Wertheim. Ein lauter Schlag ließ am frühen Morgen des 17. Dezembers 2019 die Mieter des Hauses oberhalb der Pfarrgasse in Wertheim zusammenfahren. Von der Sandsteinmauer hinter der Stiftskirche war nur noch ein Trümmerhaufen übrig: Das Bauwerk war abgerutscht (wir berichteten). Nun ist der „Mauerfall von Wertheim“ vor Gericht gelandet. Es geht um Schadensersatz in Höhe von 150 000 Euro. Der Eigentümer, Christian Freudenberger, wirft einem Unternehmen, das er im Herbst 2019 zurate zog, vor, es habe die Gefahr erkennen und ihn deutlich auf diese hinweisen müssen.
Rückblick: Beim Unkrautjäten entdeckt Freudenberger, der die Mauer zusammen mit dem angrenzenden Wohngebäude 2016 gekauft hat, einen Riss und eine Verschiebung des Bauwerks um einige Zentimeter. Er informiert sich über Firmen, die auf die Sanierung derartiger Bauten spezialisiert sind, und nimmt Kontakt auf. Am 10. September 2019 findet vor Ort ein Treffen mit zwei Geschäftsführern des Unternehmens aus Südhessen statt. Zu dritt nehmen sie den Schaden unter die Lupe, zunächst am Fuß der Mauer hinter der Stiftskirche, später auch oberhalb der Pfarrgasse von hinten.
Soweit waren sich beide Parteien bei der Anhörung am Mittwoch am Landgericht Mosbach einig. Zur Debatte steht, was genau bei dem Treffen gesagt wurde. Die beiden Fachleute hätten verschiedene Sanierungsmöglichkeiten vorgestellt, so der Eigentümer. Von „Gefahr im Verzug“ sei kein Wort gefallen.
Genau nach der Gefahr gefragt?
Er habe sich angesichts des Schadens Sorgen gemacht, bestätigte Freudenberger: „Als Laie kann man da auch Angst bekommen.“ Ob er bei dem Termin denn nicht nachgefragt habe, ob die Mauer einstürzen könnte, wollte der Anwalt der Beklagten wissen. Er sei Laie, wiederholte der Kläger, und habe deshalb auf die Fachleute vertraut. Die beiden Bauexperten widersprachen: Gegen Ende des Gesprächs habe Freudenberger wissen wollen, wie lange die Mauer noch hält. Diese Frage komme bei solchen Terminen häufig vor, die Antwort sei immer die gleiche: „Man kann einfach nicht sagen, was passiert und wann es passiert.“ Es könne „sofort, oder in zehn Jahren, oder nie“ zum Einsturz kommen.
Vor einer möglichen Sanierung wären Voruntersuchungen inklusive Bohrungen notwendig gewesen, um festzustellen, was sich hinter der Mauer befindet und wie das Material beschaffen ist. Die Baufirma nahm nach eigener Aussage direkt im Anschluss an das Treffen Vermessungen vor. Zwei Tage später ging beim Eigentümer per Mail ein Angebot für die Untersuchung ein. Der Auftrag blieb aus. Sein Zögern begründete Christian Freudenberger vor Gericht damit, dass er zunächst auf Rückmeldungen von Versicherung und Denkmalamt wartete, ob ein Teil der Kosten übernommen werde. Im Nachhinein sei kein Antrag mehr möglich. Eine Begehung mit dem Landesdenkmalbeauftragten sei erst Anfang Dezember machbar gewesen.
Mehrere Wochen nach dem ersten Angebot nahm einer der beiden Geschäftsführer erneut Kontakt zu Freudenberger auf. Letzterer wollte eine Einschätzung zu den Kosten einer Sanierung. Wegen fehlender Informationen habe die Firma daraufhin ein „Angebot auf Nummer sicher“ erstellt und es dem Kläger am 23. Oktober unterbreitet. Dieser habe die Kosten als „eine Hausnummer“ bezeichnet, danach hätten sie nichts mehr von ihm gehört – bis sie im Dezember über die Medien vom Einsturz der Stützmauer erfuhren. Wären sie beauftragt worden, hätten sie je nach Witterung „bis Mitte Dezember einiges an Sicherung erledigen“ können, so die Aussage.
„Kein Anlass, sofort zu reagieren“
Beim Termin vor Ort habe das Bauwerk keinen „besonders schlechten Eindruck“ gemacht. Die Fachleute sahen „keinen Anlass, sofort zu reagieren“. Als mögliche Notmaßnahme hätte die Mauer mit Holz abgestützt werden können, dafür sei „die genaue Beschaffenheit irrelevant“, räumten die Experten ein.
Der Anwalt des Klägers wiederholte den Vorwurf: Das Unternehmen habe erkannt, dass es sich nicht um ein triviales Problem handele. „Wäre das nicht der Zeitpunkt gewesen, dem Laien zu helfen und ihm zu sagen, dass man sich beeilen sollte?“ Die Fachleute hielten dagegen: Risse seien „kein Anzeichen, dass dermaßen Gefahr im Verzug ist“. Ob das Bauunternehmen die Dringlichkeit der Lage habe erkennen können und den Eigentümer nicht ausreichend darauf hingewiesen habe, soll voraussichtlich ein Gutachten klären, kündigte Richterin Melanie Lippert an. Wegen der entgegengesetzten Positionen konnten sich beide Parteien am Mittwoch nicht einigen. Sie haben nun noch einmal die Möglichkeit, Stellung zu beziehen. Bis Mitte Mai muss der Kläger einen Grundbuchauszug vorlegen. Die Beklagten bezweifeln dessen Eigentum an der Mauer.
Bereits im Vorfeld des Prozesses sorgte die Frage für Verwirrung, wie viel der Kosten für den Wiederaufbau gefördert oder von anderer Stelle übernommen werden. „Ich trage die Kosten komplett selbst, die Stadt ist raus“, teilte Freudenberger auf Nachfrage mit. Förderungen kommen von Denkmalstiftung und Landesdenkmalamt (wir berichteten). Wie hoch die Zuschüsse am Ende ausfallen, sei davon abhängig, wie viel der Sanierungskosten im sechsstelligen Bereich er als Privatperson tragen muss – also vom Ausgang des Verfahrens.
Das klaffende Loch in der Wertheimer Altstadt schließt sich indes zunehmend, die Mauer ist weitestgehend wiederhergestellt. Drei bis vier Wochen werden die restlichen Arbeiten noch in Anspruch nehmen, so Christian Freudenberger.
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