Wertheim. Große Freude herrschte am Donnerstagabend im Arkadensaal des Wertheimer Rathauses. Die Main-Tauber-Stadt feierte gleich zwei Partnerschaftsjubiläen: 40 Jahre ist sie mit den britischen Städten Huntingdon und Godmanchester verschwistert – das Jubiläum wird wegen der Pandemie ein Jahr später gefeiert. Und mit dem ungarischen Städtchen Csobánka besteht seit 30 Jahren eine freundschaftliche Bande. Zahlreiche Gäste aus den Partnerstädten und der Wertheimer Kommunalpolitik waren gekommen.
Allerdings mischte sich unter die Freude durchaus auch ein wenig Skepsis – angesichts des brutalen Krieges, mit dem das russische Regime die Ukraine überzieht. Über viele Jahre habe man sich an den Gedanken gewöhnt, dass der Frieden in Europa selbstverständlich sei und zum Alltag gehöre. Mit dem Angriffskrieg Russlands „sind wir aus diesem Traum brutal herausgerissen worden“, sagte Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez.
Schon zuvor habe der europäische Gedanke an Zugkraft und Attraktivität verloren. Die Vertiefung der europäischen Integration werde schleichend durch eine stärkere Betonung des Individuums und Gegensätzen abgelöst. „Finden wir uns damit nicht ab“, appellierte Herrera Torrez. Gerade in dieser anspruchsvollen Zeit beweise sich die „Bedeutung von Freundschaft und Partnerschaft“.
Grenzen ließen sich überwinden, wenn Menschen zusammenkommen. „Vorurteilen, die durch fehlendes Wissen um das Nachbarland, durch Unverständnis seiner Besonderheiten und des Facettenreichtums entstehen, kann durch das Zusammenkommen von Menschen begegnet werden“, so der OB. „Ich möchte mehr Europa“, rief er.
Beste Zeiten vor sich
Das Europa der Städtepartnerschaften habe seine besten Zeiten noch vor sich. „Es wird mehr gebraucht, denn je“, stellte Herrera Torrez fest.
Sein ungarischer Amtskollege József Völgyes aus Csobánka erinnerte an Hans Herrmann, der die Idee hatte, das Städtchen mit in die schon bestehende Partnerschaft mit Szentendre einzubeziehen. Aus dem Ort waren nach dem Krieg 1300 Menschen vertrieben, mehr als die Hälfte davon siedelte sich in Bestenheid an.
Es sei die Aufgabe der Nachkommen, „die Erinnerungen lebendig zu halten, der Gegenwart einen Sinn zu geben und neue Möglichkeiten zu eröffnen“. József Völgyes verglich die Partnerschaft mit einem Bäumchen, das in Csobánka beim Rathaus vor 30 Jahren gepflanzt worden ist. Es sei zu einem Baum mit starken Wurzeln, dickem Stamm und üppigem Blattwerk herangewachsen: „Ein wichtiges Symbol.“ Gegenwärtig sei die Welt voller Schwierigkeiten. „Das einzige Gegenmittel gegen Feindseligkeit und Vorurteilen ist das gegenseitige Kennenlernen“, sagte der Bürgermeister.
Sein Amtskollege aus Huntingdon, David Cole, berichtete von einer Begegnung in Berlin als er mit Kollegen, die einst in den verschiedenen Teilen Deutschlands lebten, gemeinsam durchs Brandburger Tor ging. Das miteinander Sprechen lasse Freundschaften zwischen Menschen schließen, die vorher Feinde gewesen seien.
Egoismen beklagt
Das gegenseitige Kennenlernen könne Blutvergießen vermeiden, das jahrhundertelang Europa geprägt habe. Stattdessen würden Freundschaften geschlossen. Er sei in Wertheim, weil „wir einander verstehen, miteinander sprechen wollen und weil wir uns wünschen, dass auch die nächsten Generationen unsere Stadtbewohner Freunde sind“.
Godmanchesters Bürgermeister Richard Taplin beklagte, dass die Welt wieder vermehrt von Egoismus geprägt sei. Nationalismus überschatte die globalen Probleme. Es sei nie wichtiger als heute gewesen, persönliche Beziehungen zu europäischen Nachbarn zu pflegen, „um den schleichenden Kriegswahnsinn einzudämmen.“
Städtepartnerschaften seien ein grundlegendes Element, um den Dialog aufrechtzuerhalten. Er persönlich habe mehr und mehr das Gefühl, auch in Wertheim zu Hause zu sein. In Anlehnung an die Worte John F. Kennedys in Berlin anno 1963 rief er: „Ich bin ein Wertheimer.“
Im Anschluss an die Festreden tauschten die Partnerstädte gegenseitig jede Menge kleine Geschenke aus. OB Markus Herrera Torrez überreichte den Kollegen eine gravierte Glasform. Lucy Weber, Vorsitzende der Internationalen Partnerschaftsvereinigung Wertheim, übergab den internationalen Gästen einen Wertheimer Optimisten. Und zuvor hatten die Bürgermeister in einer kleinen Zeremonie Partnerschaftsurkunden per Unterschrift erneuert.
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