Main-Tauber-Kreis. „Ich mache mir Sorgen um unser Land, um unsere Kinder, die kaum eine Zukunft haben unter den Taliban.“ Rahmuddin Najib Mohammadi ist 29 Jahre alt. Er hat in Afghanistan Jura studiert und nach seinem Abschluss bei der Organisation „Afghans Coordination Against Corruption“ (AFCAC) gearbeitet. Die Organisation engagiert sich gegen Korruption in Afghanistan und wird sowohl von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit als auch von USAID, der US-amerikanischen Entwicklungshilfe unterstützt.
Nachdem einige seiner Kollegen von den Taliban ermordet wurden, entschloss er sich Ende 2015 zur Flucht. Er kam zunächst nach Mannheim und von dort nach Weikersheim, wo er heute lebt. Najib, wie ihn alle nennen, lernte schnell Deutsch und dolmetschte für die Jugendhilfe Creglingen, die für die Betreuung der sogenannten UmA (Unbegleitete minderjährige Ausländer) im Landkreis zuständig war. „Er hat uns als Übersetzer und pädagogische Aushilfe in der UmA-Zeit wunderbar unterstützt“, so Werner Fritz, Geschäftsführer der Jugendhilfe Creglingen. Heute ist er dort als Dualer Student der Sozialen Arbeit angestellt.
Und jetzt das. Diese Bilder aus seiner Heimat von Menschen, die sich an ein Flugzeug klammern, die totgetreten werden im Gerangel oder vom Himmel stürzen. Weinende Menschen, verzweifelte Mienen, bewaffnete Taliban, die durch leere Straßen patrouillieren, weil sich niemand nach draußen traut vor Angst. „Das ist ein Gefühl, dass sich niemand vorstellen kann“, sagt Najib. Seine Mutter, seine zwei Schwestern und fünf Brüder sind in Afghanistan. Einige wohnen im Norden des Landes, dort, wo die Bundeswehr stationiert war, einige in der Hauptstadt Kabul. Sechs seiner Geschwister haben Familie. Zu seinem jüngsten Bruder pflegt er engen Kontakt.
Der hat bei den Amerikanern im IT-Bereich gearbeitet und gehört damit zu den Personen, die im Visier der Taliban stehen, ist sich Najib sicher. Am Montag hat ihm sein Bruder sein Passwort für die Cloud mitgeteilt, in die er seine Unterlagen, persönliche Papiere und Arbeitszeugnisse der Amerikaner, geladen hat. Er hat Angst um seine Frau und seinen eineinhalbjährigen Sohn. Wenn ihm etwas passiere, solle Najib schauen, ob er die Familie des Bruders irgendwie retten kann, lautet die Botschaft. Die Chance, aus dem Land geflogen zu werden, sei für den Bruder und die Familie gering. „Erstmal sind die militärischen Ortskräfte dran“, meint Najib.
Die Unsicherheit ist groß. Najib kann kaum schlafen und essen. Den Vorlesungen zu folgen, fällt ihm momentan schwer. Zu sehr kreisen seine Gedanken um die Ereignisse in Afghanistan und um die Familie. Wenn er nachts aufwacht, schaut er auf Facebook nach neuen Nachrichten. Er verfolgt die Meldungen, sieht die Pressekonferenz der neuen, alten Machthaber. „Die Taliban versuchen der Welt zu zeigen, dass sie nicht die Taliban sind, die sie 2001 waren. Sie vermitteln, dass sie die Rechte von Frauen und Kindern respektieren. Aber die Taliban sind noch schlimmer geworden als vor 2001“, meint Najib. „Wir jungen, gut ausgebildeten Leute glauben den Taliban kein Wort“, sagt er.
Schlimme Erinnerungen
Das Attentat auf das World Trade Center 2001 war Anlass für den Einmarsch der Nato-Truppen in Afghanistan. 20 Jahre ist das her. Najib hat die Taliban in seiner Kindheit erlebt. Er musste mit Pluderhosen, die ein paar Zentimeter über dem Knöchel zu enden hatten, und Turban zur Schule gehen. Gelehrt wurde ausschließlich der Koran aus Taliban-Sicht. Wer auch nur einen Fehler machte, wurde mit der Peitsche bestraft. Mädchen waren vom Schulunterricht ausgeschlossen. Das änderte sich erst, als die Taliban zurückgedrängt wurden.
„Wir durften Bildung genießen. An meiner Universität waren wir 200 Studenten in meinem Jahrgang. 100 Männer und 100 Frauen“, berichtet Najib von dieser für ihn positiven Phase seines Landes. Doch er kennt auch die Berichte über Schüler und Studenten, die in Taliban-Gebieten aus den Häusern geholt und umgebracht wurden, nur weil sie das vermeintlich Falsche lernten.
Die Bilder und Filmsequenzen, die er aktuell sieht, erinnern ihn an diese bedrückenden Berichte: Ein Mann, des Diebstahls beschuldigt, wird öffentlich ausgepeitscht, das Gesicht schwarz angemalt und ein Schuh zwischen die Zähne gesteckt. So fährt man ihn durch die Stadt, dass jeder sehen kann, was mit jemandem geschieht, der sich angeblich nicht an die Regeln hält. Eine Überprüfung nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten gebe es nicht.
Najib spricht von einer großen Hilflosigkeit, die die Menschen und auch er selbst verspüren„Wir sind alle enttäuscht“, sagt er. „Wir wissen nicht, wie es weitergeht. Wir sind ratlos und sprachlos und wollen keine Regierung der Taliban.“ Er hofft darauf, dass die Amerikaner und die Europäer die Flucht von Afghanen ermöglichen und das Taliban-Regime nicht anerkennen.
In die Sprach- und Hilflosigkeit mischt sich auch Wut. Darüber, wie deutsche und andere ausländische Politiker Afghanistan eingeschätzt haben. Er erinnert sich an den Besuch des früheren Innenministers Thomas de Maizière oder an den von Ursula von der Leyen oder Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie seien immer mit schutzsicheren Westen ausgestattet und bestens beschützt worden. Sie hätten ausschließlich mit der Regierung gesprochen, das Land für sicher erklärt, um Menschen, die einst geflüchtet sind, abzuschieben.
Korrupte Regierung
Dabei sei die Regierung zutiefst korrupt. Sie habe Millionen von Euro und Dollar, die für das afghanische Volk und den Aufbau von Infrastruktur bestimmt waren, in die eigene Tasche gesteckt. „Bei uns sagt man, sie haben mit Euros und Dollars getanzt“, so Najib. Schulen, Universitäten und vieles mehr seien nur auf dem Papier gebaut worden. Man habe versäumt, mit Nichtregierungsorganisationen und Zivilaktivisten zu sprechen, um sich von der realen Situation im Land mit Warlords und Korruption auf allen Ebenen bis zur Regierung ein Bild zu machen. „Wo ist all das Geld geblieben, das Deutschland Afghanistan gegeben hat?“, fragt sich Najib.
Die Geschehnisse in seinem Land verfolgt er weiter gebannt und voller Sorge. Er traut den Taliban und ihren Versprechungen nicht. Auch wenn gesagt werde, dass Frauen im Rahmen des muslimischen Rechts arbeiten dürfen, fügt er aus selbst Erlebtem an: „Aber nur mit Burka.“
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