Fairer Handel - Ein dickes Brett bohren dauert seine Zeit

Steuerungsgruppe strebt erneute Zertifizierung für Wertheim als „Fairtrade-Town” an

Wertheim ist seit 2019 „Fairtrade-Town“. Doch hinter diesem Siegel steckt eine Menge Arbeit und Herzblut, seit Jahren aufgebracht von den Mitgliedern der Steuerungsgruppe.

Von 
Heike Barowski
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Wenn Bettina Kempf (links) und Marlise Teicke Kaffee trinken, ist er natürlich mit dem Fairtrade-Siegel versehen. © Heike Barowski

Wertheim. Unter dem Begriff „Fairtrade“ verbirgt sich deutlich mehr als nur fair gehandelter Kaffee oder Kakao und Rosen. Manchmal kann sogar eine ganze Stadt das Siegel „Fairtrade-Town“ erhalten. So geschehen in Wertheim im Jahr 2019. 2021 erfolgte die erste Rezertifizierung und im nächsten Jahr soll bestätigt werden, dass „Faitrade“ in der Stadt kein Fremdwort ist. Zu verdanken ist dies der lokalen Steuerungsgruppe, deren Leiterin Marlise Teicke ist. Die Fränkischen Nachrichten sprachen mit ihr und Bettina Kempf als aktives Mitglied.

Fairtrade-Town

782 Städte und Landkreise in Deutschland tragen inzwischen das „Fairtrade-Town“-Zertifikat, darunter Hannover, Heidelberg und Bremen sowie Freudenberg, Marktheidenfeld, die Landkreise Miltenberg und Würzburg-Land. Zusätzlich gibt es 821 „Fairtrade-Schools“ und 37 „Fairtrade-Universities“.

Mit dem „Fairtrade-Town“-Zertifikat wird dokumentiert, dass man sich in dieser Stadt gemeinsam für einen fairen Handel stark macht. Für den Titel müssen fünf Kriterien erfüllt werden, die das Engagement auf allen Ebenen widerspiegeln.

Mitglieder in der Steuerungsgruppe Wertheim sind Cornelia Sachs, Nora Sachs-Rippler, Martina Dosch, Margit Versch-Wiechert, Jens Rögener, bettina Kempf und Marlise Teicke (Vorsitzende).

Mehr Informationen unter www.fairtrade-towns.de und bei Marlise Teicke per Mail an: marlise.teicke@googlemail.com. hei

Am 20. Mai 2019 erhielt Wertheim zum ersten Mal das Zertifikat „Fairtrade-Town“. Unter welchen Bedingungen hat die Stadt den Zusatztitel erhalten?

Marlise Teicke: Dieses Zertifikat wird von Fair Trade Deutschland mit Sitz in Köln verliehen. Um es für zwei Jahre zu bekommen, mussten wir fünf Lebensmittelgeschäfte, zwei Restaurants, zwei Schulen und zwei Vereine davon überzeugen, Fairtrade-Produkte in ihr Angebot aufzunehmen. Auch die Stadtverwaltung bietet Fairtrade-Produkte beispielsweise bei Sitzungen und Versammlungen an. Weitere Bedingungen für die Zertifizierung waren die Gründung einer Steuerungsgruppe mit wenigstens fünf Personen und der positive Beschluss des Gemeinderats, an der Zertifizierung teilzunehmen.

Was war der schwierigste Teil auf dem Weg zum Zertifikat?

Teicke: Das war tatsächlich Schulen zu finden, die mitmachen. Sie hatten nämlich fälschlicherweise immer die umfangreichen Aufgabenstellungen einer Fairtrade-Schule vor Augen.

Bettina Kempf: Anders als bei einer Fairtrade-Schule brauchen die Schulen, die Teil der Zertifizierung „Fairtrade-Town“ sind, eigentlich nur einmal im Jahr ein Projekt umsetzen und im Lehrerzimmer Fairtrade-Kaffee oder -tee anbieten.

Im Juni 2021 wurde das Zertifikat erneuert. War die Rezertifizierung leichter?

Teicke: Nein, sie war sogar etwas schwieriger, weil Corona doch einiges verhinderte. So konnten wir geplante Aktionen mit den Schulen nicht verwirklichen. Die Vereine veranstalteten keine Feste, auf denen Fairtrade-Produkte angeboten worden wären, dazu zählen auch die Faschingsveranstaltungen und die Michaelismesse.

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Dennoch hat die Stadt das Zertifikat erneut erhalten. Also konnte doch ein Gutteil der Vorhaben umgesetzt werden?

Teicke: Um die Erneuerung zu bekommen, konnten wir einige Aktivitäten vorweisen, die vor allem 2019 stattfanden. So wurde bei der Stadtmeisterschaft in Reicholzheim mit Fairtrade-Fußbällen gespielt, Fairtrade-Produkte wurden unter anderem beim Autofreien Sonntag, während der Michaelismesse und auf Vereinsfesten angeboten. Die Forscherkids luden die Natur- und Wildnisspädagogin Anke Camphausen vom Eine-Welt-Netzwerk Bayern ein. Sie erklärte wunderbar, was hinter einer Schokolade steckt. Wir waren bei dem Weihnachtsmarkt 2019 und 2020 dabei und auf vielen Ortschaftsratssitzungen. Der Frauenverein verteilte am Internationalen Weltfrauentag am 8. März 2021 gesponserte Fairtrade-Rosen. Die Steuerungsgruppe ist immer wieder mit einem Stand beim städtischen Marktleben dabei. Unsere Aktivitäten reichten aus, dass wir das Zertifikat für weitere zwei Jahre, also bis 2023, erhielten.

