Interview

Danyal Bayaz bemängelt handwerkliche Fehler bei den Grünen

Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz findet, dass die Grünen wieder mehr auf die jungen Menschen zugehen müssen. In diesem Zusammenhang lobt er die Kampagne der Volt-Partei bei der Europawahl

Von 
Karsten Kammholz und Walter Serif
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Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) blickt ein wenig neidisch auf die Kampagne der Volt-Partei bei der Europawahl. © Christoph Blüthner

Mannheim. Herr Bayaz, täuscht der Eindruck, dass niemand mehr die Grünen lieb hat?

Danyal Bayaz: In der Politik geht es nicht um Liebe und Romantik. Es geht um Vertrauen. Also darum, dass Menschen uns als Partei das Land anvertrauen, damit wir die Probleme lösen. Nach dem schlechten Ergebnis bei der Europawahl gibt es da Aufarbeitungsbedarf. Wir müssen wieder Vertrauen zurückgewinnen. Es wurden ja auch Fehler gemacht. Wir sollten aber auch nicht so tun, dass die Probleme wie Migration oder Klimaschutz erledigt wären, wenn es die Grünen nicht mehr geben würde. Wir haben Veränderungsbedarf in der Gesellschaft und in der Wirtschaft. Ich hoffe, dass meine Partei auch in Zukunft dazu einen Beitrag leisten kann.

Die Mannheimer Bundestagsabgeordnete Melis Sekmen hat für ihre Partei und ihre Fraktion weder Liebe noch Vertrauen empfunden und ist zur CDU übergelaufen. Das ist schon ein Ding.

Bayaz: Das war ein Ding und hat mich auch persönlich geschmerzt. Ich kenne Melis Sekmen gut und schätze sie auch. Ich halte ihren Austritt aber für kein Thema, mit dem sich die Grünen grundsätzlich beschäftigen müssen. Ich glaube, es hatte vor allem etwas mit ihrer Person zu tun.

Das müssen Sie erklären.

Bayaz: Was waren denn ihre Begründung für ihren Parteiaustritt?

Sie hat die Diskussionskultur bei den Grünen kritisiert und meint, sie sei als Migrantin bei der CDU besser aufgehoben.

Bayaz: Das ist eine klare und legitime Aussage. Ich bin ja froh, dass sie sich weiter für das Gemeinwesen in einer demokratischen Partei engagiert, ihr Herz schlägt am rechten Fleck. Menschen entwickeln sich aber. Man fremdelt auch mal mit der Partei und zieht dann seine Konsequenzen.

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Aber?

Bayaz: Ihre Kritik, dass man bei den Grünen nicht seine Meinung sagen kann, ist für mich nicht nachvollziehbar. Ich bin fast 20 Jahre Parteimitglied und gehe mit dem eigenen Laden auch nicht immer zimperlich um. Und Ministerpräsident Winfried Kretschmann gehört zu den Mitgründern und ist jetzt schon 40 Jahre bei den Grünen. Er reibt sich immer wieder mit seiner Partei . . .

. . . manche meinen ja sogar, dass Winfried Kretschmann besser zur CDU passen würde . . .

Bayaz: . . . ohne dass er deshalb an einen Austritt gedacht hätte. Kretschmann ist auf diese Weise ins höchste Staatsamt in Baden-Württemberg gekommen. Dafür muss man eben auch mal für seine Überzeugungen kämpfen und Mehrheiten in der eigenen Partei suchen.

Die CDU hat Sekmens Übertritt mit viel Häme aufgenommen. Offensichtlich weht der Zeitgeist nicht mehr grün. 2021 wollte Annalena Baerbock noch Kanzlerin werden, jetzt bezweifelt Anton Hofreiter, dass es für die Grünen Sinn macht, einen Kanzlerkandidaten ins Rennen zu schicken. Wie sehen Sie das?

Bayaz: Ich fand viele Reaktionen auf den Übertritt überzogen. Aber das zeigt nur, wie volatil diese Zeiten sind. In drei Jahren kann sich die Welt stark ändern.

