne und stellt sicher, dass rund um die Uhr ein Notarzt einsatzbereit vor Ort ist. Wichtig dabei ist, dass nicht Lücken an anderer Stelle aufgerissen werden. Die Notärzte werden nicht aus den Bereichen Tauberbischofsheim oder Bad Mergentheim abgezogen und in Wertheim stationiert. Vielmehr werden diese Dienste durch niedergelassene Ärzte, die bereit sind, den Notarztdienst zu übernehmen, oder durch externe Dienstleister auf Honorarbasis abgedeckt werden. Beides war in Wertheim auch bislang bereits gelebte Praxis. Von daher muss man ganz klar sagen: Auch die notärztliche Versorgung im Raum Wertheim ist sichergestellt.
Reichen die zwei im Norden des Landkreises stationierten Rettungswagen aus, um die Notfallversorgung ohne Risiko für Leib und Leben zu gewährleisten?
Schauder: Der Bereichsausschuss hat sich, gemeinsam mit dem Landratsamt als Rechtsaufsicht, schon seit einem Dreivierteljahr, also nachdem die Insolvenz der Rotkreuzklinik im Raum stand, mit diesem Thema beschäftigt. Deshalb konnten wir im Juni schnell reagieren, als der Aufnahmestopp bekanntgegeben wurde. Konkret wurden die Vorhaltestunden bei dem zuvor nur in den Tagstunden eingesetzten zweiten Rettungswagen an der Rettungswache Wertheim erweitert. Parallel dazu wurde die Versorgung des nördlichen Landkreises durch eine dynamische Gebietsabdeckungsstrategie verstärkt. Dies bedeutet: Um die Anfahrtswege kurz zu halten, werden Rettungsmittel aus dem mittleren Main-Tauber-Kreis in Richtung Wertheim gezogen, wenn sämtliche Wertheimer Rettungswagen im Einsatz sein sollten. Da hat sich als richtig erwiesen, dass wir in Lauda, bald in Boxberg, probeweise einen weiteren Rettungswagenstandort eingerichtet haben. Zum anderen endet der Rettungsdienst nicht an der Grenze des Landkreises. Die Rettungswege werden, ganz im Sinne eines bereichsübergreifenden Rettungsdienstes von den Leitstellen flexibel disponiert. Wir machen auch Einsätze in Hardheim oder Walldürn, die machen Einsätze bei uns. So arbeiten wir auch mit den bayerischen Diensten zusammen. Deswegen kann man sagen: In einem ersten Schritt ist viel Sinnvolles in die Wege geleitet worden oder befindet sich in der Umsetzung. Darüber hinaus beobachten wir die weitere Entwicklung und steuern im Bedarfsfall nach. Insgesamt kann ich feststellen: Wir haben einen hoch engagierten Rettungsdienst.
In Wertheim möchte die Stadt das Klinikgebäude erwerben und dort die Möglichkeit einer Notfallversorgung schaffen. Wie sehen Sie dieses Vorhaben?
Schauder: Mich freut es, dass sich die Stadt oder ihre Stadtentwicklungsgesellschaft um den Kauf des Gebäudes bemüht. Man muss aber auch bedenken, dass seit längerem geplant ist, auf dem Reinhardshof, nicht weit von der Klinik entfernt, ein Gesundheitszentrum zu implementieren. Deshalb macht es Sinn, die Immobilie zu erwerben und dann ein attraktives Angebot für die Bürgerinnen und Bürger aus Wertheim und der Umgebung zu unterbreiten. In dem Kontext habe ich die Stadt auch gebeten, offensiv auf die KV BW zuzugehen, damit diese die Schließung der Rotkreuzklinik nicht zum Anlass nimmt, ihre Notfallpraxis zu schließen. Das muss unter allen Umständen verhindert werden. Aber wir wissen ja, wie die KV BW unterwegs ist. Vor wenigen Monaten wurde die Notfallpraxis in Buchen geschlossen. Sollte das passieren, droht wiederum die Gefahr, dass Menschen aus blanker Not heraus in Krankenhäusern oder beim Rettungsdienst aufschlagen. Mich wundert es, dass es da noch keinen breiten Chor gibt, der das nach Stuttgart zur KV ruft. Zum gesetzlichen Sicherstellungsauftrag der KV BW gehört nämlich auch die Organisation eines ambulanten Notfalldienstes außerhalb der Sprechstundenzeiten.
Dennoch fehlen durch die Schließung der Rotkreuzklinik Betten im Main-Tauber-Kreis.
Schauder: Dadurch, dass der Krankenhausstandort Wertheim vom Insolvenzverwalter geschlossen wurde , muss man an anderen Standorten krankenhausplanerisch nachsteuern. Das Sozialministerium Baden-Württemberg als oberste planerische Krankenhausbehörde hat festgestellt, dass durch die Schließung der Rotkreuzklinik landkreisweit elf stationäre Betten der inneren Medizin im Landeskrankenhausplan nachgezogen werden müssen. Diese Zahl ist ja bereits seit längerem bekannt. Die Gesundheitsholding Tauberfranken beabsichtigt nun, Abhilfe zu schaffen und steht mit Blick auf die planerische Kapazitätserhöhung am Krankenhaus Tauberbischofsheim in einem konstruktiven Austausch mit dem Ministerium.
Das ist ja mal ein positives Signal. Was plant die Gesundheitsholding in Tauberbischofsheim?
Schauder: Bereits im Frühjahr 2023 wurden unter Einbeziehung der Stadt Tauberbischofsheim und des Kreistags in einem ersten Workshop verschiedene Wege skizziert. Allerdings waren sich alle Beteiligten einig, dass die offenen Entscheidungen zur Krankenhausreform in diese Überlegungen mit einfließen müssen. Aktuell befindet sich der Entwurf von Gesundheitsminister Lauterbach in der parlamentarischen Diskussion. Die Vorgaben sind wichtige Grundlagen, damit wir die Planungssicherheit für künftige Entwicklungen haben. Deshalb haben wir uns im Sommer letzten Jahres darauf geeinigt, zunächst die Eckpunkte abzuwarten. Es ist aber ganz klar, eine Neuordnung und eine Modernisierung müssen kommen und werden kommen.
Was ist vorstellbar?
Schauder: Wir verfügen hier in Tauberbischofsheim über eine top-moderne Psychiatrie. In einem nächsten Schritt muss man auch die anderen Abteilungen des Krankenhauses erneuern. Man muss bedenken: Das ehemalige Kreiskrankenhaus Tauberbischofsheim ist kein normales Krankenhaus. Es ist ein Haus der Grund- und Regelversorgung, aber auch der Pflichtversorgung Psychiatrie. Die kann nicht ohne eine starke innere Abteilung betrieben werden. Deshalb nimmt der Krankenhausstandort Tauberbischofsheim auch über die Kreisgrenzen hinweg eine Sonderstellung ein. Wäre das Krankenhaus Tauberbischofsheim ausschließlich ein Haus der Grund- und Regelversorgung, würden wir hier auch in eine Glaskugel schauen. Aber weil wir hier mit der Psychiatrie Pflichtversorger für die Raumschaft sind, ist der Krankenhausstandort Tauberbischofsheim gesichert.
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