Kempf: Außerdem konnten wir eine neue Gastwirtschaft dazu gewinnen, sowie eine Schule und zwei Vereine. Insgesamt hatten wir Glück, dass wir 2019 sehr aktiv waren und somit auch die Zertifizierung sichern konnten.

Welche Aktionen oder Projekte wurden seit der zweiten Zertifizierung umgesetzt?

Teicke: Wir haben alle Schulen, Kindergärten, Restaurants und einige Firmen angeschrieben und ihnen sowohl das Siegel „Fairtrade-Town“ als auch ihren möglichen Anteil an der Zertifizierung erklärt.

An der Werkrealschule Urphar/Lindelbach haben Sie ja direkt den Schülern das Projekt vorgestellt.

Kempf: Die Werkrealschule Urphar/Lindelbach ist neu dabei. Schulleiter Dieter Fauth hat das Projekt so umgesetzt, dass er die Steuerungsgruppe eingeladen hat, einen Vortrag über Fairtrade zu halten.

Teicke: Auch an der Grundschule in Reicholzheim haben wir das Projekt vorgestellt. Es war Teil des Fair-Trade-Frühstücks, welches die Schulleiterin Barbara Geissler an der Schule organisiert hatte.

Wie haben die Kinder reagiert?

Teicke: Die Schüler haben wirklich schon einiges über Fairtrade gewusst, wie das Siegel aussieht und welche Voraussetzungen nötig sind. Beeindruckend für die Kinder ist vor allem immer der Bericht von Ilse Fürnkranz-Deroua, wenn sie von ihrem Leben in Afrika erzählt und Bilder zeigt.

Kempf: In Zukunft sollen an Urli den Schülern auch Müsliriegel aus fairem Handel angeboten werden.

Welche Aktionen und Projekte sind für die nahe Zukunft geplant?

Teicke: Die Mitglieder der Steuerungsgruppe wollen weiter am Marktleben teilnehmen. Die neu dazu gewonnenen Schulen und Kindergärten und jene, die von Anfang an dabei sind, wollen wir tatkräftig unterstützen. Auch einen Vortrag, wie der 2019 im Arkadensaal, als wir „Plan for the Planet“-Mitglieder eingeladen hatten, um über ihre Arbeit zu berichten, soll es geben.

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Das klingt nach einem Antrag auf Verlängerung des Zertifikats im Jahr 2023. Wie zuversichtlich sind Sie, dass Wertheim sich weiterhin Fairtrade-Town nennen darf?

Kempf: Natürlich werden wir uns wieder um die Erteilung des Zertifikats bewerben.

Teicke: Wir sind wirklich zuversichtlich, dass das klappt, auch weil wir Schulen und Restaurants wie das Hotel „Martha“ und der „Ochsen“ in Wertheim dazugewonnen haben.

Ich erinnere mich, dass Sie einmal davon sprachen, sich auch dafür einzusetzen, dass das „Fairtrade-Town“-Logo auf der Internetseite der Stadt zu sehen sein wird. Woran hapert die Umsetzung?

Teicke: (zuckt mit den Schultern) Zu mindestens hängt schon mal ein Bild im Rathaus mit allen Auszeichnungen.

Spricht man mit einzelnen Personen, finden alle ein Umdenken im Handel zu fair produziert und gehandelten Artikeln richtig. Dennoch tun sich Unternehmen schwer, am Projekt zu beteiligen.

Teicke: Als wir alle Schulen, Restaurants und Firmen angeschrieben hatten, hätte ich mir tatsächlich gewünscht, dass mehr Rückmeldungen kommen. Von der Reaktion der Kindergärten war ich positiv überrascht. Viele haben ihre Mitwirkung zugesagt. Bei den Restaurants dagegen sieht es schlecht aus.

Können Sie seit der ersten Zertifizierung grundsätzlich eine positive Entwicklung in der Stadt bemerken?

Kempf: Nein eigentlich noch nicht. Unser nächstes Ziel wird es sein, ein Fairtrade-Einkaufsführer in den Umlauf zu bringen.

Corona, Ablehnung der Restaurants, Missverständnis bei den Schulen, gab es mal die Überlegung aufzuhören?

Kempf: Nein, überhaupt nicht. Aber dazu ist das Projekt auch noch zu frisch.

Teicke: Wenn man ein dickes Brett bohren muss, dauert das eben seine Zeit.

Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?

Kempf: Dass die Hotels stärker mit Fairtrade-Produkten arbeiten, wie Seife oder Bettwäsche.

Teicke: Dass jedes Restaurant ein Fairtrade-Menü auf der Karte hat.

Sie sprechen von keiner sichtbar positiven Entwicklung. Woher kommt dann die Kraft, weiterzumachen?

Teicke: Aus der Steuerungsgruppe. Die Harmonie im Zusammenspiel der Mitglieder treibt uns voran.

Alle Fäden laufen in der Steuerungsgruppe zusammen. Können Interessierte da noch mitmachen?

Teicke: Wir sind sieben Frauen und ein Mann aus unterschiedlichen Sparten und wir treffen uns ob online oder persönlich jeden zweiten Monat.

Kempf: Natürlich kann da jeder mitmachen, der möchte. Neue Mitglieder sind immer gerngesehen.

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Wertheim

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