Urphar/Stuttgart. In Wertheim geboren und in Uprhar aufgewachsen: Peter Rückert ist neuer Leiter des Stuttgarter Hauptstaatsarchivs (wir berichteten). In den Fränkischen Nachrichten erklärt er, was und warum er es macht. Sein Faible für die Geschichtswissenschaft kam nicht von ungefähr. Die Wurzeln der Neugier für das Vergangene liegen im Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium und seinem Heimatdorf.
Herr Rückert, seit 1. Juni sind Sie der Leiter des Hauptstaatsarchivs Stuttgart. Was ist grob umschrieben Ihre Aufgabe?
Peter Rückert: Zunächst grundsätzlich: Das komplette Archivwesen in Baden-Württemberg ist als Landesarchiv organisiert. In diesem Verbund gibt es einzelne Archive wie beispielsweise auch das Staatsarchiv Wertheim. Das Hauptstaatsarchiv ist ebenfalls eine Abteilung des Landesarchivs. Wir sind zentral zuständig für die schriftliche Überlieferung von den Anfängen bis heute, also die Dokumente, die in den Magazinen liegen, gleichzeitig auch für die Betreuung der Obersten Landesbehörden wie beispielsweise die Ministerien des Landes und den Landtag. Was hier an Schriftgut oder mittlerweile digitalen Daten anfällt, muss gesichert und archiviert werden. Für die Sicherung und die Auswahl – wir nennen das Überlieferungsbildung – sind wir zuständig. Die nachgeordneten Landesbehörden, wie etwa Finanzämter, werden von den anderen Abteilungen betreut.
Und konkreter betrachtet?
Peter Rückert: Ich arbeite an den Archivbeständen. Auch bin ich dafür zuständig, sie zu vermitteln, an Nutzer und generell an die Öffentlichkeit. Um dies zu verdeutlichen: Es gibt in Stuttgart die Kulturmeile, wo die zentralen kulturellen Institutionen wie das Landesmuseum und die Landesbibliothek etc. angesiedelt sind. Wir liegen mittendrin. Wir nennen uns auch das „Schaufenster des Landesarchivs“, weil wir hier eine große öffentliche Wahrnehmung haben. Wir arbeiten eng mit der Politik und der Wissenschaft zusammen. Beispielsweise betreue ich auch Studierende, zeige ihnen die Bestände und das Archiv als künftigen Arbeitsort. Und vor allem arbeiten wir für die interessierte Öffentlichkeit. Es soll ja jeder, der will, die Überlieferung, also die Akten, Urkunden und alles andere, was auch immer ihn interessiert, bei uns im Lesesaal einsehen können.
Was ist denn der älteste Bestand, den Sie im Hauptstaatsarchiv haben?
Peter Rückert: Bei uns beginnt die Überlieferung ab dem 8. Jahrhundert. Alles, was geschrieben und aufbewahrt wurde, ist in die Archive eingegangen. Wir bewahren im Hauptstaatsarchiv Stuttgart beispielsweise die Überlieferung für das alte Königreich Württemberg, aber auch die Dokumente aus Klöstern wie Maulbronn. Diese Bestände sind durch die Reformation und dann die Säkularisation ins königliche Archiv eingegangen und bieten Grundstock für all das, was später dazukam. Ständig archivieren wir neues Material, wie das der Landesministerien. Der Bestand wird quasi ununterbrochen ergänzt. Insgesamt reden wir aktuell von etwa 27 laufenden Kilometern an Regalflächen, die mit Dokumenten gefüllt sind.
Hintergrund: Peter Rückerts Werdegang
Peter Rückert kam 1963 in Wertheim zur Welt und wuchs in Urphar auf.
1982 legte er das Abitur am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium ab.
Danach studierte Rückert Geschichte, Germanistik und Volkskunde in Würzburg und schloss es als Magister ab.
Die Promotion in mittelalterlicher Geschichte mit einer Dissertation zur Siedlungsgeschichte Mainfrankens im Mittelalter folgte 1989.
Nach dem Zivildienst absolvierte er von 1991 bis 1993 ein Referendariat für den Höheren Archivdienst beim Land Baden-Württemberg (in Stuttgart, Marburg, Koblenz).
Seit 1993 arbeitet er im Archivdienst des Landes, zunächst im Generallandesarchiv Karlsruhe, seit 1997 im Hauptstaatsarchiv Stuttgart.
Als Referatsleiter im Landesarchiv war er zuständig für die Überlieferung bis 1806, Bestandserhaltung und Ausbildung. Seit 1. Juni 2021 ist er Leiter der Abteilung Hauptstaatsarchiv Stuttgart.
Arbeitsschwerpunkte: Ausbildungsleiter im Landesarchiv. Prüfungsausschussvorsitzender beim Gehobenen Archivdienst; Erschließung und Vermittlung der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Überlieferung des Hauptstaatsarchivs Stuttgart, vor allem als Kurator in zahlreichen Ausstellungsprojekten, zuletzt: „Die Tochter des Papstes: Margarethe von Savoyen“ (Stuttgart/Morges/Turin 2020/2021)
Seit 1998 Lehrbeauftragter für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften am Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen, seit 2013 Honorarprofessor. wei
Wie sind denn die Sperrfristen für die Akten?
Peter Rückert: Sehr unterschiedlich. Es gibt Fristen für personenbezogenen Akten: aktuell 100 Jahre nach der Geburt oder zehn Jahre nach dem Tod einer Person. Die Details kann man auf unseren Internetseiten erfahren. Man bemüht sich, die Überlieferung möglichst rasch der Forschung zur Verfügung zu stellen. Das ist ein wichtiger demokratischer Prozess.