Sie setzen also erst einmal auf das Prinzip Hoffnung?

Bayaz: 2021 hatten wir eine völlig andere globale Lage. Wir waren noch in der Pandemie, aber der Ukraine-Krieg hatte noch nicht begonnen, es gab keine hohe Inflation. Jetzt diskutieren wir darüber, wie es mit dem Wirtschaftsstandort weitergeht und über die Stationierung von Marschflugkörpern auf deutschem Boden. Die Konflikte wie jetzt im Nahen Osten beschäftigen uns alle. Aber wir Grünen müssen uns Gedanken machen. Das Thema Migration gehört dazu. Außerdem müssen wir beim Klimaschutz wieder in die Offensive kommen. Da haben wir ja Lehrgeld bezahlen müssen, weil Klimaschutz auf einmal sehr konkret geworden ist. Stichwort Gebäudeenergiegesetz.

Danyal Bayaz

  • Danyal Bayaz wurde am 15. Oktober 1983 in Heidelberg geboren. Seine Mutter ist Deutsche, sein Vater ist Türke. Bayaz hat daher zwei Pässe.
  • Der Grünen-Politiker hat eine steile Karriere hingelegt, seit Mai 2021 ist er Finanzminister in Baden-Württemberg. Der „FAZ“ ist der „grüne Exot“ schon vorher als Bundestagsabgeordneter (Wahlkreis Bruchsal-Schwetzingen) aufgefallen. Zum Beispiel, als er im Wirecard-Untersuchungsausschuss den damaligen Finanzminister Olaf Scholz löcherte.
  • Bayaz versteht etwas von Wirtschaft. Der Politiker kommt aus der Beraterszene und promovierte über privates Beteiligungskapital.
  • Verheiratet ist er mit Katharina Schulze, der Fraktionsvorsitzenden der Grünen in Bayern. was

Sie haben die Frage nach der Kanzlerkandidatur nicht beantwortet.

Bayaz: Die Bundestagswahl ist erst 2025. Klar ist aber, dass wir keinen Kanzlerkandidaten aufstellen müssen, wenn wir dann in den Umfragen bei zehn Prozent liegen. Andererseits steht die SPD, die den Kanzler stellt, in den Umfragen gegenwärtig auch nur bei 14 Prozent.

Alle gehen ja davon aus, dass die Grünen mit Robert Habeck als Spitzenkandidat in den Bundestagswahlkampf ziehen werden. Was erwarten Sie denn von ihm?

Bayaz: Ein Amtsverständnis, dass das Land vor der Partei steht. Einen Blick für die breite Mitte der Gesellschaft. Einen hohen Grad an Pragmatismus. Das bringt Habeck alles mit. Ich halte ihn für einen außergewöhnlichen Politiker in seiner Art und Kommunikation. Und Habeck nimmt die Menschen auch in die Verantwortung und sagt nicht: Ich kümmere mich um alles und Ihr müsst nichts tun. Das fand ich bei Wolfgang Schäuble immer beeindruckend, der meinte: Demokratie ist eine Zumutung. Man redet den Menschen nicht nach dem Mund, sonst nehmen die einen auch nicht ernst. Dieses Amtsverständnis sehe ich auch bei Habeck. Deshalb habe ich auch den Wunsch, dass er sich auch den Grad an Freiheit nimmt, den man als Spitzenkandidat braucht. Er ist da der Richtige.

Sie haben gesagt, dass nach der Europawahl ein Aufarbeitungsbedarf besteht. Gehört da auch dazu, dass die Jugend nicht mehr zu den Grünen hält und zum Beispiel lieber die Volt-Partei wählt.

Bayaz: Die Volt-Partei hat eine ziemlich gute Kampagne gemacht. Man kann von denen einiges lernen, die verstehen etwas von junger und optimistischer Kommunikation.

Während die Grünen inzwischen eher altbacken daherkommen.

