Die Tulpe mit der soft-orangenen Blüte und dem krummen Stängel ist doch wunderschön“, sagt Anne Oberwalleney, während sie die Blume für das Frühlingsgesteck kürzt, das vor ihr auf dem Tisch entsteht. Pflanzen, die gerade nicht der Norm entsprechen, haben für die Floral-Designerin ihren ganz besonderen Reiz. „Jede Blume ist einzigartig und sollte auch so behandelt werden“, betont sie.
Anne Oberwalleney ist an diesem Abend im Mannheimer Luisenpark zu Gast. Dort informiert sie auf Einladung des Bundesgartenschau-Teams über die Slowflower-Bewegung. Anne Oberwalleney war dabei, als das Projekt 2019 in Deutschland an den Start ging. Inzwischen gehören dem Netzwerk fast 200 Mitglieder in der Bundesrepublik, in Österreich und der Schweiz an. Die sogenannten Flowerfarmer in ihren Reihen verzichten beim Anbau von Schnittblumen auf Pestizide und genmanipulierte Pflanzen, düngen nur mit organischem Material, nutzen – wenn möglich – Saatgut biologischen Ursprungs. Aber auch die Floristen der Bewegung setzen bei ihrer Arbeit auf Regionalität, Saisonalität und Nachhaltigkeit.
Wert sichtbar machen
Anne Oberwalleney greift zu einer kleinen gelblichen Viola. „Wir möchten den Wert von Schnittblumen wieder sichtbar machen“, erklärt sie. „Denn diese sind hier oft nur noch Massenware.“ Während Deutschland weltweit als größter Importmarkt für Schnittblumen gelte, würden die allerwenigsten Schnittblumen, die über den Ladentisch gingen, auch hierzulande produziert. Das Gros, so die Aktivistin, stamme aus Ländern wie Kenia, Sambia, Äthiopien oder Ecuador, in denen weder die Rechte der Pflückerinnen auf den großen Plantagen noch ökologische Standards eingehalten würden. „Da wollen wir einen Gegenpunkt setzen“, macht Anne Oberwalleney deutlich.
Die Slowflower-Gärtnerinnen und Gärtner bewirtschaften nach eigenen Angaben meist weniger als ein Hektar Land. Dabei achten sie auf Bodengesundheit, wollen Insekten, Vögeln und anderen Tieren einen Lebensraum auf ihren Feldern bieten. „Wir arbeiten mit der Natur, nicht gegen sie“, so Anne Oberwalleney, die in ihrem Garten in Osnabrück auch selbst Blumen anbaut – beispielsweise Strauchrosen, Lilien, Aurikel und etliche Zwiebelgewächse. Diese, aber auch Erzeugnisse ihrer Kollegen aus dem Slowflower-Projekt, verarbeitet sie zu ungewöhnlichen Gestecken. Ihre Werkstücke wirken luftig, lassen jede einzelne Blume in ihrer Besonderheit zur Geltung kommen.
Im Mannheimer Luisenpark nutzt die Floral-Designerin als Basis eine Tonschale. Auf deren Boden befestigt sie in der Mitte mit Knetwachs einen Kenzan genannten Steckigel – ein Hilfsmittel, das ursprünglich aus der japanischen Blumensteckkunst Ikebana stammt. „Das dient schon mal zum Fixieren großer Zweige oder schwerer Stiele“, erläutert Anne Oberwalleney.
Dann nimmt sie eine Kugel aus zusammengeknautschtem Kaninchendraht und drückt ihn ebenfalls in das Gefäß. „Auch das ist eine uralte Technik zum Fertigen von Blumenarrangements, wie man sie etwa aus englischen Herrenhäusern kennt.“ Das Drahtgeflecht fungiert wiederum als Steckhilfe und ist zusammen mit dem Kenzan eine nachhaltige Alternative zu gängigem Steckschaum. Beides kann mehrfach verwendet werden.
Damit die Drahtkugel nicht aus der Tonschale rutschen kann, zieht die Fachfrau im nächsten Schritt ein recycelbares Papierklebeband von einer Seite der Schale zur anderen. „Man sieht also, dass man schon bei dem Material eine Menge im Sinne der Natur tun kann“, betont die Expertin.
Anschließend platziert sie zwei Magnolienzweige mit imposanten lila Blüten: den etwas höheren Zweig etwas links von der Mitte des Gefäßes, den etwas kleineren leicht rechts davon. „Das gibt dem Ganzen schon mal einen gewissen Grundschwung – auch ein Ikebana-Element“, verdeutlicht Anne Oberwalleney.
Dazu kommen schließlich die Tulpen, die kleinen Veilchen, Heucherablätter, aber auch Fuchstrauben mit ihren gelb-lila Blüten. „Mit letzteren schafft man eine schöne farbliche Verbindung zwischen den anderen Blumen“, erläutert die Osnabrückerin. Das macht das Gesamtwerk stimmig.
Durch die verschiedenen Höhen der einzelnen Komponenten gliedert sich das Werkstück gleichzeitig in verschiedene „Etagen“. Das lässt es interessant und nicht so kompakt erscheinen. „Der Blick des Betrachters kann von einer Blüte zur anderen wandern“, so Anne Oberwalleney. Damit das funktioniert, heißt eine Grundregel der Gestaltung: „Es sollte immer noch ein Schmetterling durch das Arrangement fliegen können.“
Moos ist tabu
Aber apropos Grundregeln: Die Floral-Designerin„stiftet“ nach eigenen Worten zwar immer gerne dazu an, überall in der eigenen Umgebung nach verwendbaren Materialien für Gestecke Ausschau zu halten. Allerdings seien auch dabei einige Regeln zu beachten. Die wohl wichtigste: Alles, was unter Naturschutz steht, ist tabu. Außerdem aber beispielsweise auch Moos, das vielen kleinen Lebewesen ein Zuhause bietet, erläutert Anne Oberwalleney. Eine weitere wichtige Regel: „Ich ernte niemals dort, wo ich nicht gefragt habe.“ Und drittens: „Im Idealfall sieht man nachher nicht, dass ich da gewesen bin – sprich: Man sollte nie zuviel abschneiden.“
Das Beschaffen von Material kann jedoch auch für Laien leicht gemacht werden. „Einfach Blumen selbst anbauen“, rät die Slowflower- Mitbegründerin. Damit könne jeder im Garten oder auf dem Balkon gleich anfangen. Mit Blumenzwiebeln, Ringelblumen oder Kapuzinerkresse. „Da kann man eigentlich nichts falsch machen“, sagt Floral-Designerin Anne Oberwalleney schmunzelnd.
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