Zum Thema Digitalisierung: Viele würden die Akten gerne digital einsehen, bequem von zu Hause aus. Kann man abschätzen, ob und wann alle Akten digital zur Verfügung stehen, so dass man nicht mehr beispielsweise in den Lesesaal nach Bronnbach muss?
Peter Rückert: Alle unsere Findmittel, also die Behelfe, um Material zu finden, sind zum großen Teil schon digitalisiert. Man kann sie online durchsuchen. Wir retrokonvertieren natürlich auch unsere Bestände, fotografieren beziehungsweise scannen sie und gehen systematisch voran. Aber ich persönlich werde es mit Sicherheit nicht mehr selbst erleben, dass alle Dokumente digital zur Verfügung stehen. Durch den Fortschritt der Digitalisierung – das spüren alle Archive des Landes –, müssen immer weniger Leute in den Lesesaal kommen. Wir unterstützen den Online-Zugriff sehr stark. Aber bei Akten, die zu neu und deswegen noch nicht freigegeben sind, oder zu alt sind, weil sie noch nicht digital vorliegen, wird man ins Archiv kommen müssen. Gleichzeitig wird man immer stärker die Informationen über die Bestände aus dem Internet ziehen können, um zu erfahren, ob man ins Archiv kommen muss oder beispielsweise ein Foto der Akte anfertigen lassen kann.
Wann haben Sie denn Ihr Faible für die Historie entdeckt. War das auf dem Dietrich Bonhoeffer Gymnasium?
Peter Rückert: In der Tat. Ich habe den Leistungskurs Geschichte belegt. Mein Lehrer Wolf Wiechert spielte hier eine wichtige Rolle. Dann entschied ich mich auch rasch, Geschichte zu studieren. Ich habe immer noch engen Kontakt mit Wolf Wiechert.
Ihr Schwerpunkt beim Studium in Würzburg lag auf dem Mittelalter. Hat hier die Wehrkirche in Urphar eine Rolle gespielt?
Peter Rückert: Das würde ich jetzt nicht so überspitzt sagen. Aber natürlich hat dieses Umfeld in meinem Heimatdorf Urphar auch eine Rolle gespielt. Ich habe sehr früh für das Wertheimer Jahrbuch über die Wehrkirche und den damit zusammenhängenden Jakobus-Kult geschrieben. Insofern bin ich durch die Kirche angeregt worden, mich mit dem Jakobus-Kult zu beschäftigen. Heute bin ich auch Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft.
Sie waren auch an Ausgrabungen in der Region beteiligt, beispielsweise im sogenannten Himmelreich in der bayerischen Nachbarschaft, also Kreuzwertheim. Kommt es immer noch vor, dass Sie sich an Ausgrabungen beteiligen?
Peter Rückert: Das hat mit meinem Alltag nichts mehr zu tun. Als Student wurde ich damals vom bayerischen Landesdenkmalamt angeheuert, das die Ausgrabungen an der sogenannte „Wettenburg“ in der Mainschleife veranlasst hat. Ich war auch an Ausgrabungen der Keltensiedlung in Urphar beteiligt. Hier konnte ich mein archäologisches Interesse umsetzen. Mir war damals wichtig, besonders das Umfeld von Urphar in den Blick zu nehmen.
Wie oft sind Sie denn noch in der Heimat?
Peter Rückert: Regelmäßig, mindestens einmal im Monat. In unserem Elternhaus habe ich noch eine Wohnung, die wir nutzen. Zudem haben wir dort ein relatives großes Gelände, das bewirtschaftet und gepflegt sein will. Das mache ich sehr gerne. Die Beziehung zu Urphar ist mir nach wie vor sehr wichtig.
Wie fühlt man sich denn als Franke mitten im Schwabenland?
Peter Rückert: Ich bin wegen der Ausbildung nach Stuttgart gekommen und habe nach zwei Jahren in Karlsruhe meine Stelle in der Landeshauptstadt angetreten. Ich habe mich zunächst durchaus im Schwabenland orientieren müssen. Stuttgart ist aber sehr weltoffen. Man darf sich die Stadt nicht als „Zentrum schwäbischer Mentalität“ vorstellen. Wir haben hier im Archiv ein breites und offenes Kollegium, das natürlich auch stolz darauf ist, in der Landeshauptstadt zu arbeiten. Besonders die enge Vernetzung mit den anderen Institutionen, die hier möglich ist, gefällt mir sehr. Das schwäbische Umfeld, wie man es sich in Klischees vorstellt, gibt es sicher nicht so ausgeprägt, wie es vielleicht früher einmal war. Es ist von Interkulturalität geprägt – besonders auch in unserem Kollegium. Eine Assimilation ist von daher gar nicht notwendig gewesen. Ich fühle mich mit meiner Familie hier sehr wohl – aber der Bezug ins Fränkische ist natürlich nach wie vor sehr stark.
Sprechen Ihre Kinder Schwäbisch?
Peter Rückert: Wir wohnen in Bietigheim nicht weit von Stuttgart, aber sie sprechen Hochdeutsch. Sie wundern sich natürlich, wenn ich mit alten Bekannten den „Oarfler Slang“ spreche.
Die Kinder verstehen das?
Peter Rückert: Ja, und sie freuen sich, wenn sie es hören.
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