Bayaz: Sie sprechen einen Punkt an, der uns weh tut und Sorgen bereitet. Es gibt keinen Rechtsanspruch darauf, dass junge Menschen eine Partei wählen, die sich als Markenkern der Zukunft verschrieben hat. Wir müssen jetzt nicht alle TikTok nutzen, aber wir müssen auf die jungen Menschen zugehen und verinnerlichen, dass viele auch eine Sehnsucht nach einem normalen bürgerlichen Leben haben. Vielleicht mit einer Doppelhaushälfte plus Garten, gewiss aber einem sicheren Ausbildungsplatz oder Job und einer Rente, die auch für sie noch funktioniert.

Offensichtlich traut die Jugend da den Grünen nicht viel zu.

Bayaz: Die Jugend gibt es nicht, denn auch die jungen Menschen haben ganz unterschiedlich gewählt. Aber bei einem Teil hat in der Tat eine Entfremdung stattgefunden. Das ist ein Arbeitsauftrag an uns. Wir sind ja schon noch die Partei, die für Veränderung im positiven Sinn steht, und da gibt es genügend Themen, um mit Jüngeren ins Gespräch zu kommen. Und die treibt mehr als nur der Klimaschutz an. Ich kämpfe auch deshalb dafür, dass wir uns nicht als monothematische Partei verstehen. Der Ministerpräsident redet immer so schön vom Vollsortimenter.

Sie sehen die Grünen also nicht als eine Milieu-Partei.

Bayaz: Genau.

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Die Grünen wollen immer hoch hinaus, fabulieren von der Volkspartei und legen dann eine Bauchlandung hin. Liegt das nicht auch daran, dass die Grünen manchmal amateurhaft daherkommen, wie beim Heizungsgesetz?

Bayaz: Politik ist mehr als Kommunikation. Politik ist vor allem Handwerk. Und das Handwerk muss sitzen. Und weil Sie das Heizungsgesetz angesprochen haben: Robert Habeck war ja selbst derjenige, der gesagt hat, da wollte ich zu viel. Zeigen Sie mir einen Politiker, der offen zugibt, dass er einen Fehler gemacht hat. Diejenigen, die Habeck heute hart rannehmen, sind ja oft dieselben, die den desolaten Zustand bei der Bundeswehr, der Bahn oder der russischen Gasabhängigkeit zu verantworten haben. Da ist der Wirtschaftsminister eine wohltuende Ausnahme und das ist auch ein Zeichen von Stärke. Wir sind gerade dabei den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Und da macht man sich auch mal die Finger schmutzig. Und da finde ich bei aller berechtigten Kritik die Maßstäbe manchmal etwas unfair.

Klingt ein bisschen wehleidig.

Bayaz: Nein, ich will uns jetzt auch nicht in die Opferecke stellen. Das löst keine Probleme. Wir müssen die Verantwortung annehmen. Und da gibt es natürlich Luft nach oben. Ich glaube schon, dass wir das verlorene Vertrauen wieder zurückbekommen. Und wir wollen es uns nicht in der Nische bequem machen.

Gehört dazu auch, dass Sie in letzter Zeit oft das Thema Migration aufgreifen. Wollen Sie mit Populismus Wahlen gewinnen?

Bayaz: Darum geht es mir nicht.

Wir beziehen uns da auf Kanzler Olaf Scholz, der im großen Stil abschieben will.

Bayaz: Damit fängt es ja an. Wenn man Erwartungen weckt, die nur schwer einzuhalten sind, produziert man Enttäuschung. Deshalb stellt sich die Frage: Welche Rolle soll unsere Partei da einnehmen?

Verraten Sie es uns.

Bayaz: Zunächst einmal können die Grünen stolz darauf sein, dass sie für eine offene und vielfältige Gesellschaft stehen und die Errungenschaften der Genfer Flüchtlingskonvention nicht aushöhlen wollen. Das heißt, dass wir auch nicht den Wettbewerb um die schärfsten Forderungen mitmachen müssen. Wir sollten uns auch wieder mehr trauen, die positive Seite von Migration zu sehen, nämlich wenn es um Arbeitsmigration geht. Wir haben einen Fachkräftemangel, ja überhaupt einen Mangel an Kräften. Da liegt es ja auf der Hand, dass wir die Zuwanderung von Arbeitskräften befürworten. Ich wünsche mir aber auch mehr Klarheit von uns.

