Wertheim. Der Stadtrundgang durch Wertheim mit der frischgebackenen Ehrenbürgerin Renate Gassert gleicht einer Wanderung durch ihr Leben und die Geschichte ihrer Familie. Die Lieblingsecken markieren sozusagen auch markante Punkte ihrer Vita, so schon am Rosengarten beim Rathaus in der ehemaligen Hofhaltung. In der angrenzenden Mühlenstraße ist sie aufgewachsen – es war das Revier ihrer Kindheit.
Die Rosen des liebevoll angelegten Gartens, der vielen Paaren als Kulisse für das Hochzeitsfoto dient, sprießen zu dieser Jahreszeit naturgemäß spärlich. Aber im Sommer – dann genießt Renate Gassert das Idyll nahe der Tauber. „Die Vielfalt an Sorten und Farben – es ist ein einfach schön, hier zu sitzen und sich daran zu erfreuen“, sagt die Liebhaberin der Edelblume, die zu Hause auf dem Wartberg Rosen züchtet.
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Die Blickachse zur Burg verleihe dem Plätzchen zudem Perspektive. Und auch der in Wertheim eher selten zu findende Ginkgobaum hat es ihr angetan. Goethe dichtete einst über das Blattwerk: „Dieses Baums Blatt, der von Osten Meinem Garten anvertraut, Giebt geheimen Sinn zu kosten, Wie’s den Wissenden erbaut.“ Muse und Natur auf einem Fleckchen.
Ort der Bürger
Bei der Plauderei auf dem Bänkchen im Innenhof der Hofhaltung schwärmt sie von dem „wunderbar geschlossenem Ensemble“ der ehemaligen Fürstenresidenz, in dem die Stadtverwaltung arbeitet.
Früher ein Ort der Herrschenden, stelle der Komplex heute einen Ort der Bürger dar, an dem sie sich wohlfühlen können, der trotz seiner Großzügigkeit eine „gewisse Geborgenheit“ gibt. Renate Gassert schwärmt von den Theateraufführungen und den ökumenischen Gottesdiensten, die bis vor ein paar Jahren hier stattfanden.
Nächste Station Stiftskirche: „Hier wurde ich konfirmiert, alle drei Kinder empfingen ihre Taufe. Mein Großvater Leonhard Karl war Organist, und auch meine Tante hat hier georgelt – alle sangen hier im Kirchenchor“, erklärt sie die Familienbande zum spätgotischen Bau.
Ruhe der Stiftskirche
Den Platz vor der dem Gotteshaus schätzt sie wegen des eingrenzenden Ensembles verschiedener Baustile und – erneut – dem schönen Blick auf die Burg. Auf der Terrasse des benachbarten Cafés verspürt sie im Sommer „mediterrane Gefühle“. Renate Gassert genießt die Ruhe des Raums. Die schönsten Erlebnisse hier? Natürlich die Taufen der Kinder, aber auch die Wiedereinweihung nach der Sanierung 2007 – ein ökumenischer Akt mit dem katholischen Erzbischof und dem evangelischen Landesbischof: „Das war für mich schon erhebend, dass beide Konfessionen zusammen kommen können, wenn sie wollen.“ Feierlich sei der Gottesdienst gewesen, „aber fröhlich feierlich – nicht so steif“.
Vorbei am „Blauen Haus“ und dem alten Rathaus geht es zum Wenzelsplatz, der noch gar nicht so lange existiert. Hier bietet sich erneut ein schöner Blick auf die Burg, die „uns beschützt und uns, den Bürgern, gehört“. „In den Mittagsstunden und gegen Abend ein schöner Ort zum Verweilen“, verspricht sie.
Romantische Ecken
Über die Zoll- und Nebenmaingasse geht es in verwinkelte, fast romantische Ecken. Ziel: das Stammhaus ihrer Großmutter Bertha Karl, geborene Meuter. Im heutigen Gebäude der Fränkischen Nachrichten betrieben ihre Vorfahren eine Metzgerei. Ihre Großmutter war das jüngste von 14 Kindern der alteingesessenen Familie. „Wenn eine Bürgerstochter in der Nähe der Stiftskirche oder ein bisschen weiter weg was zu tun hatte, ist sie als ehrbares Mädchen am Morgen oder zur Mittagszeit nie über den Marktplatz gelaufen.“ Der Vorwurf wäre gewesen: „Hat die nichts zu tun.“
Das Mädchen hätte sich dem Verdacht der Faulenzerei ausgesetzt, erklärt sie die strengen Sitten der Stadtgesellschaft.
Am Neuplatz erinnert Renate Gassert an die jüdische Gemeinde der Stadt, zeigt die Gedenktafel für die Synagoge – ein „Ort der Erinnerung“. Sie schätzt die „gelungene Verbindung des Spitzen Turms mit den modernen Gebäuden“. Es passe einfach zusammen, schließlich könne man nicht überall historisierend bauen.
„Tut der Seele gut“
Ein weiterer Lieblingsort Renate Gasserts liegt etwas abseits der Kernstadt: das Hofgarten-Schlösschen. Nicht nur wegen der dort ausgestellten „erstaunlichen Kunstsammlung für so eine kleine Stadt“. Vielmehr ist es der „Park, der immer offen für die Bürger“ sei – „etwas Feines für die Menschen. Etwas, was der Seele guttut“. Der Blick auf den Main bietet sich an. Als Jugendliche hat sie sich dort zusammen mit ihrer Clique von Mitschülern im Wasser treiben lassen – vom Eichler Eck bis zur Anlegestelle am Ruderhaus. In den 50-er Jahren sei der Main noch nicht so verschmutzt gewesen.
Zu den favorisierten Plätzen in Wertheim zählt Renate Gassert auch das Kloster Bronnbach – „sagenhaft“. Der wichtigste Ort, den sie zusammen mit den Fränkischen Nachrichten gerne besucht hätte, ist das Kirchzentrum auf dem Wartberg. Hier spielte sich ein Großteil ihres kommunalpolitischen Wirkens ab, für das sie jüngst als Ehrenbürgerin ausgezeichnet wurde. Der Besuch dort oben war nicht möglich: Baustelle.
„Grüner Wartberg“
Seit Ende der 1990-er Jahre lebt sie, aufgewachsen in der Stadt, mit ihrem Mann auf dem Wartberg, der Trabantensiedlung Wertheims. Dass es dort – um die Bungalows – „viel grüner“ sei, gefalle ihr. Es herrsche eine „sehr gute Nachbarschaft“.
„Der Wartberg ist nicht so schlimm, wie viele Menschen meinen“, sagt sie. Natürlich gebe es Herausforderungen, räumt Renate Gassert ein und „deswegen brauchen wir die Soziale Mitte“, das derzeit größte Investitionsprojekt der Großen Kreisstadt, für das sie schon vor Jahren angefangen hat zu kämpfen.
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