Wertheim. Gut zwei Jahre lang war der jüdische Friedhof komplett gesperrt – wegen unsicherer Wege. Seit Anfang Juli können ihn Besuchergruppen wieder erkunden. Am Donnerstag wurde der Friedhof offiziell übergeben.
Schon 24 Gruppen haben den jüdischen Friedhof binnen eines Monats nach der Wiedereröffnung besucht, wie Wertheims Fremdenverkehrschefin Christiane Förster am Rande der offiziellen Übergabe am Donnerstag informierte. Ein Zeichen dafür, wie wichtig der Gottesacker für die Erinnerungskultur ist. Kein Wunder, ist er doch einer der ältesten erhaltenen Grabstätten seiner Art in Baden-Württemberg. Das älteste Grab wurde 1406 angelegt.
Bei der Übergabe erinnerte Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez vor Vertretern der Kommunalpolitik, Gönnern und engagierten Bürgern an den „Kraftakt“, den es bedurfte, um die finanziellen Mittel für die notwendige Sanierung der Wege aufzutreiben.
Rund 220 000 Euro waren notwendig. Letztlich gab das Land 100 000 Euro dazu. Etwas mehr als 80 000 Euro trug die Stadt Wertheim bei. Dazu kamen private Spenden von mehr als 30 000 Euro. Der Landkreis und die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden beteiligten sich mit vierstelligen Beträgen.
OB Herrera Torrez sagte, dass in Wertheim Gedenkstätten, Mahnmale, Stolpersteine und Gedenktafeln an die Verbrechen der Nazi-Barbarei erinnern. „Wenn es immer weniger Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gibt, die aus eigenem Erleben berichten können, welche Schrecken sie durchleiden mussten, wird eine lebendige Erinnerungskultur umso wichtiger“, so der OB.
Wertvolles Kulturdenkmal
Man müsse den Menschen immer wieder vor Augen führen, „in welch bedeutender Weise Jüdinnen und Juden dieses Land und auch Wertheim mitgeprägt haben“, sagte er. „Wer offenen Auges über den Friedhof geht, dem wird die einstige Vielfalt jüdischen Lebens in Wertheim bewusst werden“, schilderte Herrera Torrez die Bedeutung der Begräbnisstätte.
Diese sei besonders wichtig vor dem Hintergrund des Antisemitismus, der „längst auch in Deutschland wieder allgegenwärtig“ und „weit bis in die Mitte der Gesellschaft vorangekommen ist“. „Wir alle müssen dem entschieden entgegentreten“, forderte Herrera Torrez. Der jüdische Friedhof sei nicht nur wegen seiner langen Geschichte ein wertvolles Kulturdenkmal. „Er ist vor allem tief in den Herzen vieler Wertheimerinnen und Wertheimer verankert“, so der OB. Das hätten die öffentlichen Diskussionen seit der Sperrung gezeigt. Die Gesellschaft stehe „in der Verantwortung, die Erinnerung daran wachzuhalten“.
Ein „wunderbares Zeichen“ für das Engagement der Zivilgesellschaft seien die Spenden. Namentlich nannte Herrera Torrez die Stiftung Rudolf Brand – Helmut Schöler, die Firma TFA Dostmann sowie die Privatleute Heinz und Maria Dostmann, Stefan und Brigitte Gläser und den Verein Pro Wertheim.
Lob den Spendern
„Sie alle haben auf großzügige Weise einmal mehr ihre Verbundenheit mit der Stadt Wertheim und darüber hinaus mit dem jüdischen Friedhof unter Beweis gestellt“, lobte der OB. Auch dem Land und dem Landkreis Main-Tauber dankte das Stadtoberhaupt. Bürgermeister Wolfgang Stein habe sich in Stuttgart mit Nachdruck für die finanzielle Förderung eingesetzt.
Nicht nur die Finanzierung sei ein Kraftakt gewesen, sondern auch die eigentlichen Arbeiten. Das steile Gelände habe den Einsatz von schwerem Gerät nicht zugelassen. Der Weg sei hauptsächlich in Handarbeit hergerichtet worden, bis zu 150 Kilogramm schwere Treppenstufen hätten die Arbeiter von Konrad Bau neu oder gerade gesetzt und die Handläufe angebracht.
„Stur und hartnäckig“
Gabriel Albilia, Friedhofsbeauftragter der Israelitische Religionsgemeinschaft Baden, bedankte sich bei OB Herrera Torrez, der sich für das Projekt besonders engagiert habe. „Ich hätte nie gedacht, dass so eine Aktion in so kurzer Zeit erledigt werden könne“, sagte er.
Die Israelitische Religionsgemeinschaft hätte alleine das Projekt nicht stemmen können. Schon 20 Jahre lang seien die Zuschüsse aus Stuttgart nicht erhöht worden, obwohl die Kosten um das Vielfache gestiegen sind. Bei der Hälfte der 96 jüdischen Friedhöfe im badischen Bezirk stehe man vor ähnlichen Problemen.
„Ich muss Euch wirklich alle loben“, rief Albilia. „Wenn wir zusammen für das gleiche Ziel kämpfen, haben wir Hoffnung“, ergänzte er. Die Briefe an die Stuttgarter Behörden hätten Wirkung gezeigt: „Ihr wart stur und hartnäckig“, lobte Albilia. Ein jüdischer Friedhof dürfe nicht geschlossen bleiben, weil Besucher gefährdet sind. Jetzt gelte es so viele Leute wie möglich zum Kommen zu ermuntern.
Im Anschluss unternahm man einen Rundgang. Gabriel Albilia erläuterte so manches Detail zu den Grabsteinen und zur jüdischen Kulturgeschichte.
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/orte/wertheim_artikel,-wertheim-wertheim-juedischer-friedhof-teil-lebendiger-erinnerungskultur-_arid,1980916.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.fnweb.de/orte/wertheim.html