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Inwiefern?

Bayaz: Wir müssen klar sagen, dass wir die irreguläre Migration zurückdrängen wollen, weil wir sonst die Integrationsfähigkeit der Kommunen in den Städten und auf dem Land nicht aufrecht erhalten können. Wir müssen also prüfen, welche Instrumente die richtigen sind. Deshalb sollten wir nicht jeden Vorschlag wie zum Beispiel die Bezahlkarte oder Grenzkontrollen gleich als Teufelszeug abtun.

Lassen Sie uns über die Landtagswahl 2026 in Baden-Württemberg reden. Was erwarten Sie von Cem Özdemir? Kann der gegen Manuel Hagel noch etwas ausrichten, die Grünen liegen ja in den Umfragen gegenwärtig rund zehn Prozentpunkte hinter der CDU?

Bayaz: Bisher haben weder Grüne noch CDU offiziell ihre Spitzenkandidaten gekürt.

Jeder in Stuttgart weiß, dass es auf einen Zweikampf zwischen Özdemir und Hagel hinauslaufen wird.

Bayaz: Jeder? Das muss an mir vorbei gegangen sein (lacht). Aber ich finde es schon mal gut, dass Sie sich jetzt auf diese zwei Parteien konzentrieren, weil Sie offensichtlich davon ausgehen, dass eine von beiden den nächsten Ministerpräsidenten stellen wird. Nach der Sommerpause wird sich meine Partei positionieren. Ich glaube, wenn sich Cem Özdemir bereit erklären würde, wäre das sicher ein starkes Angebot an die Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg.

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke hat in einem Interview mit uns die These vertreten, dass sich die Grünen in den Umfragen sogar verschlechtern würden, wenn Özdemir seinen Hut in den Ring wirft. Begründung: Ohne Kretschmanns Amtsbonus könnten die Grünen nicht vor der CDU landen.

Bayaz: Ich bin immer wieder fasziniert, mit welcher Obsession sich Herr Rülke mit den Grünen auseinandersetzt. Als die FDP bei der Europawahl mit 5,2 Prozent mal wieder an der politischen Existenzmarke gekratzt hat, war er der erste, der das Grünen-Wahlergebnis bewertet hat, anstatt sich mal mit dem eigenen dürftigen Abschneiden zu beschäftigen. Natürlich sind unsere Umfragen gerade nicht besonders berauschend. Ich glaube aber schon, dass die Grünen in Baden-Württemberg einen besonderen Stand bei den Menschen haben. Wir machen jetzt seit 13 Jahren erfolgreiche Landespolitik. Die Kretschmann-Jahre waren gute Jahre für die Menschen.

Noch mal: Er tritt nicht mehr an.

Bayaz: Das stimmt. Aber die Methode Kretschmann bleibt. Also: Land vor Partei, verwurzelt zu sein in der Mitte der Gesellschaft. Mit der Wirtschaft Allianzen bilden. Wir sind Industriestandort, ohne die Wirtschaft wird es nicht gehen. Wir müssen immer auch auf die Veränderungsnotwendigkeit hinweisen, sie aber auch mit der gesellschaftlichen Veränderungsbereitschaft in Balance zu bringen. Ich glaube, dafür sind wir gut gerüstet. Sonst wäre ich auch nicht in dieser Partei. Mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben, das ist weiterhin aktuell. Ich glaube, dass die Menschen im Amt des Ministerpräsidenten eine Person wollen, die erfahren ist und ihnen Orientierung gibt. Die kann diese aber nur geben, wenn sie selbst Orientierung hat und charakterlich integer ist.

Ehemalige Mitarbeit ehem. Chefredakteur

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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